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RAUB/1183: Ökonomie - Zukunftsschlachtfeld Wirtschaft ... (SB)



Industriepolitische Strategien erleben in vielen Teilen der Welt eine Renaissance, es gibt kaum ein erfolgreiches Land, das zur Bewältigung der Aufgaben ausschließlich und ausnahmslos auf die Kräfte des Marktes setzt. Es gibt ganz offenbar Strategien rascher Expansion mit der klaren Zielrichtung, neue Märkte für die eigene Volkswirtschaft zu erobern und - wo immer möglich - zu monopolisieren."
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier [1]

Die gern zitierte Aussage des Carl von Clausewitz, wonach Krieg eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei, ließe sich natürlich auch auf weitere Kernelemente menschlicher Vergesellschaftung wie insbesondere die Wirtschaft anwenden. Fressen und gefressen werden - diese Urratio stoffwechselnder Existenzweise hat auch die Menschheitsentwicklung nie überwunden, wohl aber auf extreme Weise bis hin zur potentiellen Ausrottung der eigenen Art - von anderen Lebensformen ganz zu schweigen - auf die Spitze der Zerstörung getrieben. Wenn Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier mit der "Nationalen Industriestrategie 2030" zum Handelskrieg bläst, geht es um nichts weniger, als deutsches Vormachtstreben auch in ökonomischer Hinsicht global durchzusetzen.

"Lesen Sie dieses Papier", hielt der Wirtschaftsminister bei der Vorstellung seines Entwurfs vor den anwesenden Journalisten den Ball betont flach. "Es ist mit viel Liebe und viel Nachdenken geschrieben, ich habe mir bei jedem Satz etwas gedacht." Auf 21 Seiten analysiert er die Ausgangslage und die Herausforderungen, denen Deutschland ausgesetzt sei, worauf er "Orientierungspunkte einer nationalen Industriepolitik" formuliert. Altmaier habe das Papier persönlich erstellt und an ihm gefeilt, heißt es in Regierungskreisen. In den kommenden Monaten soll es innerhalb der Regierung, aber auch mit Vertretern der Wirtschaft diskutiert werden, um die einzelnen Maßnahmen zu präzisieren, mit denen die Bundesrepublik im Wettbewerb bestehen könne. [2]

Was tiefstapelnd als ganz persönlicher Besinnungsaufsatz präsentiert wird, hat es in sich. Die deutsche Politik, so heißt es darin, müsse "gemeinsam mit den Akteuren der Wirtschaft" einen Beitrag zur "Industrie-Führerschaft auf nationaler, europäischer und globaler Ebene in allen relevanten Bereichen" leisten. Wie diese Wortwahl deutlich macht, handelt es sich um eine Kampfansage an die internationale Konkurrenz. Wir rüsten nicht nur militärisch, sondern auch ökonomisch massiv auf, um weltweite Führerschaft durchzusetzen, so die Botschaft des Pamphlets, das sich wie alle Kriegserklärungen des fadenscheinigen Vorwands bedient, der Gegner lasse einem keine andere Wahl, als sich endlich zu wehren und den Spieß umzudrehen.

"Industriepolitische Strategien erleben in vielen Teilen der Welt eine Renaissance, es gibt kaum ein erfolgreiches Land, das zur Bewältigung der Aufgaben ausschließlich und ausnahmslos auf die Kräfte des Marktes setzt", schreibt Altmaier. "Es gibt ganz offenbar Strategien rascher Expansion mit der klaren Zielrichtung, neue Märkte für die eigene Volkswirtschaft zu erobern und - wo immer möglich - zu monopolisieren." Der deutsche Wirtschaftsminister räumt mit dem Konstrukt der sogenannten freien Marktwirtschaft natürlich nicht auf, die als zentrale ideologische Doktrin den erzwungenen Verkehr zu Lasten schwächerer Partner kodifiziert. Er bekennt sich jedoch offen zu angeblichen Ausnahmefällen, in denen man es mit dem freien Wettbewerb nicht so genau nehmen dürfe, wolle man nicht ins Hintertreffen geraten. Wenn sich andere nicht an die Ordnung und Regeln halten, um sich Vorteile zu verschaffen, wären wir doch dumm, uns weiterhin Zurückhaltung aufzuerlegen, schlägt Altmaier vor.

Die wirtschaftspolitischen Herausforderungen unbeantwortet zu lassen, "würde die eigenen Unternehmen in einer schwierigen Phase alleine lassen und schwächen", so der Minister. Um US-amerikanischen und chinesischen Konkurrenten "auf Augenhöhe" entgegentreten zu können, sollen Monopole gefördert werden, indem das deutsche und europäische Wettbewerbsrecht "überprüft und gegebenenfalls geändert werden". Es stelle sich zunehmend die Frage nach der kritischen Größe, die für einen industriellen Akteur erforderlich ist, um am internationalen Wettbewerb erfolgreich teilzunehmen. Ob beim Bau großer Verkehrsflugzeuge, bei der Schaffung und Modernisierung von Eisenbahnsystemen, bei großen Internetplattformen, im Anlagenbau oder dem internationalen Finanz- und Bankwesen, vielerorts seien "große und starke Akteure" gefragt.

In Deutschland entstünden seit langem kaum noch neue Unternehmen dieser Größenordnung, während in den USA und in China in den letzten 20 Jahren zahlreiche große Weltmarktkonzerne insbesondere im Bereich der Telekommunikationstechnologien, des Internets und der Digitalisierung herangewachsen seien. Auch könnten ausländische Unternehmen in wichtigen Industrien zu dominierend werden und die Wertschöpfung, die derzeit in Deutschland stattfinde, an sich ziehen. Beispielsweise würden 90 Prozent der Wertschöpfung eines in Deutschland hergestellten Autos in Europa erzielt. Elektromobilität und die Entwicklung autonomer Fahrzeuge drohten diesen Wertschöpfungsanteil auf 50 Prozent zu verringern. Deshalb plädiere er für eine Batteriezellenfertigung in Europa. [3]

Neben einer Lockerung der Fusionskontrolle regt der umtriebige deutsche Wirtschaftsminister die Förderung und den Schutz bestimmter Schlüsseltechnologien wie IT-Unternehmen der Plattformökonomie, Künstliche Intelligenz, neue Biotechnologien sowie autonomes Fahren und neuartige Mobilitätskonzepte in der Autoindustrie an. Weltweit erfolgreiche Unternehmen verfügten über eine gewaltige Kapital- und Marktmacht, doch diese Entwicklung gehe bislang an Deutschland vorbei.

Unter Verweis auf den Aufkauf deutscher Firmen in Schlüsselindustrien durch chinesische Unternehmen erklärt Altmaier, daß es vorrangig Sache der privaten Unternehmen sei, mit eigenen Angeboten "etwa durch Weiße Ritter" derartige Übernahmen zu verhindern. Gelinge das nicht, könne der Staat als "letzte Möglichkeit in sehr wichtigen Fällen für einen befristeten Zeitraum selbst als Erwerber von Unternehmensanteilen auftreten". Insgesamt dürfe sich der Anteil staatlicher Beteiligungen aber langfristig nicht erhöhen. Er regte abermals die Schaffung einer nationalen Beteiligungsfazilität an, über deren Umfang regelmäßig dem Parlament zu berichten sei. Eine Teilverstaatlichung, so betonte Altmaier mehrfach, könne er sich wirklich nur als letzte Möglichkeit vorstellen, da der Staat "ein lausiger Unternehmer" sei. Deutschland müsse aber darauf achten, daß es nicht in Teilen "vom Akteur zum passiven Dulder, vom Entwicklungslabor der Welt zur verlängerten Werkbank" werde.

Woraus sich der geplante Schub speisen soll, dürfte kein Geheimnis sein. Handlungsbedarf sieht er bei den Strom- und Energiepreisen, bei der Höhe der Steuern für Unternehmen und bei der Höhe der Sozialabgaben, die dauerhaft unter 40 Prozent liegen sollen. Altmaier schreibt: Der "große Vorsprung der deutschen Industrie im Hinblick auf Technologie und Qualität", der den "Vorteil sehr viel niedrigerer Lohn- und Fertigungskosten in wichtigen Schwellenländern" ausgeglichen habe, schmelze "langsam aber deutlich" ab. "Dadurch steigt der Wettbewerbsdruck auch dort, wo deutsche Unternehmen bislang konkurrenzlos waren." Im Klartext läuft das auf niedrigere Löhne und noch schlechtere Arbeitsbedingungen in Deutschland hinaus, da der angestrebte große Sprung der deutschen Industrie in eine weltweite Führerschaft nur durch verschärfte Ausbeutung der Lohnabhängigen herbeigeführt werden könnte. Zugleich setzt Altmaier eine ungebrochene Ausplünderung natürlicher Ressourcen und Zerstörung der Lebensbedingungen voraus, denn Klima- und Umweltschutz kommen in seinem Papier ausschließlich als Kostenfaktor und Wettbewerbsnachteil der deutschen Industrie vor. [4]

Altmaier rennt mit seiner Offensive insofern offene Türen ein, als Diskussionen um schwächelnde Industrien Deutschlands und Europas allenthalben die Runde machen. Aktuell ist die von der EU-Wettbewerbskommissarin untersagte Fusion der Eisenbahnsparten von Siemens und der französischen Alstom oder der inzwischen auch von Bundesfinanzminister Olaf Scholz befürwortete Zusammenschluß der Commerzbank mit der Deutschen Bank Gesprächsthema. So erstaunt es nicht, daß das Positionspapier überwiegend positiv aufgenommen wurde. "Wir unterstützen eine Neujustierung des europäischen Wettbewerbsrechts", so Bernd Westphal, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. "Die Herausbildung europäischer Champions, die auf dem Weltmarkt bestehen sollen, dürfen nicht durch eine zu enge europäische Marktbetrachtung verhindert werden."

Kritik an Altmaiers Industriestrategie setzte es aus einigen wirtschaftsnahen Kreisen, die befürchten, der Staat mische sich zu stark in ihre Geschäfte ein. Lars Feld, Wirtschaftsprofessor und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, monierte, es handle sich "bestenfalls um französische Wirtschaftstradition, schlechterdings um Planwirtschaft". Er hoffe, "dass dieses Konzept schnellstmöglich wieder in der Schublade verschwindet". Auch die FDP stolpert über ihre eigenen Füße, wenn sie kritisiert: "In schierer Panik vor dem Aufstieg Chinas verabschiedet sich die Union von der Marktwirtschaft", wie Michael Theurer, Vize-Fraktionschef der FPD im Bundestag, behauptete. Er warf Altmaier einen "gefährlichen Irrweg in Richtung Planwirtschaft" vor.

Offenbar bedarf es schon einer extrem marktliberal geschliffenen Brille, um zu übersehen, daß Peter Altmaiers Konzept nicht das geringste mit einer planwirtschaftlichen Bändigung und Überwindung der kapitalistischen Verwertung zu tun hat. Ganz im Gegenteil stellt er staatliches Handeln um so mehr in den Dienst nationaler Kapitalfraktionen, um in enger Verzahnung deutsche Vormachtsphantasien zu beflügeln, die abermals das Arbeitsregime an der Heimatfront fester zurren, um die Welt mit ihrer Aggression zu überziehen.


Fußnoten:

[1] www.wsws.org/de/articles/2019/02/07/indu-f06.html

[2] www.handelsblatt.com/politik/deutschland/wirtschaftspolitik-das-ist-die-neue-industriepolitische-strategie-von-wirtschaftsminister-altmaier/23950112.html

[3] www.faz.net/aktuell/wirtschaft/altmeier-legt-eine-industriestrategie-fuer-die-bundesrepublik-vor-16025363.html

[4] www.taz.de/Deutsche-Strategie-und-Welthandel/!5567570/

7. Februar 2019


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