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RAUB/1050: "Leistung statt Neid" - Armuts- und Reichtumsbericht light (SB)




Der im Grundgesetz festgeschriebene Schutz des Privateigentums erklärt die kapitalistische Produktionsweise zur unanfechtbaren Gesellschaftsordnung. Gemeint ist der Besitz von Produktionsmitteln und das Vermögen der Eliten, nicht jedoch der schwindende Rest notdürftiger Besitztümer in Händen der Hungerleider, deren anwachsendes Millionenheer vom längst gebrochenen Versprechen des entsorgten Sozialstaats zeugt. Solange Eigentum lediglich verpflichtet, und damit in seiner Existenz für unantastbar erklärt wird, ist die Welt der maßgeblichen Besitzstände gesichert. Wie große oder kleine Stücke des fiktiven Kuchens abgegeben oder vorenthalten werden, ist dann nur noch Verhandlungssache zwischen höchst ungleich bemittelten Streitparteien, mithin also kodifiziert, reguliert und unumkehrbar zugunsten der stärkeren Seite geschient.

Daß Armut und Reichtum keineswegs schicksalhaft nebeneinander existieren, sondern letzterer nur auf Grundlage der ersteren existieren kann, ist hingegen eine so naheliegende wie ideologisch verteufelte Erkenntnis, daß man sie den Opfern des Systems der Mehrwertproduktion mit allen zu Gebote stehenden Mitteln austreiben will. Wen wundert's, daß in der überarbeiteten Fassung des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung eben jene Passagen gestrichen wurden, die der Kritik an dem Grundwiderspruch der herrschenden Verhältnisse Nahrung geben könnten.

So fehlt die Aussage "Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt" in der umformulierten Einleitung des Regierungsdokuments. Entfernt wurde auch die Passage: "Während die Lohnentwicklung im oberen Bereich positiv steigend war, sind die unteren Löhne in den vergangenen zehn Jahren preisbereinigt gesunken. Die Einkommensspreizung hat zugenommen." Diese verletze "das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung" und könne "den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden" [1]. Wenngleich die verworfenen Formulierungen den Rahmen der zu kurz gegriffenen Feststellung, daß die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer würden, nicht verlassen und damit den fundamentalen Zusammenhang von Arm und Reich ausblenden, war selbst das zumindest Teilen der Regierungskoalition schon zu brisant.

Stattdessen wird nun dreist behauptet, daß sinkende Reallöhne "Ausdruck struktureller Verbesserungen" am Arbeitsmarkt seien, weil man zwischen 2007 und 2011 im unteren Lohnbereich viele neue Vollzeitjobs geschaffen und somit Erwerbslose wieder in Arbeit gebracht habe. Euphemistisch heißt es weiter, daß manchen Alleinstehenden mit Vollzeitjob der Stundenlohn nicht für die Sicherung des Lebensunterhalts reiche. Hatte es in der ersten Fassung noch geheißen, dies verschärfe die Armutsrisiken und schwäche den sozialen Zusammenhalt, so steht jetzt nur noch vage zu lesen, daß dies "kritisch zu sehen" sei. Bestimmte Fakten wie die folgende Aussage tauchen in der aktuellen Fassung des Berichts überhaupt nicht mehr auf: "Allerdings arbeiteten im Jahr 2010 in Deutschland knapp über vier Mio. Menschen für einen Bruttostundenlohn von unter sieben Euro."

Wer im einzelnen was gestrichen hat, ist dabei nicht sonderlich relevant. Schon bei ihrer Vorlage Mitte September hatte die erste Fassung der amtlichen Analyse, die das Bundesarbeitsministerium alle vier Jahre erstellt, für Unmut gesorgt. Der FDP-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler ließ damals wissen, daß der Bericht nicht "der Meinung der Bundesregierung" entspreche. Die Liberalen störte insbesondere die Aussage, daß die gesellschaftliche Spaltung größer werde. Vor allem "Forderungen nach höheren Steuern für die, die den Sozialstaat finanzieren", lehnte das Ministerium ab. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel distanzierte sich von der Analyse [2]. FDP-Generalsekretär Patrick Döring bekannte sich auf Twitter nun ganz unmißverständlich dazu, daß seine Partei Einfluß genommen hat. Es sei das Verdienst der FDP, daß die Bundesregierung im Armutsbericht keine Belastung der Betriebsvermögen und des Ersparten vorschlägt. "Leistung statt Neid!", gab er heute morgen als Parole aus.

Wie nicht anders zu erwarten, hat die Bundesregierung den Vorwurf, daß der Entwurf ihres neuen Armuts- und Reichtumsberichts geschönt sei, rundweg zurückgewiesen. Wie Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte, werde bei endgültiger Fertigstellung des Berichts erkennbar sein, daß er "ein realistisches, problembewusstes Bild über Armut und Reichtum in Deutschland zeichnet". Im Zeitraum zwischen 2007 und 2011 habe es "einige sehr positive Entwicklungen" etwa beim Abbau der Arbeitslosigkeit gegeben. Auch die Spreizung der Einkommen habe sich "nicht verstärkt". Seiner Einschätzung nach ist die Einkommensverteilung in Deutschland gerecht [3].

In der Gewißheit, daß sich über Verteilungsgerechtigkeit trefflich streiten läßt, ohne ans Eingemachte zu gehen, weiß sich die Bundesregierung einig mit dem überwiegenden Teil der Opposition, mag diese auch Zeter und Mordio schreien. Wer die Realität ausblende und ignoriere, könne keine gerechte Politik machen, befindet Andrea Nahles, und Claudia Roth attestiert Schwarz-Gelb eine Politik, die viele ärmer mache und nur einer ganz bestimmten zahlungskräftigen Klientel nütze. Die stellvertretende Vorsitzende der Linken, Sahra Wagenknecht, erklärt den geschönten Bericht für "überflüssig" und gibt immerhin den sachdienlichen Hinweis, man solle sich besser den Schattenbericht der Nationalen Armutskonferenz zu Gemüte führen. Ob es der Sache dient, daß das Parlament "eine unabhängige Kommission mit anerkannten Autoritäten aus Wissenschaft, Sozialverbänden und Gewerkschaften" einsetzt, die "regelmäßig und transparent über Armut und Reichtum in der Bundesrepublik" berichtet, wie Katja Kipping vorschlägt? Um der Armut ein Ende zu setzen bedarf es schon streitbarerer Positionen gegen die Grundfesten der Gesellschaftsordnung, als sie eine Parteipolitik ins Feld zu führen bereit ist, die Regierungsbeteiligung wie den Heiligen Gral sucht.

Fußnoten:

[1] http://www.focus.de/politik/deutschland/kritische-passagen-gestrichen-bundesregierung-schummelt-sich-den-armutsbericht-schoen_aid_869835.html

[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/geschoenter-armutsbericht-opposition-wirft-merkels-koalition-vertuschung-vor-1.1535451

[3] http://www.fr-online.de/newsticker/bundesregierungarmutsbericht-zeichnet-realistisches-bild-,11005786,20985864.html

28. November 2012