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REPRESSION/1317: Kinderbesuchstag im Knast - Initiation per Elektroschock (SB)



Der 23. April wird in den USA als "Take Our Daughters and Sons to Work Day" begangen. Er gibt jenem rapide schrumpfenden Sektor der werktätigen Bevölkerung, der noch Arbeit hat, die eine Familie ernährt und präsentabel für die nachfolgende Generation ist, Gelegenheit, den Sprößlingen gewissermaßen in natura vorzuführen, womit ihr Ernährer sein Geld verdient. An einem solchen Tag können selbst die Mitarbeiter des Strafvollzugssystems ihren Kindern zeigen, wie lustig es bei ihrer Arbeit zugeht und wie haltlos alle Schmähungen sind, es handle sich um einen übel beleumdeten Berufsstand, der ein Hort für sadistisch veranlagte Naturen ist.

Im Sonnenstaat Florida hielten nach Angaben der Strafvollzugsbehörden 55 Gefängnisse solche Veranstaltungen ab, was fast der Hälfte aller Strafanstalten in diesem Bundesstaat entsprach. Für die kleinen Gäste gab es jede Menge Pfannkuchen und andere Attraktionen, dazu Festtagsreden, Hundevorführungen und Besichtigungstouren, letztere natürlich nur im Außenbereich der Einrichtungen. Und da man schon einmal dabei war, den Nachwuchs zu beeindrucken, kehrten einige Ausbilder den harten Hund heraus und versetzten sich eigenhändig Schläge mit Elektroschockern, den sogenannten Stun guns.

Im Gegensatz zu Tasern, die zwei Elektroden über eine gewisse Distanz verschießen und das Opfer am ganzen Körper mit Hochspannungsstößen traktieren, was in zahlreichen Fällen zu schweren Verletzungen oder zum Tod geführt hat, werden die Stun guns direkt am Körper aufgesetzt. Sie lösen in einem eher begrenzten Bereich eine schwere Schockwirkung aus und hinterlassen zwei sichtbare Brandmale auf der Haut. Wie alle Elektroschockwaffen gelten sie als wirksam, da sie das Opfer augenblicklich außer Gefecht setzen, aber angeblich ungefährlich, da sie keine bleibenden Schäden hervorrufen - zumindest nach Angaben der Hersteller und ihrer Kunden in Kreisen der Sicherheitskräfte und Justizbehörden.

Daß letzteres von Kritikern heftig bestritten wird und man Gefängniswärtern vorwirft, sie quälten Insassen mit Elektroschockern und vertuschten dadurch hervorgerufene "Unfälle", mag der Teufel gewesen sein, der einige Ausbilder ritt, als sie den neugierigen Kindern und Jugendlichen demonstrierten, wie harmlos diese Geräte doch in Wirklichkeit seien. Wie inzwischen herauskam, wurden in drei Gefängnissen insgesamt mehr als 40 junge Besucher entweder einzeln mit einer Stun gun geschockt oder sogar im Kreis stehend und händehaltend traktiert, da man dabei zu spüren bekommt, wie weit sich der Effekt fortpflanzt.

Die Kinder und Jugendlichen waren im Alter von fünf bis siebzehn Jahren und trugen offiziellen Angaben zufolge keine Verletzungen davon, was angeblich auch für eine Gruppe galt, die bei einer Vorführung von Tränengas in Mitleidenschaft gezogen wurde. Sämtliche Eltern der betroffenen Kinder waren Mitarbeiter des Strafvollzugs und in etlichen Fällen hatten sie sogar explizit ihre Erlaubnis für das fragwürdige Experiment gegeben.

Das ging denn doch zu weit, und so hatte diese eigenwillige Auslegung, in welchem Ausmaß man den Nachwuchs mit den Härten des beruflichen Alltags konfrontieren sollte, ein Nachspiel: Drei Mitarbeiter wurden entlassen, zwei weitere haben ihre Kündigung eingereicht. Um Schadensbegrenzung bemüht, versicherte der Leiter des Strafvollzugswesens in Florida, Walter McNeil, das Verhalten der betreffenden Personen sei nicht hinzunehmen, worauf er sich bei den Kindern und Eltern entschuldigte. Im übrigen habe keiner der Gefängniswärter vorab davon Kenntnis gehabt, daß man die Elektroschocker an Kindern anwenden würde. Wie um das angeblich Unerklärliche doch zu erklären, fügte McNeil hinzu, er selbst sei zwar noch nie mit einem solchen Gerät geschockt worden, doch gehöre die Demonstration im Kreis zur üblichen Ausbildung der Mitarbeiter. (New York Times 17.05.09)

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, heißt es. Ob das auch für die Kinder gilt, die diesen Tag der offenen Tür im Gefängnis - was man natürlich nicht allzu wörtlich nehmen sollte - so schnell nicht vergessen werden, weiß der Himmel. Angesichts einer Gesellschaft, die ihre Mitglieder in so hoher Zahl hinter Gitter verfrachtet wie die amerikanische, muß man sich jedenfalls nicht wundern, wenn erwachsene Menschen es gar nicht abwegig finden, Kindern eine derartige Initiation zu verpassen: Vielleicht lernen die Kleinen dabei ja frühzeitig und spontan, welche Seite des Elektroschockers allemal die günstigere ist.

19. Mai 2009