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RAUB/1111: Griechenlands ewige Schuld - Syriza sei Dank! (SB)



Die Dauerkrise Griechenlands stellt insofern einen historischen Präzedenzfall dar, als ihr Ewigkeitscharakter das Kernprinzip der Schuld in seiner Anwendung auf ein ganzes Staatswesen in aller Deutlichkeit zutage treten läßt. Es geht um nichts weniger, als den Schuldner in einem Kerker unauflösbarer Abhängigkeit gefangenzuhalten und seine Bevölkerung in einem beispiellosen Maße auszupressen, zugleich aber jeden Fluchtversuch und insbesondere den aus der Verzweiflung geborenen Widerstand der verelendeten und entwürdigten Menschen zu verhindern. Dazu bedarf es zum einen einer langfristigen Strategie, auf die alle Gläubiger eingeschworen werden müssen. Wenngleich Einigkeit angesichts des Vorhabens herrscht, die Griechinnen und Griechen so lange bluten zu lassen, daß die heute lebende Generation das Ende der Krise nicht mehr erleben wird, gilt doch als umstritten, wie schnell und wie weit man die Schraube weiter anziehen kann, ohne einen Zusammenbruch mit unabsehbaren Folgen weit über das Land hinaus zu riskieren. Zum anderen ist eine willfährige Regierung in Athen unabdingbar, die sich als Schnittstelle der Umsetzung sozialer Grausamkeiten nicht nur unter Protest in das Regime der Gläubiger fügt, sondern sich seine Erfüllung zu eigen macht und der Bevölkerung als alternativlosen Rettungsplan verkauft.

Ein aktueller Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) attestiert dem Drama Griechenlands, es habe neue Maßstäbe für ökonomische Katastrophen gesetzt: Es sei schon jetzt mit Abstand die schlimmste Krise aller Zeiten und ein Ende nicht absehbar. So sei die hellenische Wirtschaft seit 2008 um ein Viertel geschrumpft, und die Investitionen gingen um mehr als die Hälfte zurück. Einzig die Große Depression habe ähnlich verheerende Folgen gezeitigt, doch sei deren Endzeitstimmung nach etwa vier Jahren vom wieder einsetzenden Aufschwung abgelöst worden. Davon könnten die Griechen nur träumen, die schon seit acht Jahren gegen den Untergang kämpfen. Während die Staatsverschuldung vor der Krise 65 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen habe, sei sie inzwischen auf 179 Prozent gestiegen. [1]

Daß das EU-Kreditprogramm für Griechenland zu keinem Zeitpunkt dafür vorgesehen war, der griechischen Bevölkerung zugute zu kommen, weisen selbst führende Wirtschaftsmagazine längst als unbestreitbaren Sachstand aus. So spricht die französische "La Tribune" von einem "Teufelskreis unerreichbarer Ziele und endloser Austerität", der nicht durchbrochen, sondern weiter verstärkt und verlängert werde. Und das "Handelsblatt" listet auf, daß von den 215,9 Milliarden Euro, die die europäischen Institutionen für Griechenland aufbrachten, weniger als zehn Milliarden Euro die Konten der griechischen Regierung erreicht hätten. Von dem Rest seien 86,9 Milliarden in die Ablösung alter Schulden, 52,3 Milliarden in die Zinsen und 37,3 Milliarden in die Rettung der griechischen Banken geflossen. Mit den Hilfspaketen seien vor allem deutsche und französische Banken gerettet worden, die Steuerzahler hätten die privaten Investoren herausgekauft. [2]

Die EU und der IWF haben Griechenland in den letzten Jahren ein massives Spardiktat aufgezwungen und es im Gegenzug mit Hilfskrediten versorgt. Beide fordern eine Intensivierung der sozialen Angriffe, sind sich aber uneins in der Frage, welche Haushaltsziele Athen zur Bedingung für neue Hilfskredite gemacht werden. Die Eurogruppe fordert mehrheitlich einen Primärüberschuß von 3,5 Prozent, während die Führung des IWF das für unerreichbar hält und die Zielmarke auf 1,5 Prozent senken will. Das würde jedoch bedeuten, daß die Schulden umstrukturiert und in Teilen erlassen werden müßten, um einen Staatsbankrott zu vermeiden. Die Bundesregierung lehnt einerseits Schuldenerleichterungen rigoros ab, besteht andererseits aber darauf, daß der IWF an weiteren Rettungsmaßnahmen für Griechenland beteiligt werden muß. Andernfalls käme das laufende Hilfsprogramm zum Ende, warnt Wolfgang Schäuble. Ein Anschlußprogramm würde dann neue Verhandlungen erfordern, die einen Beschluß des Bundestages voraussetzten. Kurz vor der Bundestagswahl wäre das kaum durchsetzbar, droht der Finanzminister. Die Zeit für eine Einigung drängt, zumal auch in den Niederlanden und in Frankreich gewählt wird und rechte Kräfte auf dem Vormarsch sind. [3]

Die Lösung der Kontroverse unter den Gläubigern dürfte wie immer darauf hinauslaufen, die griechische Bevölkerung noch stärker zu belasten und die Frage einer Schuldenerleichterung zu vertagen. Dazu müßte die Syriza-Regierung allerdings ihre Sparanstrengungen noch einmal erhöhen, was sie gewiß auch tun würde, um die Blockade der Hilfszahlungen zu beenden. In seinem Länderbericht bescheinigt der IWF Griechenland erhebliche Reformfortschritte, die Eurogruppe erklärt sogar, das Land entwickle sich besser als vom Fonds unterstellt. Weil die Regierung massive Kürzungen und Privatisierungen durchgeführt hat, fiel der Überschuß mit 1,9 Milliarden deutlich größer aus als die 0,5 Milliarden Euro, die mit den Kreditgebern im Memorandum of Understanding für 2016 vereinbart worden waren.

Syriza hatte im Wahlkampf versprochen, dem Spardiktat der EU entgegenzutreten und beispielsweise weitere Rentenkürzungen zu verhindern. Einmal gewählt, setzte sie jedoch den geforderten Sparkurs noch rigoroser um, als konservative Administrationen der Vergangenheit. Allein 2016 hat die Regierung bei den Renten 230 Millionen Euro gekürzt. Für dieses Jahr sind bereits weitere Kürzungen von 439 Millionen Euro bei den Zusatzrenten geplant, obwohl schon jetzt nach offiziellen Angaben 45 Prozent der Rentner Zahlungen unterhalb der Armutsgrenze von monatlich 665 Euro erhalten. Die tatsächliche Zahl der Armen liegt noch weit höher. Da es in Griechenland keine nennenswerte Sozialversicherung gibt, sind bei einer Arbeitslosigkeit von deutlich über 20 Prozent oft ganze Familien von der Rente der Großeltern abhängig. [4]

Diese Sparpolitik hatte zur Folge, daß Syriza von 35,5 Prozent bei den Wahlen im September 2015 auf 14,1 Prozent in Umfragen Ende 2016 abgestürzt ist. Bereits im Frühjahr 2016 schlug die sogenannte "Gruppe der 53" innerhalb Syrizas vor, die Regierung solle zurücktreten und die Verantwortung für die Sparmaßnahmen der Nachfolgeregierung ans Bein binden: Lieber "im heroischen Kampf gegen die interne und externe Troika untergehen, als schändlich von der eigenen Gesellschaft in die Wüste geschickt zu werden". Da die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras nur über eine knappe Mehrheit von drei Stimmen im Parlament verfügt und wegen der Sparpolitik unter wachsendem Druck steht, will die EU dem Verlust einer kollaborierenden Administration in Athen vorbeugen.

Ein Rahmenabkommen soll Griechenland auf Jahrzehnte hinaus eine harte Sparpolitik auferlegen. Die Fälligkeitsfristen für die Schulden könnten verlängert und eine Obergrenze für jährliche Zinsen und Schuldenrückzahlungen eingeführt werden. Im Gegenzug soll Syriza "Maßnahmen auf Vorrat" beschließen, die automatisch weitere Kürzungen in Kraft setzen, sobald die geforderten Haushaltsüberschüsse verfehlt oder die Rückzahlungsfristen nicht eingehalten werden. Diese Austeritätsmaßnahmen sollen offenbar jahrzehntelang weitergehen, besteht ihr Ziel doch darin, die griechischen Staatsschulden von über 170 Prozent auf 74 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2060 zu reduzieren. Die Unmöglichkeit, die Schulden jemals zurückzuzahlen, kontert die Eurogruppe mit einem Langzeitplan, der den Würgegriff am Hals der Griechinnen und Griechen verewigen soll.


Fußnoten:

[1] https://www.welt.de/wirtschaft/article161905201/Dieser-Chart-zeigt-wie-schlecht-es-um-Griechenland-steht.html

[2] https://www.wsws.org/de/articles/2016/05/11/syri-m11.html

[3] https://www.welt.de/wirtschaft/article161892836/IWF-Analyse-zu-Griechenland-entsetzt-Europa.html

[4] https://www.wsws.org/de/articles/2016/12/17/grie-d17.html

8. Februar 2017


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