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RAUB/0989: Deutsche Kanzlerin lektioniert Hungerleider der EU (SB)



Wenn Spitzenpolitiker europäischer Führungsmächte Worte wie Konvergenz oder Harmonisierung im Munde führen, müssen die Hungerleider der EU zittern. Gemeint ist mitnichten ein Entwurf, in dessen Rahmen die Starken ihre schwächeren Partner schützen und unterstützen, um die vielbeschworene Gemeinschaft zum allseitigen Nutzen der Bevölkerungen zu befördern. Diktiert von den Protagonisten einer Verwertungsordnung, deren Lebenselixier die Auspressung des Humankapitals in all seinen Aspekten ist, korrespondiert der im eigenen Land durch ein forciertes Arbeits- und Ausgrenzungsregime generierte Treibstoff der exportstärksten Nationen mit dem Schwitzkasten, in den man die wachsende Schar der Konkurskandidaten nimmt.

"Natürlich wollen wir den Euro und natürlich wollen wir nicht, dass einer sozusagen Pleite macht und dann wir alle mitgezogen werden" [1], formuliert die deutsche Bundeskanzlerin das Credo einer Notgemeinschaft, deren Zwänge den Bedürftigsten aufgelastet werden. "Ja, Deutschland hilft, aber Deutschland hilft nur dann, wenn sich die anderen anstrengen. Und das muss nachgewiesen werden." Mit der Systemkrise im Nacken steht für Angela Merkel außer Frage, wie Gedeih und Verderb europäischer Gemeinschaftsambitionen zu verteilen seien. Soll der heilige Gral des stabilen Euro auch in Zukunft alle Torturen rechtfertigen, "müssen sich alle Staaten daran halten, dass solides Wirtschaften die Grundlage unseres Handelns ist."

Wie das geht, erklärt sie so: Ausgerechnet auf dem Frühlingsfest des CDU-Kreisverbandes Hochsauerland in Meschede - Europas überstaatliche Räson nimmt Gestalt an, wo immer die deutsche Kanzlerin sie diktiert - wurde Klartext geredet. "Es geht auch darum, dass man in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal nicht früher in Rente gehen kann als in Deutschland, sondern dass alle sich auch ein wenig gleich anstrengen - das ist wichtig", setzte Merkel rabiat den Hobel an, um Unterschiede der sozialen Standards auf dem niedrigsten Niveau zu glätten. "Wir können nicht einfach solidarisch sein, und sagen, diese Länder sollen mal einfach so weitermachen wie bisher. Wir können nicht eine Währung haben und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig. Das geht auf Dauer auch nicht zusammen."

Von Deutschland lernen heißt schuften lernen, was natürlich nicht mit Ansprüchen auf deutschen Lebensstandard zu verwechseln ist. Diesen im Gegenzug zu erwarten, hieße dem europäischen Heilsversprechen auf den Leim zu gehen, das Stärke nach außen verheißt und dabei unterschlägt, zu wessen Lasten im Innern diese erwirtschaftet wird. Daß dem so ist, weiß natürlich auch die Opposition, zumal Sozialdemokraten und Grüne in der Vergangenheit als Einpeitscher von der Regierungsbank das Bündel bundesdeutscher sozialer Grausamkeiten geschnürt haben.

SPD-Chef Sigmar Gabriel hält der Kanzlerin Populismus vor und geißelt es als "beschämend, dass Frau Merkel die europäische Idee ihrer Vorgänger von Adenauer, Brandt, Schmidt, Kohl und Schröder so leichtfertig verspielt, nur um billigen Beifall vom Boulevard zu bekommen". Damit schüre sie "antieuropäische Ressentiments", "statt endlich Verantwortung für Europa als Ganzes zu übernehmen". Einig im Projekt der europäischen Platzhirsche, spielt man einander ganz nach Bedarf die Bälle zu und übernimmt den Part des guten Cop, der plötzlich sein Herz für die griechische Bevölkerung entdeckt hat.

Am besten sagt es wieder einmal der Chef der Grünen-Fraktion im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit: "Soziale Konvergenz in Europa ist okay - aber dann müssen wir über Arbeitszeiten genauso reden wie über Rente, Urlaub und Mindestlohn." Wir werden das Ding schon schaukeln, solange wir nur nicht erwähnen, auf wessen Schultern das europäische Projekt errichtet wird.

Fußnote:

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,763334,00.html

18. Mai 2011