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REPRESSION/1307: Massenverhaftung von Klimaschützern in Britannien (SB)



Bestand einst in politischen Kreisen die Vorstellung, man könne durch Anschläge den demokratischen Staat zu harten Reaktionen zwingen und dadurch sein repressives Antlitz demaskieren, so kann dieses Konzept inzwischen der Historie überlassen werden. Der Staat ist längst zur Offensive gegen jedermann übergegangen. Da muß nichts mehr bloßgestellt werden.

Daß Großbritannien innerhalb der Europäischen Union eine Vorreiterrolle in Sachen Repressionen einnimmt, bewies das Land am Montag mit der zeitgleichen Verhaftung von 114 Personen, von denen sich rund 100 versammelt hatten und die der Klimaschutzbewegung zugerechnet werden. Während sich die Razziaopfer in Haft befanden und verhört wurden, drangen Sicherheitskräfte in ihre Wohnungen ein und beschlagnahmten Computer und Handys. Alle 114 Personen wurden später auf Kaution freigelassen.

Mit dieser Maßnahme will der Repressionsapparat eine Bewegung zersetzen, die gegenwärtig einen regen Zuspruch und Zustrom erfährt. Selbst führende Klimaforscher der USA und Großbritanniens haben sich dem Protest gegen den Bau eines neuen Kohlekraftwerks in Kingsnorth, Grafschaft Kent, durch den deutschen Energieversorger E.ON angeschlossen. Würde das Kraftwerk gebaut und in Betrieb gehen, könnte Großbritannien seine Klimaschutzziele vergessen. Auch die dritte Landebahn für den Internationalen Flughafen Heathrow zählt zu den in der Öffentlichkeit höchst umstrittenen Projekten, durch die vermehrte Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid in die Atmosphäre entlassen würden.

Die an frühere südamerikanische Militärdiktaturen erinnernde Massenverhaftung von Oppositionellen in Großbritannien knüpft an jüngere, teils von großer Härte geprägte Zwangsmaßnahmen gegen die Klimaschutzbewegung an. So knüppelten sich im vergangenen Sommer schwer bewehrte, teils berittene Polizeikräfte durch ein Klima-Camp, das in der Nähe des Standorts des Kohlekraftwerks Kingsnorth errichtet worden war; selbst britische Abgeordnete kritisierten damals das unverhältnismäßig harte Vorgehen der Polizei. Und den Sicherheitskräften, die gegen Demonstranten in Heathrow eingesetzt wurden, erhielten von ihren Vorgesetzten den Auftrag, nach den Richtlinien der Anti-Terrorgesetzgebung vorzugehen.

Die Klimaschützer, die diese Woche vorübergehend verhaftet wurden und deren Namen nun in den Datenbanken des Sicherheitsstaats gespeichert sind, wurden vermutlich von verdeckten Ermittlern aus den eigenen Reihen verraten. Auch wurden vor einiger Zeit die Besucher eines Klimaschutztreffens in einem Café in Brighton von der Polizei gefilmt, und es gilt als sicher, daß die Ordnungshüter vor ihrem Zugriff am Montag Handys und Telefonverkehr abgehört hatten.

Die Proteste gegen klimaschädliche Projekte zeugen von einer hochverantwortlichen Einstellung der Beteiligten. Denn die größten Auswirkungen des heute produzierten Drecks bekommen nicht sie, sondern die nachfolgenden Generationen ab. In solch übergreifenden Zusammenhängen zu denken oder gar praktische Konsequenzen daraus zu ziehen ist unerwünscht. Der Staat will keine Bürger, die sich den Kopf darüber zerbrechen, wie dem Klimawandel zu begegnen sei, und seine Vertreter fühlen sich erst dann sicher vor dem Volk, wenn alle ihrer Arbeit nachgehen oder sich wahlweise dem Los der - selbstverständlich selbstverschuldeten - Arbeitslosigkeit fügen.

Die Repressionen richten sich nicht nur gegen Klimaschützer, von denen im übrigen viele aus der Mitte der Gesellschaft stammen, sondern gegen jedermann. Zuletzt bewiesen deutsche Sicherheitskräfte am 4. April bei der Anti-Nato-Demonstration in Kehl, daß sie nicht weniger entschlossen sind, bürgerliche Grundrechte zu streichen, als ihre britischen Kollegen bei der Verfolgung und Drangsalierung der Klimaschutzbewegung. Europaweit rüsten die Sicherheitsapparate auf und verlegen sich auf Präventionsmaßnahmen, um den wachsenden sozialen Zorn niederzuringen, noch bevor er sich vollends entfaltet hat.

15. April 2009