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PROPAGANDA/1506: Medien - Selektivverbote ... (SB)



Dem Anschlag auf zwei Moscheen in der neuseeländischen Hauptstadt Christchurch am 15. März lag eine exakt vorgeplante Medienstrategie zugrunde. Der australische Attentäter übertrug die ersten 17 Minuten des Massakers per Livestream auf Facebook Live, ließ unmittelbar vor den Morden britische Marschmusik und ein antimuslimisches Lied serbischer Nationalisten laufen und forderte das von ihm angesprochene Publikum auf, PewDiePie zu abonnieren. Da es sich bei dem Kanal des schwedischen YouTubers Felix Kjellberg um das mit über 92 Millionen AbonnentInnen erfolgreichste Medium seiner Art handelt, liegt nahe, daß er dieses Publikum mit seiner Tat erreichen wollte. Zudem versandte er sein sogenanntes Manifest per E-Mail und Twitter an diverse Multiplikatoren. Darin berief er sich unter anderem auf den rechtsradikalen norwegischen Attentäter Anders Behring Breivik und knüpfte mit Titel des Machwerks "The Great Replacements" an den auch in der Neuen Rechten der Bundesrepublik populären Mythos vom Volksaustausch durch muslimische MigrantInnen an.

Ganz offensichtlich hatte sich der australische Täter genau überlegt, wie er mit seiner Bluttat maximale mediale Breitenwirkung erzielen konnte. Der Versuch, die weitere Verbreitung seines Videos zu unterbinden und das strafrechtliche Verbot, das sogenannte Manifest in Neuseeland zu besitzen oder zu verbreiten, wurde schnell als Vorwand für den Ausbau staatlicher Zensur gedeutet. Der in diesem Verdacht steckende Vorwurf, jegliche Begrenzung bei der Verbreitung audiovisueller oder schriftlicher Inhalte als Einschränkung der persönlichen Freiheit zu verstehen, ist nicht nur fehlplaziert, weil er der Medienstrategie des Attentäters zur Wirkung verhilft. Mit ihm wird auch ignoriert, das allenthalben zensiert wird, etwa durch den Verdacht auf Fake News, durch das strafrechtlich durchzusetzende Persönlichkeitsrecht, durch das Urheberrecht, durch die privatwirtschaftliche und öffentlich-rechtliche Struktur der Medien als auch die bekannten Staatsschutzartikel, laut denen Aufrufe zur Gewalt verboten sind.

Bei den Maßnahmen, die gegen die Verbreitung der vom Attentäter produzierten Aufnahme der Tat wie ihrer angeblichen Begründung in seinem sogenannten Manifest gerichtet sind, handelt es sich um eine im Selbstverständnis des liberalen Rechtsstaates begründete Konterstrategie gegen den virulenten Bürgerkrieg. So hat die Premierministerin Neuseelands, Jacinda Ardern, dazu aufgerufen, den Namen des Attentäters nicht zu nennen, um ihn nicht in seinem Ziel, zu einem weiteren Helden der radikalen Rechten zu werden, zu unterstützen. Die Tat ihrer massenmedialen Repräsentanz zu berauben richtet sich direkt gegen deren propagandistische Absicht, die Legende vom Großen Austausch so populär zu machen, daß die Aufrüstung staatlicher Maßnahmen gegen flüchtende Menschen und die ideologische Renationalisierung der Bevölkerung praktisch wie von selbst vonstatten geht.

Mit Rechten zu reden, die längst angekündigt haben, ihre politischen Feinde nach ihrer Machtübernahme zu beseitigen, macht genausowenig Sinn wie sie durch die Behauptung in Schutz zu nehmen, ihre feindselige Gesinnung erwachse aus sozialen Problemen. Selbst wenn es bei einem Teil der Neuen Rechten so sein sollte, steht doch jedem Menschen die Wahl frei, entweder nach unten zu treten oder nach oben aufzubegehren. Wer sich für ersteres entscheidet, wird nicht durch moralische Appelle davon zu überzeugen sein, daß kooperatives und solidarisches Handeln im Zeichen universalistischer Werte besser wäre als der sozialdarwinistische Überlebenskampf im Geleitschutz einer imaginierten Volksgemeinschaft.

Sicherlich hätte der australische Attentäter kaum ein offenes Ohr dafür, wenn ihm erklärt würde, daß, wenn es überhaupt so etwas wie einen "großen Austausch" gäbe, dieser längst an den Aborigines in seinem Land wie den Maoris in Neuseeland vollzogen wurde. Beide Länder sind als Austragungsorte eines blutigen europäischen Kolonialismus wohlbekannt. Das gilt auch für die USA, deren Präsident Donald Trump zum Schutz der weißen Mehrheitsgesellschaft eine große Mauer gegen MigrantInnen aus Mexiko und Lateinamerika errichtet. Auch ihm könnte empfohlen werden, doch einfach zurück nach Europa zu gehen, wenn es ihm um die Verteidigung vermeintlich angestammter Rechte geht.

Die unter der Behauptung eines Volksaustausches propagierte Kriegführung gegen Menschen anderer Herkunft, Hautfarbe und Religion entspricht aufgrund ihrer anwachsenden Verbreitung einer ernstzunehmenden Mobilisierung für den Bürgerkrieg. Allein die Unterstellung, den flüchtenden und einwandernden Menschen anzulasten, nicht aus existentieller Not oder Angst vor kriegerischer Gewalt in die EU zu kommen, sondern dies mit der Absicht zu tun, die dort lebenden Bevölkerung durch AnhängerInnen des Islam zu ersetzen, ist aberwitzig, weil sie völlig von der individuellen Motivation der Flüchtlinge abhebt. Daß sich diese Behauptung dennoch verbreitet, belegt den irrationalen Charakter eines latenten Krieges, der aus ganz anderen Gründen geführt werden soll.

Wie die folgenlos gebliebenen Enthüllungen über rechte Seilschaften in der Bundeswehr, die bereits Listen über die zu beseitigende Opposition angefertigt haben sollen, die hochgradige Nachlässigkeit, mit der die Aufklärung der Morde des NSU im engsten Rahmen blieb, und der fehlende Verfolgungsdruck bei offenkundig rechtsmotivierten Anschlägen auf linke PolitikerInnen belegen, ist dieser Krieg längst im Gange. Von interessierter Seite her wird er zumindest in Anschlag gebracht, drohen die ExponentInnen der extremen Rechten doch ganz offen mit dem aufstandsartigen Staatsstreich, wenn nicht entschieden gegen nichtdeutsche Menschen vorgegangen werde. Unter solchen Bedingungen die unbeschränkte Verbreitung eines Attentatsvideos zu propagieren ist Wasser auf die Mühlen dieser anwachsenden Aggression gegen Minderheiten aller Art, die von einer als deutsch imaginierten und letztlich ethnonationalistisch begründeten Norm abweichen.


Fußnoten:

[1] https://socialistproject.ca/2018/12/siloed-thinking-climate-disposable-people/

[2] https://www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article187962993/Henryk-M-Broders-Rede-vor-der-AfD-Bundestagsfraktion.html

1. April 2019


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