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REPRESSION/1341: Persönliches Finanzgebaren unter präventivem Terrorverdacht (SB)



Allein die Tatsache, daß der Standort eines Servers darüber entscheidet, ob die US-Regierung Zugriff auf vertrauliche Bankdaten europäischer Bürger erhält, müßte bei diesen alle Alarmglocken läuten lassen. Die nach der Enthüllung dieser Praxis vor drei Jahren beschlossene Verlagerung der zentralen Computer der Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (SWIFT) in die Schweiz und die Niederlande wurde damit begründet, daß es den Sicherheitsbehörden der USA damit nicht mehr ohne weiteres möglich sei, Einblick in die darüber prozessierten Finanzdaten zu nehmen. Daß im weltweiten datenelektronischen Netz erfolgende Dienstleistungen nicht davor immun sind, von den Behörden der Länder, in denen die dafür zuständigen EDV-Anlagen stehen, überwacht zu werden, dokumentiert ein Ausmaß an exekutiver Willkür, das die Behauptung, die Verlagerung der Datenverarbeitung könnte daran etwas ändern, nicht eben glaubhaft erscheinen läßt.

Viel mehr könnte man mutmaßen, daß die Überwachung der SWIFT-Daten in den USA durchaus im Sinne europäischer Regierungen war, haben diese doch auf diesem Umweg Zugriff auf vertrauliche Informationen erhalten, die nach europäischem Recht nicht so unkompliziert zu erhalten gewesen wären. Ganz im Geist eines absolutistischen Überwachungsanspruchs, laut dem sich durch nationale Zuständigkeiten und unterschiedliche Niveaus des bürgerrechtlichen Schutzes ergebende Lücken geschlossen werden sollen, haben die Außenminister der EU-Mitgliedstaaten heute der EU-Kommission den Auftrag erteilt, mit den US-Behörden Verhandlungen über die Gestaltung ihres weiteren Zugriffs auf die Bankdaten zu führen.

Sie haben damit den Versuch des Dienstleisters SWIFT, den US-Behörden den Zugriff auf seine Daten durch die Verlagerung der Server nach Europa zu erschweren, gezielt zunichte gemacht. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung sollen weiterhin vertrauliche Informationen über europäische Bürger in die USA fließen, obwohl dort im Umgang mit sogenannten Terrorverdächtigen Gesetze gelten und Maßnahmen durchgeführt werden, die mit den rechtsstaatlichen Standards der sogenannten Wertegemeinschaft EU nicht zu vereinbaren sind.

Bezeichnenderweise werden die Möglichkeiten bürgerlicher Emanzipation im gleichen Atemzug, in dem exekutive Kompetenzen entgrenzt und damit der demokratischen Kontrolle der Betroffenen entzogen werden, zunichte gemacht. Der Ausbau des globalen Kontrollapparats erfolgt nicht von ungefähr gegenläufig zur Stärkung demokratischer Rechte. Daß es sich um eine Usurpation administrativer Verfügungsgewalt durch die Funktions- und Kapitalmachteliten handelt, wird mit einer Sachzwanglogik unterschlagen, deren konstitutive Irrationalität ihren Kritikern in Form eines politischen Gesinnungsverdachts projektiv angelastet wird.

So spielen sich Ministerrat und Kommission die Bälle zu, ohne das EU-Parlament einzubeziehen. Dort wurden in Datenschutzfragen schon Mehrheiten erzielt, die die Entwicklung zum gläsernen Bürger zwar nicht aufhalten, aber verlangsamen können. Die Dringlichkeit einer transatlantischen Terrorismusbekämpfung, die gerade in diesem Bereich jeden Nachweis der Notwendigkeit des weiteren Aushöhlens bürgerrechtlicher Schutzgarantien schuldig bleibt, läßt nur den einen Schluß zu, daß der Terrorismusbegriff in den Zentralen der Geheimdienste und Polizeibehörden längst auf gesellschaftliche Konflikte ausgedehnt wurde, die mit dem propagierten Bild einer islamistischen Bedrohung nichts zu tun haben.

Es geht schlicht um den Ausbau eines Repressionsapparats, der unter anderem in der Lage ist, die finanzielle Bemittelung jedes von der wahren Lehre abfallenden Bürgers und jeder politisch radikalen Gruppierung bis ins Detail überwachen zu können. Überweisungen zwischen Personen und Organisationen komplettieren die Erkenntnisse über soziale Netzwerke, die der Staat bereits durch andere Informationen wie die Geodaten des Mobilfunks, den E-Mail-Verkehr oder die Videoüberwachung des öffentlichen Raums erlangt hat. Da über SWIFT auch Inlandsüberweisungen verfolgbar werden, können diese Informationen kleinste Details wie etwa den Bezug einer bestimmten Zeitung oder den Kauf bestimmter Waren umfassen.

Auch wenn die Oppositionsparteien im Bundestag Protest gegen dieses eigenmächtige Vorgehen eingelegt haben, so wird doch viel zu wenig im Grundsatz danach gefragt, was mit der immer extensiveren Finanzkontrolle überhaupt bezweckt wird. Da der Staat damit Informationen über die individuelle Nutzung des zentralen, als Banknote bislang anonymen und universalen Tauschäquivalents anstrebt, geht man nicht fehl in der Annahme, daß die individuelle Geschäftstätigkeit ebenso unter präventiven Terrorverdacht gestellt werden soll wie andere Bereiche der persönlichen Lebensführung.

27. Juli 2009