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RAUB/0894: Hartz-IV-Empfänger entwürdigen ... (SB)



Die Bundesagentur für Arbeit mag im Vorschein eines aufziehenden Eklats auf die Observation von Hartz-IV-Empfängern verzichten. Dennoch ist mit dem Bekanntwerden ihrer Pläne einmal mehr klargestellt, daß Leistungsempfänger wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden und sich auch so fühlen sollen. Die Ermittlungsbefugnisse, die sich die BA in einer erst am 20. Mai ergangenen Weisung anmaßt, entsprechen weitgehend polizeilichen Vollmachten. Zur Feststellung der "Sozialdaten" angeblich betrügerischer Leistungsempfänger sollten Außendienste "zwingend" eingerichtet werden, wobei auch die Möglichkeit eröffnet wurde, behördenfremde Firmen mit der Beschattung der Leistungsempfänger zu beauftragen.

Geplant war laut der Anweisung der BA der Aufbau eines Bespitzelungsapparats, der den Leistungsempfängern mit Befugnissen wie "Vernehmungen" und "Observationen" so sehr auf den Leib rücken sollte, daß ihnen nicht nur Leistungsmißbrauch nachgewiesen werden kann, sondern sie auch unter erheblichen Einschüchterungsdruck geraten. Menschen, die nichts anderes verbrochen haben, als nicht zu den Gewinnern der kapitalistischen Gesellschaft zu gehören, mit quasigeheimdienstlichen Mitteln zu behelligen, um ihren "tatsächlichen Aufenthalt" zu ermitteln, um zu prüfen, ob sie nicht mehr Leistungen beziehen, als sie angeblich brauchen, um ihre Wohnfläche zu vermessen und die Betroffenen bei zu viel Lebensraum zum Umzug in einen kleineren Käfig zu zwingen, um möglicherweise noch vorhandene Besitztümer aufzuspüren und den Überführten die Leistungen zu streichen, zeugt vom sozialrassistischen Furor systematischer und zielgerichteter Entwürdigung.

Die ad hoc getroffene Unterstellung betrügerischer Absichten zwingt die Betroffenen, ihre Unschuld zu beweisen, indem sie das ganze Elend ihrer Bedürftigkeit offenlegen. Wo immer sie sich nicht an die Disziplinarordnung der Arbeitsgesellschaft halten, indem sie sich nicht auf überprüfbare Weise verfügbar machen, wo immer sie das gesetztlich festgelegte Maß des Mangels überschreiten, indem sie etwas behalten, was sie nicht verwertbar machen, wird ihnen klargemacht, daß sie ein Leben auf der Basis bloßer Duldung führen. Schlimmer noch, durch das Interesse der Sozialfahnder an Indizien zur Feststellung einer "Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft" wird unsolidarisches Verhalten praktisch zur Pflicht. Das Behördendeutsch entsorgt, was diesem Staat im Kern zuwider zu sein scheint, nämlich autonomes gemeinschaftliches Handeln, bei dem der einzelne Verantwortung für den andern übernimmt respektive für ihn einsteht.

Was sich mit dem vorerst zurückgestellten Zugriff auf erwerbslose und arbeitsunfähige Menschen ankündigt, wird nach der Bundestagswahl nicht mehr lange auf sich warten lassen. Wenn die ungedeckten Schecks des neoliberalen Krisenmanagements fällig werden, wird so viel Neid und Wut zu kanalisieren sein, daß das Regime rassistischer Sozialkontrolle wie gerufen kommt. Die beabsichtigte Einsparung ohnehin absehbar gekürzter Sozialausgaben ist der unwichtigste Zweck einer solchen Zumutung. Viel bedeutsamer ist die Durchsetzung einer neokonservativen Klassenordnung, in der die Menschen nach ihrer Verwertbarkeit sortiert und disqualifiziert werden, um den andern als Manövriermasse zur Befriedung des Sozialkampfs vorgeworfen zu werden.

4. Juni 2009