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RAUB/1083: Bargeldverbot und Mangelverwaltung (SB)



Wiewohl ein Klassiker aus dem Arsenal sogenannter Verschwörungstheorien, mehren sich die Anzeichen dafür, daß ernsthaft über eine Einschränkung des Bargeldverkehrs nachgedacht wird. Anfang des Jahres schlug einer der führenden US-Ökonomen, der ehemalige Finanzminister der Regierung Clinton und Präsident der Harvard University, Larry Summers, auf einer Forschungskonferenz des Internationalen Währungsfonds (IWF) die Abschaffung des Bargeldes vor [1]. Hintergrund ist die niedrige Verzinsung des Geldes, das mit Negativzinsen belegt werden soll, um den Geldwert stabil zu halten, während die Zentralbanken der Wachstumsschwäche in den westlichen Industriestaaten durch die Bereitstellung fast unendlicher Liquidität entgegentreten. In einem solchen Fall würden die Menschen ihre Ersparnisse nicht mehr zur Bank oder Sparkasse bringen, wo sie deren Aufbewahrung dann noch mit Zinszahlungen finanzieren müßten, sondern zu Hause horten.

Ein weiterer Nutzeffekt eines Bargeldverbotes bestände für Summers in dem dadurch wachsenden Anreiz, es gleich nach Erhalt auszugeben und damit zum konjunkturell belebenden Konsum auf breiter Ebene beizutragen. Auch in Schweizer Regierungsbehörden wird über das "Bargeldproblem" und "einschneidende Kapitalverkehrsmaßnahmen" nachgedacht, und auf einer internationalen Konferenz am Finanzplatz London soll dieses Thema demnächst beraten werden [2]. Dort wird auch der Harvard-Ökonom und ehemalige IWF-Chefvolkswirt Kenneth Rogoff zugegen sein, der die Abschaffung des Bargeldes bereits letztes Jahr auf einer Veranstaltung des Ifo-Instituts in München propagiert hat [3]. In Skandinavien wurde der Bargeldverkehr bereits weitgehend durch den elektronischen Zahlungsverkehr abgelöst [4].

Völlig ungelöst bei dem Konzept, das Geld mit Negativzinsen zu belasten, um eine wertsteigernde oder zumindest inflationsresistente Aufbewahrung bei den Banken zu verhindern und statt dessen Investitionen in Industrie und Wirtschaft zu begünstigen, bleibt die anhaltende Schwäche jeglichen nicht auf dem Finanzmarkt generierten Wachstums. Wo die Produktivkraftentwicklung den Produktionsverhältnissen davonläuft und der Möglichkeit der Menschen, ihr Leben durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft zu bestreiten, durch mikroelektronisch organisierte Rationalisierung und technologische Effizenzsteigerung zusehends der Boden entzogen wird, können derartige Planspiele nur zur wirksameren Verwaltung der Armut, nicht jedoch ihrer Beseitigung beitragen. Die dem Kapitalismus strukturell immanente Verwertungskrise [5] ist vor acht Jahren offen zutage getreten, und die Prognosen der Ökonomen, die nun über zentral verordnete Negativzinsen nachdenken, gehen davon aus, daß sich daran auf absehbare Zeit nichts ändert.

Eine programmatische Geldentwertung liefe auf die allgemeine Enteignung vor allem derjenigen Menschen hinaus, deren Einkommen nicht auf Eigentums- und Rechtstiteln basiert, sondern deren Entlohnung und Alterssicherung mit der jeweiligen Entwicklung des Geldwerts steht und fällt. Während die Besitzer der Produktionsmittel, die Eigner von Immobilien, Baugrund und Agrarflächen, die Nutznießer von Lizenzen, Patenten und Unternehmensanteilen in der kapitalistischen Eigentumsordnung maßgeblich über den Preis der Arbeit gebieten, ist ihnen die Klasse der Lohnabhängigen und Versorgungsbedürftigen desto mehr ausgeliefert, als nicht nur die Finanzialisierung aller Daseinserfordernisse zu ihren Lasten geht, sondern ihnen auch die unkontrollierte Verfügbarkeit des Geldes entzogen wird.

So propagieren Rogoff und andere, daß eine generelle Abschaffung des Bargeldes auch die Bekämpfung von Drogenkriminalität und Steuerflucht begünstigte. Zur Disposition gestellt würden alle Formen von grauer und Schattenökonomie, die zwar einerseits dem staatlichen Gemeinwesen Geld entziehen, andererseits aber reale Wachstumsfaktoren sind und nicht unerheblich zur Subsistenzökonomie ansonsten noch ärmerer Menschen beitragen. Die perspektivisch angestrebte Transparenz eines jeglichen Zahlungsaktes und Geldverkehrs beseitigte eben auch alle Formen informeller Ökonomie, die noch nicht auf dem geldlosen Tausch von Gütern oder Dienstleistungen beruhen.

Perfektioniert hingegen würde die Belastung aller Menschen mit der Begleichung aufgelaufener Staatsschulden und die Kriminalisierung von Formen des Konsums, die als schädlich für den Erhalt der Arbeitskraft gelten. Die sich bereits in der Bezichtigungslogik neoliberaler Gesundheitspolitik abzeichnende Sanktionierung angeblich ungesunder Lebensweisen könnte auf die Spitze einer Mangelverwaltung getrieben werden, bei der dem Menschen im wahrsten Sinne des Wortes die Butter vom Brot genommen wird. Unter die Androhung des Entzugs jeglicher Bemittelung gerieten politische Gruppen und Organisationen, die als staatsfeindlich gebrandmarkt würden, etwa weil sie sich der Totalität administrativer Verfügungsgewalt entgegenstellen.

Im Zeitalter des liberalen Paternalismus [6] ist ohne weiteres vorstellbar, daß als asozial stigmatisierte Formen der Lebensführung oder alternative Experimente kollektiver Selbstorganisation durch den Entzug aller unkontrollierten Formen der Finanzierung unmöglich gemacht würden. Wenn einmal der Geist totaler Geldverkehrskontrolle aus der Flasche ist, werden sich Praktiken der sozialstrategischen Überwachung und Befriedung Bahn brechen, gegenüber denen der unangekündigte Hausbesuch des Hartz-IV-Schnüfflers als ein vergleichsweise harmloses Relikt aus fernen Zeiten erscheint. So sehr die Geldabstraktion jede Arbeit miteinander vergleichbar und damit ausbeutbar macht, so sehr alle Herrschaft in der kapitalistischen Eigentumsordnung auf der geldförmigen Darstellung ihres Tauschwertes beruht, so sehr ist der anarchische Charakter des Geldes auch ein Mittel in der Hand derjenigen, die weder über das Gewaltmonopol des Staates noch die Schaltstellen wirtschaftlicher Macht gebieten.

Dem stagnierenden Wertwachstum durch die weitere Verflüchtigung des Geldes in die Datenbanken und Algorithmen einer staatlichen wie privatwirtschaftlichen Verfügungsgewalt aufzuhelfen, die mit dem dekretierten Zinssatz praktisch das Tempo der sozialen Verelendung festlegt, läuft auf nichts anderes als die Kannibalisierung vorhandener Produktionspotentiale hinaus. Mit der Überwachung des gesamten Zahlungsverkehrs geraten zudem noch unerschlossene Produktivitätsreserven in den Blick des Krisenmanagements. Sie bestehen aus all dem, was die Menschen der Zählbarkeit und Erfaßbarkeit des Ökonomisierungsprimats entzogen haben. Zur Disposition geldwerter Rationalisierung steht alles, was über das notwendige Minimum hinaus angeblich nicht gebraucht wird. Und dieses wird angesichts zunehmender Refinanzierungs- und Ressourcenprobleme mit abnehmender Tendenz immer wieder neu bestimmt werden.


Fußnoten:

[1] http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/us-oekonom-larry-summers-will-bargeld-abschaffen-damit-staat-und-banken-besseren-zugriff-haben/9326548.html

[2] http://www.nzz.ch/wirtschaft/planspiele-fuer-den-franken-notfall-1.18533752

{3] http://www.faz.net/aktuell/finanzen/meine-finanzen/geld-ausgeben/nachrichten/oekonom-rogoff-will-bargeld-abschaffen-13274912.html

[4] http://www.faz.net/aktuell/finanzen/meine-finanzen/geld-ausgeben/daenemark-zentralbank-willl-notendruck-stoppen-13582761.html

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0029.html

[6] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1710.html

11. Mai 2015


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