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REPRESSION/1316: Diffamierender Umgang mit Kritikern von Internetsperren (SB)



Die Sprache, mit der kritischen Bürgern der Verdacht ausgetrieben werden soll, die Staatsgewalt könne dem ihr inhärenten Ermächtigungsstreben Raum geben, kann die Gescholtenen nur in ihrem Argwohn bestätigen. Während die Protagonisten der Einführung von Internetsperren, über die das Bundeskriminalamt in polizeilicher Selbstherrlichkeit verfügen soll, ihrerseits nicht frei davon sind, mit unseriösen Mutmaßungen über den suchtbildenden Charakter von Kinderpornografie oder Unterstellungen zu ihrer angeblichen Verbreitung Stimmung zu machen, arbeiten sie mit Bezichtigungen, wie sie typisch sind für Politiker, denen stichhaltige Argumente fehlen.

So schimpfte die CDU-Bundestagsabgeordnete Michaela Noll die Kritiker des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zur Sperrung kinderpornografischer Seiten, die eine Ausweitung der damit etablierten Netzzensur befürchten, im Bundestag "Verschwörungstheoretiker" (heise online, 06.05.2009). Mit diesem bewährten Brandeisen für Vertreter nonkonformistischer Ansichten können deren Beweggründe auch ohne Beurteilung ihrer Relevanz ad hoc als unseriös verworfen werden. Wenn Noll es "unerträglich" findet, daß den Betreibern der Internetsperren darüber hinausgehende Zensurinteressen unterstellt werden, dann gibt sie unverhohlen zu erkennen, daß sie die Infragestellung exekutiver Machtanwendung für eine Zumutung hält, weil es sich um ein demokratisches Grundrecht handelt, das zur Zeit noch gewisse Wirkung entfalten kann.

Der Informatiker Christoph Meinel, Direktor einer wirtschaftsnahen IT-Innovationsschmiede namens Hasso-Plattner-Institut, behauptet schlichtweg, wer die Vermutung äußere, für Kinderpornografieseiten vorgesehene Websperren könnten auf andere Inhalte ausgedehnt werde, schüre "irrationale Ängste" (heise online, 10.05.2009). Eine aufgrund der in sich widersprüchlichen Sachzwanglogik, die die Verfechter dieses angeblichen Schutzes vor sexueller Ausbeutung von Kindern in Anspruch nehmen, begründete, anhand zahlreicher Beispiele, bei denen monokausal begründete Einschränkungen der Bürgerrechte auf weitere Tatbestände ausgedehnt wurden, beispielhaft zu belegende Kritik hätte mehr Mühe zu ihrer Widerlegung verdient. Wer als Wissenschaftler ein derartiges Urteil über Menschen fällt, die sich völlig legitime Sorgen um ihre Freiheit machen, den scheint an der rationalen Abwägung ihrer Gründe vor allem zu stören, daß sie ihn daran hindern könnten, sich vorbehaltlos auf die Seite der Exekutive zu stellen. Wenn selbst Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zugesteht, daß durch die Verpflichtung der Service Provider zur Bereitstellung der Vorkehrung, vom BKA ausgesuchte Webseiten zu sperren, "Begehrlichkeiten geweckt werden, auch Inhalte ausländischer Anbieter zu reglementieren, die keinen Bezug zu Kinderpornographie aufweisen" (heise online, 24.04.2009), dann erweist sich Meinel als Lobbyist des autoritären Sicherheitsstaats.

Gemeinsam ist den Apologeten der Anwendung exekutiver Maßnahmen gegen den freizügigen Umgang mit dem Internet, daß sie versuchen, ihre Kritiker mit demagogischen Mitteln zu diffamieren, anstatt sich auf eine inhaltliche Diskussion einzulassen. So hat der französische EU-Abgeordnete Jacques Toubon das Votum jener EU-Parlamentarier, die dagegen gestimmt haben, auf eine richterliche Kontrolle aller Eingriffe des Staates, mit denen die Freiheiten der Nutzer von Telekommunikationsmitteln beschränkt werden, zu verzichten, als "terroristisch" (heise online, 08.05.2009) gebrandmarkt. Der Mann kommt insofern zur Sache, als er das wesentliche des Terrorismusbegriffs, seine universale Verwendbarkeit für die Aushebelung grund- und bürgerrechtlicher Schutzgarantien, unverhohlen in Anspruch nimmt.

Der im Rahmen des Internets noch vorhandene Freiraum hat für den Sicherheitsstaat durchaus den Vorteil, aufwendige Methoden der Observation durch schlichte Internetrecherchen ersetzen zu können. Dennoch scheint die Möglichkeit, daß sich Menschen auf einem Weg kundig machen und organisieren, der weit mehr Breitenwirkung entfalten kann als klassische Formen der Mobilisierung, diesen Nutzen weit zu übersteigen. Beispiel für die Zensur politisch linksradikaler Webseiten etwa in Schulfiltern existieren bereits, so daß der Schritt, gesinnungsorientierte Zugangssperren per Verfügung des BKA zu verhängen, kaum so entlegen sein kann, wie die Befürworter der initialen Etablierung dieser Verbotsstruktur behaupten.

Im Rahmen der Debatte um Urheberrechte im Internet denkt Bundesjustizministerin Zypries bereits über die stärkere Regulierung des Netzes nach. Sie bezieht sich dabei explizit auf die absehbaren Folgen zur Bekämpfung der Kinderpornografie eingeführter Internetsperren und will weder deren Ausweitung auf illegale Angebote geschützter Werke noch eine "partielle Einschränkung der Anonymität im Internet" (heise online, 07.05.2009) ausschließen. "Wehret den Anfängen" zu fordern genügt nicht mehr. Die Überlegungen und Konzeptionen, die sich an die umfassende Überwachung aller Telekommunikation anschließen und deren Einschränkung antizipieren, sind bereits so entwickelt, daß die Bürger, die sich allmählich aufmachen, mit Petitionen und Demonstrationen gegen den Vormarsch des Sicherheitsstaats im Netz anzugehen, einige Schwierigkeiten haben, aus der Defensive nach vorne zu kommen und sich eines unsentimentalen Umgangs mit den Zwecken und Zielen jeglicher Staatsmacht zu befleißigen.

17. Mai 2009