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REPRESSION/1434: Geheimabkommen britischer Behörden mit sozialen Netzwerken (SB)



Die Hoffnung, auf dem Wege umfassender elektronischer Vernetzung freie und gleiche Gesellschaften zu befördern, mündet in den Alptraum vollständiger Kontrolle des Menschen und seiner sozialen Beziehungen. Indem die Protagonisten einer rückhaltlosen Offenlegung der für irrelevant erachteten Privatsphäre die bestehenden Herrschaftsverhältnisse ignorieren und Information mit Wissen verwechseln, forcieren sie innovative Zugriffsmöglichkeiten ökonomischer und repressiver Art bis hinein in die nicht länger intimen Wünsche, Interessen und zwischenmenschlichen Kontakte. Während der Mensch auf diese Weise in all seinen Regungen und Entäußerungen der Verwertung zugeführt wird, verwandelt sich das Netz, dem er sich anvertraut, in ein Werkzeug seiner Ausforschung, Überwachung und Sanktionierung.

Die Umkehrung dessen, was sich der Nutzer sozialer Netzwerke von ihnen verspricht, vollzieht sich schubweise und auf Vorwandslagen gestützt, die die Akzeptanz des Eingriffs erhöhen und die langfristige Stoßrichtung verschleiern. Diesen Prozeß dokumentieren aktuelle Verhandlungen britischer Behörden mit Vertretern von Twitter, Facebook und BlackBerry im Gefolge der jüngsten Unruhen in zahlreichen Städten des Landes. Die Forderung Premierminister David Camerons nach Restriktionen des Gebrauchs dieser Netzwerke, die zur Verabredung von Straftaten und Unterlaufung polizeilicher Maßnahmen mißbraucht worden seien, fand ihren Widerhall in den Medien und ebnete geplanten Eingriffen den Weg.

Beide Seiten zeigten sich peinlich bemüht, den freiwilligen Charakter der Zusammenarbeit zu betonen und die getroffenen Vereinbarungen vom Ruch der Zensur und doppelter Standards zu entlasten. So betonte Innenministerin Theresa May, daß die Gespräche keineswegs darauf abzielten, Restriktionen der Internetdienste zu erörtern. Es gehe einzig und allein darum, deren Mißbrauch zum Zweck kriminellen Verhaltens einzuschränken. Eine Sprecherin Mays fügte hinzu, daß die Regierung keine zusätzlichen Machtbefugnisse anstrebe. [1]

Nach dem Treffen, das als privat ausgewiesen wurde und in einer Dienststelle der Regierung stattfand, enthielten sich die Repräsentanten der beteiligten Unternehmen aller dezidierten Aussagen, welche spezifischen Maßnahmen sie in Kooperation mit Polizei und Regierung zu ergreifen gedenken. Statt dessen beließen sie es bei sorgsam formulierten schriftlichen Erklärungen, deren nichtssagender Inhalt um so mehr den Geheimcharakter der getroffenen Vereinbarungen unterstrich. Die Internetdienste sind sich der geschäftsschädigenden Wirkung einer offensichtlichen Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen nur allzu bewußt, müssen sie doch angesichts der in jüngerer Zeit aufgebrochenen Kontroverse um ihre Geschäftspraktiken und mutmaßlichen Zuträgerdienste wachsende Vorbehalte seitens ihrer Kunden fürchten.

Die Brisanz der Thematik liegt auf der Hand. Geheime Verhandlungen zwischen Behörden und Internetdiensten entziehen sich naturgemäß jeglicher rechtlichen Kontrolle und Überprüfbarkeit durch die Öffentlichkeit. Diese Handhabung impliziert zwangsläufig das Gegenteil dessen, was die Beschwichtigung von Regierungsseite glauben machen will. Zudem eröffnet die erklärte Absicht der Innenministerin, dem Mißbrauch der Netzwerke entgegenzutreten, ein weites Feld staatlicher Eingriffe. Was Mißbrauch oder gar kriminelles Verhalten sei, definieren bekanntlich nicht die Bürger, zumal die dabei angelegten Standards unablässig in Richtung einer restriktiveren Auslegung verschoben werden. Erhält die Polizei erweiterten Zugang zu den Daten dieser Dienste, vermag letzten Endes niemand zu kontrollieren, ob und zu welchen Zwecken das Sammeln von Informationen entufert.

Die hohen Gefängnisstrafen von je vier Jahren für zwei junge Männer, die via Facebook zur Beteiligung an den Unruhen ermuntert hatten, ohne daß ihr Aufruf im speziellen Fall befolgt worden wäre, sind nur ein Beispiel für zu erwartende Konsequenzen verschärften behördlichen Zugriffs auf die sozialen Dienste. Wurde anhand dieser und ähnlich gelagerter Beispiele als unangemessen harsch empfundener Urteile insbesondere eine staatliche Überreaktion kritisiert, so greift dieser Einwand für sich genommen zu kurz. Wenngleich die Cameron-Regierung zweifellos bestrebt war, mittels Schnellgerichten und harten Strafen Entschlossenheit zu demonstrieren und eine Drohkulisse aufzubauen, weist die Stoßrichtung doch weit darüber hinaus.

Obwohl inzwischen Wochen seit den Unruhen vergangen sind, hält der Fahndungsdruck in den betroffenen Stadtteilen unvermindert an. Während sich die kurzlebige Wahrnehmung der Medien längst anderen spektakulären Ereignissen zugewandt hat, treibt die britische Polizei und Justiz unter dem Radar einer breiteren Öffentlichkeit die Durchdringung der Wohnquartiere und die Abstrafung mutmaßlicher Renitenz voran. Dabei werden Entwicklungen beschleunigt, die auf eine derzeit situativ erleichterte Umsetzung lange vorgedachter Strategien zur Kontrolle insbesondere der ärmeren Bevölkerungsschichten schließen lassen.

Bei der Verfügbarmachung des Internets muß die britische Regierung zumindest nach außen hin behutsam zu Werke gehen. Mißverständnisse und Übertreibungen nach dem Muster der vielzitierten "Facebook-Revolution" haben sich als propagandistische Kampfbegriffe und Verschleierungskonzepte tief im Bewußtsein der Öffentlichkeit eingenistet. Ist der tatsächliche oder imaginierte Gebrauch neuer Medien durch eine junge Generation zum Inbegriff sozialer Umwälzungen in zahlreichen Ländern geworden, so werden staatlich verfügte Einschränkungen des Internets westlicherseits als unabweisliches Zeichen von Unfreiheit und Demokratiefeindlichkeit gegeißelt, sofern es sich um Feindbilder wie China, den Iran oder neuerdings auch arabische Regime handelt. Parallelen zur Niederschlagung des "arabischen Frühlings" und zu totalitären Staaten muß die Cameron-Administration tunlichst entkräften, wenn sie ihrerseits zu Mitteln greift, die sie andernorts vehement verurteilt.

Die New York Times läßt in ihrem Bericht über die Londoner Gespräche zwischen Regierungsvertretern und Netzwerkbetreibern den hochrangigen Polizeibeamten Gordon Scobbie zu Wort kommen, der an dem Treffen teilgenommen hat. Zuständig für die Präsenz der Polizei in den sozialen Netzwerken, fiel Scobbie in diesem Fall gewissermaßen die Aufgabe zu, das vereinbarte Stillschweigen über die konkreten Inhalte der getroffenen Vereinbarungen zu wahren und den Medien mit gewissen Andeutungen dennoch Futter zur Beförderung der Kampagne in der Öffentlichkeit zu geben. Wenngleich er das Unbehagen einiger Leute durchaus verstehen könne, falle ihm doch schwer tatenlos zuzusehen, wenn soziale Netzwerke Fälle schwerer Kriminalität zuließen, so Scobbie. Die Polizei habe nun einmal die Aufgabe, die Menschen zu schützen, wobei die Vorgehensweise stets mit der Wahrung der Menschenrechte ausbalanciert werden müsse.

Daher habe man bei dem Treffen erörtert, in welchem Ausmaß die Netzwerke bereit sind, die Vorgaben zur Wahrung der Privatsphäre ihrer Kunden zu lockern, um die Polizei bei der Verfolgung krimineller Aktivitäten zu unterstützen. Beispielsweise könnte Twitter in Erwägung ziehen, die Nutzer zur Verwendung von Klarnamen zu zwingen. Research In Motion habe sich ja schon bereiterklärt, der britischen Polizei unter gewissen Umständen Informationen aus dem Netzwerk BlackBerry Messenger zur Verfügung zu stellen. Dabei könnte es sich vielleicht um Protokolle für einen leichteren Zugang handeln, wie sie das Unternehmen auch mit Saudi-Arabien und Indien ausgehandelt habe. Nicht zuletzt plane die Polizei, mit einer entsprechenden Software die ungeheuren Datenmengen sozialer Medien zeitnah auszuwerten, um Anzeichen bevorstehender Unruhen zu identifizieren und präventive Maßnahmen einzuleiten. Das alles sei im Grunde gar nichts Besonderes, wiegelt Scobbie ab. Schließlich benutzten die Leute auch das Telefon, das man unter gewissen Umständen abhören dürfe. Daher brauche man doch nicht zurückzuschrecken, nur weil es sich beim Internet um ein anderes Medium handle. Die Polizei müsse ihre Autorität wahren - online und im richtigen Leben.

Damit ist das Geheimnis gewahrt und dennoch alles gesagt, was man der Öffentlichkeit an verdaulichen Portionen zu verabreichen gedenkt. Packt man die Bürger bei ihrem verständlichen Wunsch nach Schutz ihrer Unversehrtheit und ihres Eigentums, hat man den Fuß zur Durchsetzung verschärften Zugriffs in die Tür gestellt. Was der Eindringling dann in einem Haus anrichtet, dessen Bewohnern Privatsphäre gewohnheitsmäßig ein Fremdwort ist, kann man sich ausmalen.

Fußnote:

[1] http://www.nytimes.com/2011/08/26/world/europe/26social.html

27. August 2011