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RAUB/1209: UN-Weltklimagipfel - es geht um jedes Leben ... (SB)



Mit euren leeren Worten habt ihr meine Träume und meine Kindheit geraubt. Und ich bin noch eine von denjenigen, die Glück haben. Menschen leiden. Menschen sterben. Ganze Ökosysteme kollabieren. Wir stehen am Beginn einer Massenvernichtung, und alles, worüber ihr redet, sind Geld und die Mär vom endlosem Wachstum. Wie könnt ihr es wagen?
Greta Thunberg am 23. September auf dem U.N. Climate Action Summit [1]

"Wie könnt ihr es wagen?" - ob Greta Thunberg die Frage rhetorisch gemeint hat oder nicht, ihr flammender Appell stößt ins Leere. Die damit gemeinten Herrschaften sind längst über den Punkt hinaus, als daß sie ein moralischer Weckruf noch erreichen könnte. Es ist kein Wagnis, die herrschenden Produktionsverhältnisse beizubehalten und sie grün anzumalen, ohne an kapitalistischen Wachstums- und Wettbewerbsprinzipien etwas zu ändern. Der grüne Kapitalismus steht in den Startlöchern, um jede Infragestellung der privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung und der daraus resultierenden Ungleichverteilung der Lebensmöglichkeiten im Keim zu ersticken.

Es ist kein Wagnis, die Bevölkerungen der Welt Klassenwidersprüchen zu unterwerfen, in denen das Leben der einen den Tod der anderen bedeutet. Was Jahrhunderte als Grundlage der Herrschaft des Menschen über den Menschen funktioniert hat, wird sich auch in Zukunft als sozialdarwinistische Matrix individuellen Überlebens bewähren.

Es ist kein Wagnis, im globalen Norden aus privilegierter Position heraus dabei zuzusehen, wie die Klimakatastrophe die Lebensgrundlagen von Milliarden vernichtet, um sich in den verbliebenen Regionen gemäßigten Klimas die von epochalen Dürren und Überflutungen Vertriebenen mit aller Gewalt vom Leibe zu halten. Da die überwiegende Zahl der Flüchtenden nichtweiß und nichtmännlich sein wird, kann der patriarchale Furor der Greta Thunberg entgegengebrachten Feindseligkeit um so weniger erstaunen.

Es ist kein Wagnis abzuwarten und sich gute Chancen darauf auszurechnen, das ganze Ausmaß der Katastrophe aus Altersgründen nicht mehr miterleben zu müssen oder ihre Lösung im Untergang eines Großteils der Menschen, Tiere und Pflanzen anzusiedeln. Welche zivilisatorischen Werte auch immer sollen einer Entwicklung standhalten, in der sich die Karriere der hominiden Primaten zum zerstörerischsten aller Lebewesen schlußendlich gegen sie selbst wendet?

Das Wagnis liegt ganz auf der Seite einer Gegenbewegung, für die Greta Thunberg bei diesem Anlaß das Wort ergreift. Sie tut dies mit einer zornigen Ernsthaftigkeit, die den ihr gezollten Beifall als Versuch erkennen läßt [2], keinen noch so flüchtigen Blick in den Abgrund herrschender Gewaltverhältnisse werfen zu müssen. Indem die Aktivistin die Karte moralischer Empörung bei diesem weltweit wahrgenommenen Anlaß ausreizt, markiert sie die engen Grenzen einer Stellvertreterpolitik, deren SachwalterInnen sich der jungen Frau bislang vergeblich zu bedienen versuchen, um nachfolgende Generationen zu beschwichtigen, die den ökologischen Rückschlag der fossilistischen Produktionsweise auszubaden haben.

Wo die absehbare Verwandlung ganzer Weltregionen in unbewohnbare Wüsten auf der Agenda steht, da geht die moralische Bilanzierung des Schadensfalles so schnell in Flammen auf wie alles übrige, das als fiktiver Reichtum im Abgrund ungedeckter materieller Werte verschwindet. Je höher der Stand der durch Industriestaaten in Anspruch genommenen Klimaschulden ist, desto weniger geht es um ihre Begleichung. Was als Ergebnis ihrer Reichtumsproduktion in realer Naturzerstörung manifest wird, begründet kaum noch eine Bringschuld für die Verursacher des fossilen Brandes. Diese wird ganz im Gegenteil in Form von Emissionsrechten oder CO2-Gutschriften auf eine Weise monetarisiert, von der wiederum diejenigen profitieren, die auch sonst nicht den Fuß vom Gaspedal nehmen wollen. Denjenigen, die am Wegesrand zurückbleiben, predigen sie Resilienz, und wer nicht hart genug für die überhitzte Welt ist, der bleibt halt auf der Strecke.

Greta Thunberg erklärt, nicht glauben zu wollen, daß die Regierungen und FunktionsträgerInnen, die sie adressiert, die Dringlichkeit der Lage wirklich verstehen. Wenn sie das täten und dennoch nichts Einschneidendes unternähmen, dann wären sie "böse". Der damit ausgestellte Glaubwürdigkeitskredit, den Ernst der Lage nur noch nicht begriffen zu haben, ist ein Angebot, das die Angesprochenen kaum annehmen dürften. Sie kennen die von der Aktivistin präsentierten Kerndaten klimawissenschaftlicher Prognosen viel zu genau, als daß sie plötzlich über eine Brücke gingen, deren Brüchigkeit sie allen möglichen Gefahren auslieferte. So bleibt Greta Thunberg mit der Hoffnung, politischer Einfluß könne doch nicht so korrumpiert sein, daß der destruktive Verlauf der Entwicklung sehenden Auges akzeptiert wird, allein. Vielleicht ist es an der Zeit sich einzugestehen, daß ihr Gegenüber so "böse" ist, daß ihre Appelle an der Wand zweckrationaler Ignoranz abprallen müssen.

Am Ende aller Möglichkeiten, mit moralischem Druck etwas anderes auszurichten, als daß sich die damit adressierten VerantwortungsträgerInnen noch tiefer in die Sessel drückten, mit denen die Kommandohöhen administrativer Verfügungsgewalt reichlich bestückt sind, um die weichen Knie nicht belasten zu müssen, bleibt die Möglichkeit, das Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen. Anstatt Angelegenheiten, die für jeden einzelnen über Wohl und Wehe entscheiden, der Lebensrealität der meisten Menschen entfremdeten bürokratischen Apparaten zu überlassen, gilt es, selbst Hand anzulegen. Eine politische Praxis zu entwickeln, die der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen entgegentritt, heißt auch die sozialen Bedingungen zu überwinden, die dahin geführt haben. Was seit jeher die grausame Wirklichkeit des sozialen Krieges bestimmt, tritt in der Klimakatastrophe als Summe einer Praxis der Ausbeutung und Unterdrückung hervor, deren anwachsender Verbrauch stets als produktiver Fortschritt verkannt wurde.

Ohne ein Umdenken, das den sozialen Ursprung der unaufhaltsam erscheinenden Expansion destruktiver Prozesse anerkennt und sie vom Kopf feindseliger Konkurrenz auf die Füße einer Leben in jeglicher Form respektierenden Praxis stellt, wird dies nicht gelingen. Greta Thunberg spricht nicht von "der Menschheit" oder anderen hehren Idealen, mit denen sich der Schmerz existenzieller Not überstrahlen läßt. Sie erklärt ihr Gegenüber - das Publikum im Saal wie alle, die sich sonst gemeint fühlen - schlicht für unreif und droht ihm den Zorn künftiger Generationen an. Für mehr denn als Maßstab des Verhältnisses zwischen Anspruch und Scheitern zu fungieren taugen offiziöse Repräsentationstreffen wie ein UN-Weltklimagipfel, der mit dem Zusatz "action" eine so beschwörende wie vergebliche Wortmagie betreibt, ohnehin nicht. Das zumindest könnte der Auftritt Greta Thunbergs deutlich gemacht haben.


Fußnoten:

[1] in eigener Übersetzung. Original siehe
https://www.npr.org/2019/09/23/763452863/transcript-greta-thunbergs-speech-at-the-u-n-climate-action-summit?t=1569339800047

[2] https://www.youtube.com/watch?feature=youtu.be&v=TMrtLsQbaok&fbclid=IwAR2zcO2J1zjPk9QIv7ia57_F7i04BP0Fejuv8DzD2Ogn9kVMAPRi4-LIPSs&app=desktop

24. September 2019


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