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RAUB/0880: Die "Unterschichten" erheben ihr Haupt (SB)



Ein neuer Feind zeichnet sich auf dem Schirm der Regierungen und Sicherheitsbehörden ab. Wenn der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, vor "sozialen Spannungen" infolge der Wirtschaftskrise warnt und aus diesem Grund auf "gemeinsame Lösungen" drängt, dann meint er die Revolte der sogenannten Unterschichten. Wenn der Plebs sein häßliches Haupt erhebt, dann beginnt man in den Türmen des Finanzkapitals vor Gemütlichkeit zu frieren. Alles ist in Frage gestellt, wenn der gesellschaftliche Frieden nicht mehr gewährleistet ist. So lange die Renditen stimmten und eine Zukunft wachsenden Wohlstands suggeriert werden konnte, besaß die faktische Widerlegung, die der einzelne Hungerleider tagtäglich überprüfen konnte, keinerlei Bedrohungscharakter.

Seit das herrschende Verwertungsregime dieses Versprechen aufkündigen mußte und nun auch noch zu Lasten der Steuerzahler und Versorgungsberechtigten aus dem Schlamassel, den es zum ausschließlich eigenen Nutzen angerichtet hat, gezogen werden soll, seit also der neoliberale Kapitalismus in eine Legitimationskrise geraten ist, baut sich ein neues Feindbild auf. Terrorismus ist zwar nicht passé, aber in seiner Gültigkeit zumindest dann eingeschränkt, wenn es nicht gelingt, sozial bedingte Unruhen unter seiner Definition als staatsfeindliche Akte zu brandmarken und zu verfolgen. Je breiter mögliche Proteste der Betroffenen angelegt sind, desto schwieriger wird es für die Herrschenden sein, den bislang auf den politischen Islam gemünzten Terrorismusvorwurf auf die eigene Bevölkerung anzuwenden.

Dringend geboten ist daher der Einsatz von Befriedungsmaßnahmen und Ablenkungsmanövern. Jüngsten Angaben zufolge ist der TV-Konsum der von der Krise besonders schwer gebeutelten US-Bürger auf ein Allzeithoch von fünf Stunden täglich gestiegen. Hinzu kommt ein Zuwachs des Konsums von Online-Videos sowie der generellen Nutzung des Internets. Das Leben findet immer mehr vor den diversen Bildschirmen statt, wo im "Unterschichtenfernsehen" à la Big Brother, Frauentausch, Dschungelcamp und Daily Soaps Probleme abgearbeitet werden, die die desolate Lebenssituation des Publikums vertiefen, indem sie die Normen und Werte kapitalistischer Vergesellschaftung in Dauerrotation zu den maßgeblichen Inhalten des Lebens erklären.

Jüngstes Beispiel dieser Praxis ist die in den USA von Endemol, dem niederländischen Schöpfer von Big Brother, produzierte Sendung Someone's Gotta Go. Darin werden die Angestellten kleiner und mittelständischer Firmen mit den Einkommen ihrer Kollegen vertraut gemacht und können am Ende darüber befinden, wer gefeuert wird. Die Rationalisierung der Lohnkosten wird praktisch von den Lohnabhängigen selbst vollzogen, so daß auch noch die letzte Erinnerung an das antagonistische Verhältnis von Arbeit und Kapital zugunsten wachsender Feindseligkeit unter den Arbeitern getilgt wird.

Ohne grundlegende Aufklärung in eigener Regie zu betreiben werden Proletariat und Subproletariat zum willigen Vollstrecker ihrer eigenen Verelendung. Wenn an die Stelle indifferenter Beschwerden über "die da oben" und Scheindebatten über Managergehälter nicht die Wiederkehr eines Klassenbewußtseins tritt, das sich nicht mit Modifikationen an der herrschenden Verteilungsordnung aufhält, sondern diese insgesamt in Frage stellt, werden die Ackermänner und Endemols auch in Zukunft die Regeln des sogenannten Spiels, das allemal bitterer Ernst ist, setzen. Es ist nicht davon auszugehen, daß die Initialisierung eines auf der Höhe der herrschenden Verhältnisse befindlichen Klassenbewußtseins das Werk einer linken Avantgarde sein wird, ist diese doch vor allem damit beschäftigt, das eigene Überleben zu organisieren. Erforderlich ist Emanzipation von unten und unbedingte Respektlosigkeit gegenüber Meinungsführern und Geisteseliten, die nicht bereit sind, für die Konstitution eines neuen Subjekts streitbarer Veränderung den eigenen Standesdünkel aufzukündigen.

13. April 2009