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RAUB/0918: Bürgergeld könnte zu Townships in Deutschland führen (SB)



Wer hätte gedacht, daß die Hartz-IV-Gesetzgebung noch einmal attraktiv erscheint! Zumindest in Relation zu dem von der FDP vorgeschlagenen Bürgergeld in Höhe von 662 Euro - sofern derjenige die Arbeit annimmt, die ihm zugewiesen wird. Sonst gäbe es Abschläge von bis zu 30 Prozent. Im Bürgergeld sollen sämtliche steuerfinanzierten "Hilfen" des Staates - das ist jener kleine Teil, den der Staat von dem, was er den Bürgern weggenommen hat, wieder rausrückt - enthalten sein: Arbeitslosengeld II (einschließlich der Leistungen für Miete und Heizen), Sozialhilfe, Sozialgeld, Wohngeld, Grundsicherung im Alter und Kinderzuschlag.

Gerechtigkeit total. Alle Bürger erhalten gleich viel Geld, alle Bürger sind gleich. Abgesehen von denen, die chronisch krank sind, sich die erforderliche medizinische Behandlung von ihrem Bürgergeld nicht werden leisten können und dahinsiechen oder verrecken. Sie verkommen zum gelb-schwarzen Kollateralschaden des Durchregierens, aber da die Medizin sowieso Patienten zu Delinquenten abstempelt, die sich a) falsch ernährt, b) eine falsche Lebenseinstellung angeeignet und c) zu wenig bewegt haben, somit schlechterdings allein schuld an ihrer Erkrankung sind, fallen im Konzept des Bürgergelds zwei klassenkämpferische Angriffe von oben zusammen: Weniger Geld für die Armen und schlechtere medizinische Versorgung, was zum durchschnittlich früheren Ableben führt.

Mindestens zwei Angriffsrichtungen. Das Bürgergeld hat noch reichlich unausgelotetes Potential. Eine dritte Maßnahme würde sich schon bald nach der Einführung bemerkbar machen: Die Gentrifizierung. Das käme dem relativ wohlhabenden FDP-Klientel sehr entgegen, könnte sie doch jene attraktiven, innerstädtischen Viertel belegen, die gegenwärtig noch von weniger gut Betuchten bewohnt werden, die sich bislang erfolgreich gegen den Schickeria-Zustrom zur Wehr setzen. Die Mieten werden in den nächsten Jahren weiter steigen, so daß Menschen, die auf das Bürgergeld angewiesen wären, nur noch in die Betonwüsten in den urbanen Randzonen ziehen können oder sich eine Bleibe in marginalen städtischen Nischen (in der Nähe von Autobahnen, Zubringern, U- oder S-Bahnlinien, Industrievierteln, Müllkippen) suchen müssen.

Nach einigen Jahren würden sich die Empfänger des Bürgergelds automatisch noch deutlicher als bisher dort sammeln, wo die Mieten am niedrigsten sind. Das wird das Stadtbild im umfassenden Sinn stark verändern. Mehr denn je werden sich infrastrukturell unterversorgte Armensiedlungen herausbilden; eine Entwicklung, wie sie beispielsweise in London oder Chicago bereits beobachtet wird oder - vielleicht noch ein paar Jahre darauf - wie in Südafrika. Dort schotten sich die Reichen ab, umgeben ganze Stadtviertel mit einem hohen Zaun und lassen nur diejenigen passieren, die einen anerkannten Anlaß haben.

Solche reichen Oasen könnte man als das konzeptionelle Gegenstück zum umzäunten Lager bezeichnen, in dem womöglich in Zukunft die gesellschaftlich Verworfenen hausen werden. Das mag übertrieben klingen, doch wer macht sich schon klar, daß die Bundesregierung die Lagerhaltung längst als zulässige Form der Menschenverbringung akzeptiert hat? Nämlich für Asylbewerber und andere Menschen, denen nicht einmal die Chance, um Asyl zu bitten, eingeräumt wird, da sie in nordafrikanischen Auffanglagern ihr Dasein fristen. Finanziert von der Europäischen Union und somit auch vom deutschen Michel, solange dieser noch Steuern gezahlt und nicht aufgrund des strukturellen Arbeitsplatzabbaus seinen Job verloren hat. Dann würde er anschließend mit Bürgergeld irgendwie am Leben erhalten. Oder auch nicht.

8. Oktober 2009