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PROPAGANDA/1512: AfD-Polemik - Ideologie der verbrannten Erde ... (SB)



Greta Thunberg wird von AfD-Abgeordneten mit Nazis verglichen und als psychotisch bezeichnet, die Bemühungen um eine Begrenzung des Klimawandels werden mit Begriffen wie "CO2Kult", "Klimawandelpanik" und "Klimagehirnwäsche" lächerlich gemacht, und die AfD-Bundestagsfraktion lädt bekannte Leugner des Klimawandels zu Anhörungen im Bundestag ein [1]. Das vehemente Polemisieren gegen Menschen, die Naturzerstörung und Klimawandel mit Sorge erfüllen, hat sich als Konstante neurechten Hegemonialstrebens in aller Welt etabliert. Hatte die klassische nationalkonservative Rechte noch einen völkisch verklärten und auf das eigene Land reduzierten Begriff von Naturschutz, so scheint es der Neuen Rechten in der EU und den USA oder Faschisten vom Schlage des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro in erster Linie darum zu gehen, jede mögliche Behinderung extraktivistischer Ressourcenaneignung und rücksichtsloser Naturausbeutung als Einschränkung nationaler Souveränität und Reichtumsproduktion zu bekämpfen.

Diese Strategie richtet sich weniger gegen die offizielle Natur- und Klimaschutzpolitik, die vor allem darum bemüht ist, keinerlei Abstriche von den nationalen Wachstumszielen und der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu machen. Mit dieser läßt sich im Zweifelsfall leben, wie der rechte Flügel der Unionsparteien zeigt, aus dem heraus die AfD entstanden ist, weiß man dort doch um das industriepolitische Potential des grünen Kapitalismus. Der ideologische Abwehrkampf der Neuen Rechten richtet sich vor allem gegen "linksgrün versiffte" Organisationen und Parteien, deren sozialökologische Politik mit emanzipatorischen Zielen, universalen Werten und kosmopolitischem Bewußtsein in eins gesetzt wird. Die konstitutive Idee, daß sich der Klimawandel nur auf globaler Ebene bekämpfen läßt und es internationaler Solidarität bedarf, um die nationalchauvinistische Festungspolitik innerimperialistischer Konkurrenz und neokolonialistischer Ausbeutung zu überwinden, wird von der AfD und Konsorten instinktsicher als Bedrohung für die Durchsetzung des von ihnen propagierten ethnischen Nationalismus begriffen.

Die derzeitige Fokussierung der AfD auf das Feindbild Greta Thunberg erklärt sich denn auch daraus, daß sich in ihrer Person Eigenschaften und Merkmale bündeln, die patriarchales Dominanzstreben im Kern in Frage stellen. Wer als junge Frau mit kompromißlosen Forderungen an die Öffentlichkeit tritt, die den Monopolkapitalismus im Kern befeuernde Produktionsweise angreift, aus ethischen Gründen vegan lebt und ein zum Kreis geistiger Behinderungen zählendes Symptom in ein strategisches Mittel verwandelt, stellt praktisch die Verkörperung all dessen dar, was die Neue Rechte als zersetzend und verwerflich anprangert.

Indem die AfD mit der platten Leugnung der destruktiven Auswirkungen des industriellen Produktivismus auf die gesellschaftlichen Naturverhältnisse den Anschein erweckt, allein auf weiter Flur einer dem Wohl der Bevölkerung zuwiderhandelnden Ideologie entgegenzutreten, stellt sie sich einmal mehr als willkürlich und zu Unrecht vom Diktat "politischer Korrektheit" und einer angeblichen linken Meinungshegemonie unterdrückte Minderheit dar. Die gegen "Gutmenschen" gerichtete Aggression bedeutet gerade nicht, daß AfD-PolitikerInnen nicht gute, sprich bessere Menschen sein wollen. Gerade weil sie Staat und Nation vor Kräften schützen wollen, die sich für notleidende flüchtende Menschen und aus rassistischen wie sexistischen Gründen unterdrückte Minderheiten einsetzen, halten sie es für einen Ausdruck lauterer, im Sinne von "Not kennt kein Gebot" übergesetzlich legitimierte Gesinnung, ihren Gegnern damit zu drohen, daß mit ihnen kurzer Prozeß gemacht wird, wenn die AfD erst einmal an die Macht gelangt ist.

Das propagierte Selbstbild, als Märtyrer für Volk und Wahrheit ganz anders als das "Establishment" zu ticken, soll vergessen machen, daß die AfD sich dafür empfiehlt, die für die Stärkung autoritärer Staatlichkeit und die Durchsetzung einer weißen eurozentrischen Agenda am besten geeignete Elite zu sein. Um auf diesem Weg voranzukommen, unterstellt sie Gesinnungsverbote, obwohl niemand Gefahr läuft, für chauvinistische und nationalistische Ansichten in den Knast zu wandern. Sie suggeriert linke Meinungskartelle, wo keine sind, weil unter den bürgerlichen Parteien der sogenannten Mitte über das Dichtmachen der Grenzen, die Aufrüstung der Bundeswehr, die Beibehaltung der Wachstumsorientierung und die Sicherung des eigenen Wohlstandes weitgehender Konsens besteht.

So bewirtschaftet die AfD das haltlose Versprechen, ihre Klientel werde von der Politik der verbrannten Erde, um die es sich bei der Leugnung des Klimawandels und des daraus resultierenden Anspruches auf uneingeschränkte Ressourcenausbeutung im Kern handelt, profitieren, mit verächtlicher Demagogie und rassistischen Ressentiments. Die dumpfe Genugtuung, als weißer Mann lange genug durch die Auflösung verläßlicher Identitäten gedemütigt worden zu sein, tritt an die Stelle überprüfbarer rationaler Überlegungen. Was bleibt, wenn dem Feuer des Hasses der Brennstoff auszugehen droht, ist den sozialen Krieg in aller Welt zu schüren und darauf zu hoffen, dabei die Oberhand zu behalten. So irrational die Strategie des Mobilisierens von Feindseligkeit in Sicht auf das mögliche Gesamtergebnis ist, so begründet erscheint es im partikularen Vorteilsstreben. Dies geht stets zu Lasten anderer Menschen, und das soll es auch. In Fleisch und Blut watender Sozialdarwinismus mag zur kurzfristigen Entlastung von der Zerstörungsgewalt führen, die alle Lebewesen bedroht. Sich damit zufriedenzugeben heißt, die genozidalen Vernichtungszüge von gestern mit dem Ökozid von morgen zu übertreffen.


Fußnote:

[1] https://www.theguardian.com/environment/2019/may/14/germanys-afd-attacks-greta-thunberg-as-it-embraces-climate-denial

18. Mai 2019


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