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RAUB/0999: PID für neofeudale Eliten - Lebensschützer erliegen flexibler Bioethik (SB)



Der von den Befürwortern einer beschränkten oder vollständigen Freigabe der Präimplantationsdiagnostik (PID) geltend gemachte Wertewiderspruch zwischen Abtreibungspraxis und Pränataldiagnostik einerseits und Gendiagnostik am künstlich befruchteten Embryo andererseits erklärt den weiteren Zugriff auf den werdenden Menschen schlicht mit jenem Dammbruch, der im gleichen Atemzug als nichtexistent beschworen wird. Während der Schwangerschaftsabbruch nach der Fristenlösung ein Zugeständnis an das Selbstbestimmungsrecht der Frau darstellt, weil ihre Indikation die Aufhebung eines zwangsläufigen Verlaufs begründet, erfolgt ein Spätabbruch in vielen Fällen bereits aufgrund der Entscheidung, ein Kind zu verhindern, das die Eltern so nicht haben wollen. Mit diesem kleineren das größere Übel der durch In-Vitro-Fertilisation ermöglichten gendiagnostischen Selektion des Embryos zu rechtfertigen heißt, die Tür zur qualitativen Menschenauslese ein gutes Stück weiter zu öffnen.

Die nun erfolgte Zustimmung des Bundestags zu einer begrenzten Erlaubnis der PID ist in der Tat ein Paradigmenwechsel von der konventionellen biologischen Fortpflanzung zur Ermöglichung biomedizinischer Manipulationen am werdenden Menschen. Auch wenn das vielzitierte Designerbaby lediglich Fluchtpunkt einer zunächst durch Ethikkommission und Beratung regulierten PID-Anwendung ist, geht das Primat des elterlichen Kinderwunsches schon jetzt zu Lasten des auszutragenden Nachwuchses. Er wird aufgrund des damit möglich gemachten Ausschlusses von Erbkrankheiten auf eine bestimmte Form menschlicher Gesundheit und Funktionalität geeicht, der nicht zu genügen das Scheitern nicht nur dieses Lebensplans, sondern des Menschen selbst vorvollzieht. Nicht um seiner selbst willen wird dieser Mensch geliebt, sondern seine Akzeptanz hängt davon ab, ob er seinen biologischen respektive juristischen Erzeugern gefällt.

Die konservativ-christliche Lebensschutzideologie muß dem biomedizinischen Innovationsschub notgedrungen unterliegen, weil er ethisch verabsolutiert, was als soziales Verhältnis von vielfältigen gesellschaftlichen Interessen bestimmt ist. Diese Interessen - namentlich die Verfügbarkeit des Menschen für kapitalistische Verwertungszwänge - werden von den Sachwaltern eines unantastbaren Lebenswerts zu einem Gutteil selbst repräsentiert. Mit der darin begründeten Objektivierung des Menschen für fremdnützige Interessen seitze sie bereits auf der Rutsche in die biologistische Maximierung kapitalistischer Vergesellschaftung. Wo der konservativ-christliche Lebensschutz mit der Verwerflichkeit der Selbstbestimmung schwangerer Frauen argumentative Stringenz beansprucht, stellt er die Autonomie des Menschen prinzipiell in Frage und gibt damit Forderungen nach dem biotechnologischen Zugriff auf das werdende Leben Raum. Auf sozialpolitischer Ebene manifestiert sich dieser Widerspruch in der ökonomischen Benachteiligung alleinerziehender Mütter bei gleichzeitiger Stigmatisierung aufgrund sozialer Indikationen erfolgender Abtreibungen.

Wie sich am Beispiel der Bioethik nachweisen läßt, werden ethische Normen in Abhängigkeit vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt gebildet und nicht umgekehrt. Mit ihnen wird auf Ebene herrschender Interessen legitimiert, was im sozialen Verhältnis der von Verwertungsimperativen betroffenen Menschen passiv erlitten wird. Wie die bereits erfolgten Zugeständnisse christlich-konservativer Lebensschützer an den biomedizinischen Fortschritt belegen, fordert die Gutheißung kapitalistischer Verwertungslogik ihren Tribut für die Zurichtung der Menschen auf die Bedingungen derselben. Die erbbiologisch optimierte Physis, vollzogen etwa am Erwerb besonders vielversprechender Reproduktionsagentien auf dem Markt für menschliche Samen- und Eizellen, verkörpert die Attribute für ein erfolgreiches Leben im Wortsinn.

Gegen die erbbiologische Konditionierung des Menschen auf eine gute Startposition im sozialdarwinistischen Überlebenskampf läßt sich nur wirksam Position beziehen, wenn die dafür propagierten Normen in ihrem fremdbestimmten Charakter offengelegt und kritisiert werden. Wenn werdende Menschen mit gendiagnostisch prognostizierten körperlichen und geistigen Einschränkungen nicht mehr der grundgesetzlichen Gleichheitsnorm unterliegen, was sie bei Anwendung der PID nicht mehr tun, dann wird ihre damit auch immer gegebene Verfügbarkeit für die soziale Konkurrenz ins Vorgeburtliche erweitert. Unter Einsatz biomedizinischer Mittel, die in ihrer ganzen Bandbreite stets nur privilegierten Personen vorbehalten sind, werden die Ein- und Ausschlußkriterien der Wettbewerbsgesellschaft auf das biologische Substrat der Menschwerdung angewendet, das vergesellschaftet wird, bevor es überhaupt als soziales Wesen in Erscheinung tritt.

All das ist den Verfechtern des biomedizinischen Fortschritts natürlich finsterste Verkennung ihrer doch lediglich dem Familienglück geschuldeten Fürsprache. Erfolgreich sind sie mit dieser Suggestion nur, weil die biotechnologische Reproduzierbarkeit des Menschen, vom Entwurf seiner weiteren Verwert- und Konsumierbarkeit abgehoben, auf eine therapeutische Maßnahme für zeugungs- und empfängnisunfähige Paare reduziert wird. Das ist die In-Vitro-Fertilisation immer nur, sofern sie auf diesen Zweck begrenzt wird. Die Simulation des Zeugungsaktes in der Petrischale ist darüberhinaus Schnittstelle für jede weitere Einwirkung Dritter, sei es in Form gespendeter oder erstandener Reproduktionsagentien, deren Selektion, Manipulation oder Klonierung, der Austragung des Kindes durch eine Leihmutter oder eben die Verwendung embryonaler Stammzellen für Forschung und Entwicklung, für Produktion und Handel.

Menschheitsgeschichtlich betrachtet hat die technische Machbarkeit stets über ethische Verbote gesiegt. Warum das in einer Welt anders sein soll, in der die Kapitalisierung von allem und jedem keinesfalls vor dem Menschen selbst haltmacht, sondern diesen als Krone einer aufgeklärten Selbstermächtigung feiert, die, als Ultima ratio des Überlebens zu Lasten des anderen verstanden, Herrschaft auf der nächsthöheren Ordnungsebene qualifiziert, geht über den Horizont von Sachzwängen und Lobbyinteressen umstellter PolitikerInnen weit hinaus. Einer Entwicklung, die schon vor Jahrtausenden in einer Sklavenhaltung antizipiert wurde, deren materielles Gewaltverhältnis den liberal-demokratischen Formwandel schadlos überstanden hat, ist mit ethischen Argumenten nicht beizukommen. Die biomedizinisch dynamisierte Elitenbildung liegt auf der Linie eines Neofeudalismus, der die Gesellschaft nicht etwa in Diener und Herren aufteilt, auf daß sich dieses Verhältnis eines Tages umkehrt oder gar aufhebt.

8. Juli 2010