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RAUB/1178: Bauland - wirtschafts- oder überlebenswichtig ... (SB)



Der Onlinehandel verändert nicht nur das Einkaufsverhalten und die Konsumgewohnheiten der Menschen, er führt auch zu neuen ökologischen Belastungen wie dem mehrmaligen Versenden von Gebrauchsgütern insbesondere im Bekleidungsgeschäft, wo bis zu 50 Prozent der Bestellungen an den Anbieter zurückgeschickt werden und dann teilweise nicht mehr verkäuflich sind. Er verändert aber auch den Straßenverkehr durch die Zunahme an motorisierter Transportlogistik, läßt die Innenstädte durch die Ausdünnung des stationären Einzelhandels veröden und strukturiert die Landschaft um.

Ein Beispiel für letzteres ist der Bau eines Rewe-Logistikzentrums im hessischen Wetteraukreis. Auf einer landwirtschaftlich genutzten Fläche in der 40 Kilometer nördlich von Frankfurt gelegenen Gemeinde Wölfersheim will der Einzelhandelskonzern auf 30 Hektar besten Ackerbodens eine Lagerhalle errichten, die nach ersten Planungen auf einer Grundfläche von 175 Meter Breite und 660 Meter Länge eine Höhe von bis zu 35 Metern erreichen soll. Angeblich sind für die Halle inzwischen statt diesen 11,5 Hektar nur noch 8,5 Hektar geplant, allerdings mit der Option auf weiteren Ausbau.

Für die von den KritikerInnen des Bauvorhabens beanstandete Flächenversiegelung ändert das wenig. Der Bau eines Parkplatzes für 250 LKW und 500 PKW würde ohnehin dazu führen, daß der wertvolle, höchste ackerbauliche Anforderungen erfüllende Lößboden unter einer Asphaltdecke verschwindet. Hinzu kämen die ökologischen Belastungen, die durch die für den Betrieb des Logistikzentrums prognostizierten 1500 LKW- und 2000 PKW-Bewegungen täglich für die AnwohnerInnen entständen.

Da allein in Hessen täglich drei Hektar Wiesen-, Wald- und Ackerfläche insbesondere durch Bauvorhaben für Unternehmen belegt werden, handelt es sich bei dieser Auseinandersetzung um ein lokales Geschehen von lediglich regionaler Bedeutung. Die für die Verhinderung des Logistikzentrums eintretende BI Bürger für Boden [1] kritisiert das intransparente Zustandekommen der Bauentscheidung in der Wölfersheimer Gemeindevertretung ebenso wie die Änderung im Regionalen Flächennutzungsplan, der das einst als Ackerland priorisierte Gebiet mit einem Vorrang für Logistikbauten versehen hat, durch die Regionalversammlung des Regierungspräsidiums Darmstadt.

Gegen letzteres hat inzwischen der BUND Klage erhoben, worüber demnächst am Verwaltungsgericht Gießen verhandelt werden soll. Eine kurz vor Weihnachten stattgefundene Veranstaltung zur Informierung der BürgerInnen wies, wie aus dem Bericht der BI [2] zu dem Ereignis hervorgeht, alle Attribute moderner Bürgerbeteiligungsverfahren auf, sprich der Befriedung und Unterdrückung des sozialen Widerstandes. Indem die BI insbesondere das Argument der Zerstörung landwirtschaftlich nutzbaren Bodens anführt, legt sie den Finger in eine Wunde, die auch der Rewe-Konzern, der ausdrücklich mit der Vermarktung regional erzeugter Lebensmittel praktisch frisch vom Acker wirbt, nicht schadlos ignorieren kann.

Um deutlich zu machen, was die weitere Versiegelung der weltweit immer knapper werdenden Ackerflächen bedeutet, hat Werner Ruf auf einer von ihm gepachteten Fläche ein Gemeinschaftsprojekt ins Leben gerufen, bei dem über 300 Menschen zum Eigenverbrauch Gemüse anbauen können. Während der Biolandwirt, der der Ansicht ist, daß wertvolle Ackerböden unter Naturschutz gestellt werden müßten, mit dem prinzipiellen Mangel an Nahrungsmitteln weltweit über ein überzeugendes Argument für das Unterbleiben der Baumaßnahme verfügt, machen politische EntscheidungsträgerInnen wie Harald Schindler, Vorsitzender der SPD-Fraktion in der Regionalversammlung, oder der CDU-Landtagsabgeordnete und ehemalige Justizminister Hessens, Jürgen Banzer, die Notwendigkeit geltend, die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Verbrauchsgütern aus dem Onlinehandel zu versorgen. Banzer denkt dabei insbesondere an immobile ältere Menschen [3].

Anstatt die Landschaft mit Straßen und Gebäuden für die Logistik des digitalen Kapitalismus zu durchziehen, um in Wohnkonserven vereinzelnde Menschen beliefern zu können, wären kollektive Lebens- und Gemeinschaftsformen nicht nur umweltverträglicher, sondern auch für all diejenigen interessant, die unter der Atomisierung zum Markt- und Konkurrenzsubjekt leiden. Vor allem jedoch sind derartige Argumente angesichts einer Welternährungslage, bei der eine Milliarde Menschen regelmäßig hungert und drei Milliarden von Mangelernährung und unzureichender Trinkwasserversorgung bedroht sind, Ausdruck einer bourgeoisen Selbstherrlichkeit, die von der Ausbeutung des Globalen Südens noch nie etwas gehört zu haben scheint und neokolonialistische Handelsbeziehungen im Prinzip begrüßt.

Die Rechnung zwischen Nahrungsmittelproduktion und Flächenversiegelung aufzumachen ist hingegen nicht nur angesichts dessen relevant, daß lediglich fünf Prozent der globalen Landfläche überhaupt für den Ackerbau geeignet sind und die dünne Schicht Humus zwar Jahrtausende für ihren Aufbau braucht, aber in wenigen Jahren unter anderem durch industrielle Intensivlandwirtschaft zerstört werden kann. Sie ist auch in Betracht anderer Faktoren, die die Produktion von Nahrungsmitteln für den Menschen unter Druck setzen, wie die auf rund 40 Prozent der fruchtbaren Böden erfolgende Futtermittelproduktion, bei der hohe kalorische Verluste für die Fleisch- und Milcherzeugung in Kauf genommen werden, oder die Erzeugung von Agrotreibstoff aus Pflanzen, die zur menschlichen Ernährung geeignet sind, von Belang.

Ein Land wie die Bundesrepublik, das den ungeheuren Reichtum an verfügbaren Nahrungsmitteln unter anderem mit Produktivitätsvorteilen erwirtschaftet hat, die es ermöglichen, die Futtermittelsojaimporte aus Argentinien und Brasilien in eine marktbeherrschende Stellung bei der Fleisch-, Eier- und Milchproduktion zu verwandeln, hätte auch aus klimapolitischen Gründen allen Anlaß, anstelle der weiteren Zerstörung der Urwälder Amazoniens, der Asphaltierung der Landschaft und des unbehindert fortschreitenden Wachstums an motorisiertem Individual- und Güterverkehr damit zu beginnen, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln auf suffiziente, sprich am landwirtschaftlichen Ertrag in Deutschland ausgerichtete Füße zu stellen. Anstatt mit einer hochsubventionierten industriellen Landwirtschaft und einem Überangebot an Fleisch und Milch Preisdruck auf die ErzeugerInnen in anderen Ländern auzuüben und die Logistikkanäle deutscher Einzelhandelskonzerne immer weiter anschwellen zu lassen, führte schon die vollständige Übernahme der dabei entstehenden Umweltkosten auf die Allgemeinheit zu heilsamer Ernüchterung.

Was hat das alles mit dem Bau eines Logistikzentrums im südhessischen Wetterau-Kreis zu tun? Der dort entstandene Konflikt bildet die Antipoden zwischen einem auf Kapitalproduktivität orientierten Modell der Produktion, das nur für einen Bruchteil der dabei entstehenden sozialökologischen Verluste aufkommt und das Gros der Kosten intensiven Ressourcenverbrauches externalisiert, und einer auf die konkreten materiellen Erfordernisse der Existenzgrundlagen von Mensch und Natur orientierten Gesellschaft emblematisch ab. Wenn schnelle Lösungen nicht verfügbar sind, angesichts der multidimensionalen Krise des kapitalistischen Weltsystems aber auch keine Zeit zum weiteren Abwarten bleibt, dann ist naheliegenderweise der konkrete Widerstand gegen den weiteren sozialökologischen Niedergang das Gebot der Stunde.


Fußnoten:

[1] https://www.buerger-fuer-boden.org

[2] https://www.buerger-fuer-boden.org/app/download/13302438590/19-01-03+B%C3%BCrgerversammlung_Kurzbericht.pdf?t=1546541982

[3] https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2019/01/02/protest_gegen_neues_rewe_verteilzentrum_in_der_wetterau_dlf_20190102_1145_ff5453a5.mp3

6. Dezember 2018


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