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REPRESSION/1393: Nicolas Sarkozy als Vorkämpfer sozialrassistischer EU-Politik (SB)



Die aggressive Rhetorik, mit der Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy den "nationalen Krieg" gegen das Verbrechen ausgerufen hat, läßt ermessen, in welchen Schwierigkeiten sich die mit überbordenden Staatsschulden belastete Regierung des Landes befindet. Sie weiß, daß der innere Zusammenhalt der Gesellschaft durch die weitere Verschärfung des neoliberalen Austeritätsregimes akut bedroht ist und beugt der Möglichkeit, daß Frankreichs Bürger geschlossen Widerstand gegen ihre Verarmung üben, mit der Konstruktion eines probaten Feindbilds vor. So richtet sich diese Offensive des autoritären Sicherheitsstaats in erster Linie gegen Menschen mit migrantischem Hintergrund. Personen "ausländischer Herkunft" drohte Sarkozy in Grenoble für den Fall, daß sie "einen Polizisten, Gendarmen oder einen Vertreter der öffentlichen Ordnung" angreifen, den Entzug der französischen Staatsangehörigkeit an. In der Alpenstadt war es zu Riots von Bürgern maghrebinischer Herkunft gekommen, nachdem die Polizei einen Verdächtigen aus ihren Reihen auf der Flucht vor der Verhaftung erschossen hatte.

Auch wenn Sarkozy aufgrund der Woerth-Bettencourt-Affäre um Korruption zwischen der Oligarchie des Landes und seiner Regierungspartei UMP zweifellos allen Grund für ein Ablenkungsmanöver größeren Stils hat, ist die Bedeutung seines Vorstoßes über den aktuellen Anlaß hinaus von allgemeiner Art. Mit der Ankündigung, die Mindeststrafen für Gewalt gegen staatliche Sicherheitskräfte zu erhöhen, rückfällige Straftäter mit der elektronischen Fußfessel kontrollierbar zu machen, Sozialleistungen für illegale Einwanderer zu streichen und vor allem eingebürgerten Ausländern die Staatsbürgerschaft zu entziehen, wenn sie sich gegen die Staatsmacht zur Wehr setzen, empfiehlt sich Sarkozy als harte Hand, die alle gesellschaftlichen Mißstände eliminiert. Daß diese aus ganz anderen, eng mit dem neoliberalen Charakter der europäischen Politik verknüpften Quellen stammen, wird mit rassistischer Symbolpolitik vergessen gemacht.

Die militante Diktion vom mehrjährigen "Krieg" gegen das Verbrechen erinnert nicht von ungefähr an die Rhetorik des Terrorkriegs, mit der US-Präsident George W. Bush sich exekutive Vollmachten quasidiktatorischer Art verschafft hat. Zwar verschwand der gemeinhin als Patriot Act II bezeichnete Gesetzesentwurf "Domestic Security Enhancement Act of 2003" aufgrund der breiten öffentlichen Kritik auch in den Reihen der republikanischen Partei wieder in der Schublade, doch war dort bereits vorgesehen, US-Bürgern bei "materieller Unterstützung des Terrorismus" die Staatsangehörigkeit zu entziehen und sie als Staatenlose in andere Länder zu deportieren. Da dieser Straftatbestand schon auf angebliche Gesinnungsdelikte anwendbar gewesen wäre, hätte jede kritische Meinungsäußerung zur Kriegführung Washingtons in Staaten, die angeblich den Terrorismus unterstützen, Handhabe gegen deren Urheber gegeben.

Nachdem Sarkozy die Änderung der Einwanderungsgesetze zugunsten der erleichterten Ausweisung von Roma verlangt hat, verschärft er mit diesem Angriff auf Bürger nordafrikanischer Herkunft die Gangart. Sollte die rassistische Stigmatisierung der Roma noch in erster Linie Bürger anderer EU-Staaten treffen, so sind nun Franzosen an der Reihe, die in den Augen des rechten Teils der weißen Mehrheitsbevölkerung keine wirklichen Franzosen sind. Frankreichs Präsident schöpft aus dem Vollen eines rassistischen Ressentiments, das sich gegen die Opfer und Nachkommen des französischen Kolonialismus wie gegen die Verlierer der kapitalistischen Gesellschaft richtet. Der Sohn eines ungarischen Fremdenlegionärs und der Nachfahrin sephardischer Juden schwingt sich damit zum Vorkämpfer einer sozialrassistischen Repression auf, die man in Frankreich zuvor nur dem Rechtsaußenpolitiker Jean Marie Le Pen zugetraut hätte.

Die Stigmatisierung ethnischer Minderheiten in der französischen Bevölkerung soll die Masse der Franzosen darüber hinwegtäuschen, daß ein qualitativer Sprung im Arsenal staatlicher Zwangsmaßnahmen, als der die Sanktion des Entzugs der Staatsbürgerschaft zu bezeichnen ist, jeden Bürger des Landes mit Staatenlosigkeit bedroht. In einer angeblich demokratischen Republik Menschen damit zu bedrohen, sie aus der Gemeinschaft der Staatsbürger zu verstoßen, ist ein offenes Signal für die machiavellistische Usurpation der Staatsmacht. Was auf den ersten Blick als nationalistische Erhebung "echter" Franzosen wirkt, erweist sich bei längerem Hinschauen als Maßnahme sozialer Selektion, die weniger die Hautfarbe und Herkunft als den Nutzen der Betroffenen für die gesellschaftliche Produktivität zum Maßstab ihrer strafenden Gewalt nimmt.

Als Jörg Haider in Österreich an der Regierung beteiligt wurde, gehörte Frankreich zu den lautstärksten Verfechtern EU-europäischer Sanktionen gegen die Alpenrepublik. Heute residiert im Elysée-Palast ein rassistischer Populist, der dem verstorbenen österreichischen Politiker in seinem Angriff auf die Rechte eigener Bürger wie im Land lebender Ausländer in nichts nachsteht. Feindseligkeiten dieser Art gehören zur neuen Normalität einer Europäischen Union, deren sozialfeindliche Politik Rechtsradikalismus in Serie produziert, ohne daß die europäischen Eliten daran noch ernsthaft Anstoß nähmen.

2. August 2010