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RAUB/0991: Von Menschen und anderen Kamelen ... wenn einem der Witz im Halse stecken bleibt (SB)



In Australien Kamele abzuschießen soll durch den CO2-Zertifikathandel belohnt werden. Diese kuriose Meldung geistert seit Donnerstag durch die Medien und hat zahlreiche Vertreter der schreibenden Zunft zu wahren Höhenflügen an flotten Sprüchen, ulkigen Vergleichen und Alternativvorschlägen veranlaßt. Der vermeintliche Witz an der Geschichte lautet, daß in Down Under mehr als eine Million wild lebende Kamele das Treibhausgas Methan in einer Menge in die Umwelt entweichen lassen, die den CO2-Emissionen von 200.000 Autos entspricht. Nun hat das in Adelaide ansässige Unternehmen Northwest Carbon ein Konzept erarbeitet, wonach das Keulen von Kamelen im Rahmen der australischen Carbon Farming Initiative (CFI) durch Klimazertifikate belohnt werden soll. Falls die Idee grünes Licht der Regierung erhält, womit zu rechnen ist, können die Zertifikate auch an ausländische Interessenten verkauft werden.

Ob Erdölgesellschaft, Event-Veranstalter oder Umweltschutzorganisation, in vielen gesellschaftlichen Bereichen wird damit geworben, "klimaneutral" zu wirtschaften, indem CO2-Zertifikate in Höhe der selbsterzeugten Emissionen erworben werden. Auf der anderen Seite dieses grünen Ablaßhandels für ein blütenreines Ökogewissen könnten also in Zukunft tote Kamele stehen. Das ist nicht lustig. Noch viel weniger gilt dies, wenn man bedenkt, was für Blüten der profitorientierte CO2-Zertifikathandel noch alles produziert hat. Beispielsweise wurde durch ihn die Herstellung des ozonschichtzerstörenden Kühlmittels HCFC-22 forciert, da hierbei der Abfallstoff HCFC-23 entsteht. Dabei handelt es sich um ein viel wirksameres Treibhausgas als Kohlendioxid. Nun bringt den Produzenten jenes Kühlmittels die Vernichtung des eigentlich unerwünschten Abfallstoffs ein Mehrfaches von dem ein, was sie mit dem Verkauf ihrer Ware jemals erwirtschaften könnten. So geschieht es, daß eine in den Industrieländern längst verbotene Umweltchemikalie aufgrund des Zertifikathandels in den Schwellenländern einen Produktionsboom erfährt.

Das ist nicht der einzige Fall, bei dem Klimaschutzkonzepte mehr Treibhausgase erzeugen als reduzieren. Auch wenn in diesem speziellen Fall dem Treiben ab 2013 ein Riegel vorgeschoben werden soll, bleibt das Prinzip des CO2-Ablaßhandels des internationalen Klimaschutzprotokolls von Kyoto unangetastet. Die hiesigen energieintensiven Industrien dürfen weiter ungehindert Treibhausgase produzieren und können sich über teils fadenscheinige Projekte von der eigenen CO2-Reduzierung freikaufen. Die Schwellen- und Entwicklungsländer hingegen, die nach dem Kyoto-Protokoll keiner Minderung von Treibhausgasen verpflichtet sind, haben sogar Vorteile davon, wenn ihre Umweltgesetze nicht allzu streng gefaßt sind, denn dann dürfen sie im ersten Schritt klimaschädliche Waren produzieren, um im zweiten Schritt üppig an der Beseitigung der Klimagefahr zu verdienen.

Es wären sicherlich zahlreiche Details zu nennen, woran der internationale Klimaschutz krankt, nähern wir uns dem Kern. Der CO2-Ablaßhandel steht am Beginn des typisch menschlichen Bestrebens, die Eigentumsordnung auf immer mehr bis dahin unangetastete Bereiche auszudehnen. Nach Boden, Wasser, Pflanzen und Tieren, deren ursprünglich freie Verfügbarkeit im Laufe der Menschheitsgeschichte immer mehr eingeschränkt wurde, wird heute sogar die Luft - zumindest indirekt und in Teilen - in Wert gesetzt. Wäre es technisch machbar, Menschen am Atmen zu hindern, also die Luft zu nehmen, ohne daß sie gleich stürben, hätte sich längst ein Wirtschaftszweig gebildet, in dem Menschen anderen Menschen die zum Leben erforderliche Atemluft verkaufen. An diesem Beispiel wird etwas Grundsätzliches deutlich: Dem Handel geht der Raub voraus, und die Administration sichert diese herrschaftsförmige Ordnung.

Es sind nicht die politischen Entscheidungsträger und gesellschaftlichen Funktionseliten, die als erstes vom Klimawandel getroffen werden, da sie sich rechtzeitig in klimatisch vorteilhaftere Regionen in Sicherheit bringen können. Das bevorstehende staatlich sanktionierte Abschlachten von Kamelen aus vermeintlichen Klimaschutzgründen liegt auf der gleichen Linie wie die Marginalisierung eines zahllosen Heers von Menschen, die schon heute mit Gewalt daran gehindert werden, ihre klimatisch unwirtlich werdende und nicht selten Naturkatastrophen und Bürgerkriegen ausgesetzte Heimat zu verlassen. Unter den vorherrschenden kapitalistischen Produktionsbedingungen sind nicht nur Kamele auf Gedeih und Verderb der administrativen Verfügungsgewalt ausgeliefert, aber es gibt Kamele, die darüber lachen können.

10. Juni 2011