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RAUB/0967: Für ein paar Euro mehr ... (SB)



Für ein paar Euro mehr werden Langzeiterwerbslosen Fügsamkeit und Anpassungsbereitschaft in einem Maße abverlangt, das das Zwangsverhältnis, auf dem der großtönende Liberalismus basiert, nicht besser demonstrieren könnte. Für ein paar Euro mehr sollen Menschen, die ohne ihr Zutun für die herrschende Verwertungsweise entbehrlich geworden sind, sich auch in Zukunft in bescheidener Unterwürfigkeit üben. Für ein paar Euro mehr soll das Weniger der Lebensbilanz nicht kapitalistischen Bedingungen, sondern dem eigenen Versagen subsumiert werden.

Fünf Euro will die Regierungskoalition den Hartz IV-Empfängern zubilligen, und das ist in den Augen einiger ihrer Mitglieder sowie, wenn man dem Ergebnis der Umfragen Glaube schenken will, der Mehrheit der Bundesbürger schon zu viel des Guten. Demgegenüber verlangen Sozialverbände und Oppositionsparteien einen deutlich höheren Anstieg des Regelsatzes, was im Falle der SPD und Grünen nicht vergessen lassen sollte, daß der aktivierende Sozialstaat ein Produkt ihrer Regierungsära ist. Aktiv werden soll der Lohnabhängige, als ob er es zuvor nicht war, lautete die Bezichtigung des Förderns und Forderns. Geblieben ist vor allem letzteres, und das ist nicht dem angeblich faulen Fleisch der Leistungsempfänger geschuldet, sondern der Lebenslüge des neoliberalen Kapitalismus, daß über Wohl und Wehe seiner Insassen allein deren Bereitschaft, sich anzupassen und Leistung zu bringen, befinde.

Auch die derzeitigen Siegesmeldungen von der Arbeitsfront können nicht verhehlen, daß Vollbeschäftigung unter angemessenen Erwerbsbedingungen niemals mehr zu erreichen sein wird. Diese Suggestion einer postfordistischen Produktivität, deren Rationalisierungsdrang nicht nur der Logik der Kostensenkung, sondern auch der herrschaftsichernden Ratio maschineller Ermächtigung geschuldet ist, darf nicht aufgegeben werden, weil die gegen Erwerbslose gerichtete Bezichtigung, nicht genügend für die Rückkehr in normale Arbeitsverhältnisse zu tun, ansonsten obsolet würde. Und so wird ein immer größerer Teil der Lohnarbeit so billig verkauft, daß der Staat zum Erreichen des Existenzminimums auch noch zulegen muß. Desungeachtet geht es aufwärts mit Deutschland, im Schaufenster nationaler Größe ist das Ganze stets strahlender als das Elend seiner Teile.

Gegen die Unterstellung, Hartz IV-Empfängern ginge es immer noch zu gut, ist weder das Kraut des Verfassungsrechts noch das der Weltwirtschaftskrise gewachsen. Mögen ihre Lebensmöglichkeiten eingeschränkter denn je sein, mag ihr Gesundheitszustand und ihre Lebenserwartung verfallen, entscheidend ist die Rentabilität einer Arbeitsgesellschaft, die den menschlichen Anteil an ihrer Produktivität zu verbilligen hat, um sich weiter zu reproduzieren. Der Trugschluß der Betroffenen liegt darin zu vermuten, daß es auf sie in irgendeiner Weise ankäme - je mehr Menschen in postindustriellen Brachen ein Leben auf Sparflamme führen, desto austauschbarer und entbehrlicher werden all diejenigen, denen ihr Schicksal abschreckendes Beispiel für ungenügende Anpassung und Leistung ist.

Wenn eine Mehrheit der Bundesbürger gegen eine deutliche Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes votiert, dann ist sie bereits auf die sozialdarwinistische Propaganda der neuen Rechten, deren Einfluß bis weit in die SPD, Grünen und sogar Linken hineinreicht, hereingefallen. Solidarität ist ein Fremdwort, das nicht zu lernen immer billiger zu haben ist. Not und Mangel sind kein Ergebnis schicksalhafter Entwicklung, sie werden aktiv und systematisch erzeugt. Wo sich positiver, materiell produktiver Wert kaum mehr erzeugen läßt, weil die finanzkapitalistische Kompensation der Verwertungskrise Massen durch Güter und Dienstleistungen ungedeckten Geldes in die Welt gesetzt hat, das den negativen Wert des Mangels als eigentliche Währung kapitalistischer Verfügungsgewalt erkennen läßt, da wird die Aushungerung der angeblich Unproduktiven Programm.

Dem sind Werte entgegenzusetzen, die in ausschließlich ökonomisch bestimmten Kategorien nicht vorkommen. Es sind Qualitäten menschlicher Art, die sich fremdnütziger Verwertung schon deshalb entziehen, weil sie von den Agenten eines sich im Endeffekt kannibalisierenden Kapitalismus nicht erkannt und schon gar nicht genutzt werden können. Voraussetzung ist allerdings eine Form von Unkorrumpierbarkeit und Unbestechlichkeit, die allein schon zur Antithese aller Herrschaft gerät. Am Ende könnten sich die Opfer gesellschaftlicher negierter Existenz als Träger eine kulturellen Entwicklung erweisen, die für die Produzenten verwertungstauglicher Konsumkultur längst unerreichbar geworden ist, weil sie nicht mehr in der Lage sind, sich vom Kalkül des Mehr und Weniger zu befreien.

26.September 2010