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RAUB/0899: Ein Plädoyer für die Erhöhung der Mehrwertsteuer (SB)



Die Reallöhne in der Bundesrepublik sind in den letzten Jahren deutlich gesunken. Immer mehr Beschäftigte bieten ihre Arbeitskraft als minderbezahlte, sozial schlecht abgesicherte Zeitarbeiter feil, ein anderer wachsender Teil der Bevölkerung fristet seine Existenz auf Höhe des Sozialhilfesatzes. Vor diesem Hintergrund allgemeiner Verarmung wird ein Vorschlag in die Debatte geworfen, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent, der vor allem für Lebensmittel gilt, auf 19 Prozent anzuheben. Das werde zur Zeit in der Bundestagsfraktion der Unionsparteien diskutiert, berichtete die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf die üblicherweise gut informierten Kreise. Das könnte vierzehn Milliarden Euro in die klamme Haushaltskasse spülen. Die Hälfte an Einnahmen käme hinzu, wenn ein einheitlicher Mehrwertsteuersatz von 18 Prozent verhängt würde, was ebenfalls als Option im Gespräch sei, so die "Bild".

Die Mehrwertsteuer ist eine indirekte Steuer, von der insbesondere die Konsumenten betroffen sind. Die angestrebten Mehreinnahmen des Staates würden sich direkt als finanzielle Einbußen bei den Verbrauchern bemerkbar machen, und das ausgerechnet bei Lebensmitteln. In welchem Verhältnis die Preise dann real steigen werden, läßt sich nicht vorhersagen, daher dient als einfachster Anhaltspunkt die Differenz vom derzeit geltenden zum geplanten Mehrwertsteuersatz, also elf oder zwölf Prozent. Das ist für viele Menschen eine beträchtliche Summe.

Würde eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, falls sie denn kommt, die Schuldenlast der Bundesregierung entscheidend mildern? Nein. Allein die für das Haushaltsjahr 2010 ausgewiesene Neuverschuldung beträgt 86 Milliarden Euro. Bis 2013 wird die Neuverschuldung voraussichtlich auf 310 Milliarden Euro steigen.

CDU-Generalsekretär Pofalla bestreitet vehement, daß die Union eine Erhöhung der Mehrwertsteuer in der nächsten Legislaturperiode prüft. Er behauptet sogar, daß seine Partei den Steuerzahler entlasten will. Das könnte sich allerdings als das hinlänglich bekannte Versprechen eines Winkeladvokaten herausstellen, denn die Bezeichnung "der Steuerzahler" ist interpretierbar. Der Steuerzahler, verstanden als Summe aller Steuerzahler in der Bundesrepublik, wäre theoretisch auch dann entlastet, wenn die Mehrwertsteuer erhöht und gleichzeitig der Spitzensteuersatz gesenkt würde.

Wie auch immer. Professor Udo Ludwig vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle rechnet fest damit, daß die nächste Regierung die Steuern mit der Begründung anheben wird, daß das Haushaltsloch verringert werden muß. Als unausweichlich nannte der Chef der Wirtschaftsweisen, Wolfgang Franz, einen solchen Schritt. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, wiederum schlägt einen Mehrwertsteuersatz von 25 Prozent vor. Das würde sogar den Konsum ankurbeln, will der Ökonom anscheinend argumentativ an die unselige Abwrackprämie anknüpfen. Er behauptet, eine solche Steuererhöhung würde den Konsum ankurbeln, weil die Leute, wenn sie davon erführen, schnell noch einkaufen würden.

Was Zimmermann für nebensächlich hält: Genauso wie die Umsätze der Autoindustrie nach dem Auslaufen dieses Subventionsprogramms einbrechen werden, würde auch der Konsum nach der Mehrwertsteuererhöhung abfallen, und zwar in doppelter Hinsicht, da erstens die Menschen sich bevorratet hätten und zweitens vor allem Lebensmittel teurer würden.

Mit Blick auf die bevorstehenden Bundestagswahlen geben sich Vertreter fast aller Parteien redlich empört ob der Vorschläge des Ökonomen Zimmermann. Keine Partei will sich im Vorfeld damit identifizieren lassen, daß sie nach der Wahl genau das machen wird, was ihr, wenn es vor der Wahl bekannt gegeben würde, das Genick bräche. Dabei wissen alle, daß die Milliardengeschenke an Banken und Unternehmen - unter anderem damit deren Manager nicht auf ihre Abfindungen verzichten müssen und keine Einbußen hinsichtlich ihrer Jahresgehalte von mehreren hunderttausend Euro erleiden müssen - auf den kleinen Mann umgelastet werden.

Ungeachtet all dessen soll hier ein vehementes Plädoyer für die Erhöhung der Mehrwertsteuer gehalten werden ... allerdings unter einer Bedingung. Eigentlich müßten ja die Unternehmen vollständig für die Besteuerung des Mehrwerts aufkommen, denn die Arbeiter und damit der mit Abstand größte Teil der Konsumenten haben gar keinen Zugriff auf den von ihnen geleisteten Mehrwert. Der wird den Arbeitern vom Lohn abgezogen, sonst wäre eine Kapitalakkumulation gar nicht möglich. Eine Mehrwertsteuererhöhung wäre deshalb aus vollem Herzen zu begrüßen, sofern die Arbeiter bzw. Konsumenten zunächst einmal vollständigen Zugriff auf den von ihnen geleisteten Mehrwert erhielten. Dann gäbe es allerdings keine Kapitalisten mehr. Wie bedauerlich ...

25. Juni 2009