Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

REPRESSION/1436: WikiLeaks ... wo die Pressefreiheit nicht hinreichen soll (SB)



"Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, aber auch für sie gibt es Grenzen", so der Beitrag des Vorsitzenden des Rechtsausschusses im Bundestag, Siegfried Kauder, zur aufgeregten Debatte um die von WikiLeaks nun vollständig verfügbar gemachten 250.000 Depeschen der US-Botschaften. Kauder fordert einen besseren Schutz für streng vertrauliche Informationen, die Menschen in Gefahr bringen könnten, und ruft nach strafbewehrten Maßnahmen, um derartige Veröffentlichungspraktiken zu verhindern.

Obwohl der CDU-Politiker Vorsitzender im BND-Untersuchungsausschuß des Bundestages ist, scheint er nicht zu wissen, daß die Diplomatenpost mit den Klarnamen der Informanten der US-Regierung, deren Leben nun gefährdet sein soll, bereits vor der ersten Veröffentlichung durch WikiLeaks einem Kreis von 2,5 Millionen US-Beamten und -Militärs auf den Servern des Secret Internet Protocol Router Network (SIPRNet) des State Department und Pentagon mit nur geringen Sicherheitsbeschränkungen verfügbar waren. Wenn die Geheimdienste derjenigen Staaten, in denen nun das Leben von Informanten der US-Regierung bedroht sein soll, sich diese Informationen damals noch nicht verschafft hatten, dann werden sie spätestens zugegriffen haben, als mehrere westliche Medien bekanntgaben, über das ganze Paket an Datensätzen zu verfügen, die WikiLeaks nicht in den Kreis der fünf privilegierten Zeitungen einbezogen hatte, die die Depeschen in kleinen Portionen auswerteten.

Die jetzt gegen WikiLeaks erhobenen Vorwürfe kranken daran, daß der aus Sicht der US-Regierung und ihrer Verbündeten bereits erfolgte Schaden zugunsten der fortgesetzten Demontage der Whistleblower-Plattform verharmlost wird, während WikiLeaks mit dem Ruch einer mutwilligen Gefährdung des Lebens von Informanten behaftet wird, bei denen nicht immer klar unterschieden wird, wer genau gemeint ist. Tatsächlich ist das Leben des mutmaßlichen Whistleblowers Bradley Manning bedroht, allerdings durch die US-Regierung, die ihn der Kollaboration mit dem Feind bezichtigt und mit menschenfeindlichen Haftbedingungen traktiert hat. Skandalisiert jedoch wird die Gefahr, in der Informanten der US-Botschaften schweben, falls ihre Namen in die Hände ihrer Regierungen fielen. Dies wiederum kann kaum eine Folge des nun erfolgten Schritts von WikiLeaks sein, da das gesamte Datenpaket mit der Depeschenpost und das dazugehörige Paßwort bereits seit längerem im Internet verfügbar sind.

Gar nicht aufgeworfen wird die Frage, inwiefern Informanten aus Ländern, die als potentielle Kriegsziele der USA gelten, ihrerseits das Leben von Menschen gefährden, die etwa im Drohnenkrieg, den die CIA in Pakistan führt, oder beim Einsatz von Killerkommandos der US-Streitkräfte in Afghanistan, gezielt ins Visier sogenannter extralegaler Hinrichtungen genommen werden. Der BND-Untersuchungsausschuß selbst hat sich, nicht zuletzt aufgrund bürokratischer, von Kauder abgesegneter Behinderungen bei der Akteneinsicht, nicht gerade verdient gemacht um die Aufklärung des Verdachts, daß deutsche Sicherheitsbehörden durch die Bereitstellung spezifischer Informationen über sogenannte Terrorverdächtige mit dazu beigetragen haben, daß diese von den US-Diensten verschleppt und in Folterhaft genommen wurden. Wenn es also darum geht, Menschenleben durch die Unterbindung von Informationsflüssen zu schützen, dann hätten die Regierungen demokratischer Staaten allen Grund dazu, die antidemokratischen Privilegien der Nachrichtendienste zu beschneiden, die nachrichtendienstliche und polizeiliche Zusammenarbeit mit Regierungen und bewaffneten Gruppen einzustellen, die die Menschenrechte mißachten, und neue Formen der informationstechnischen Observation wie die Einrichtung zentralisierter Datenbanken über politisch mißliebige Gruppen oder zu sogenannten Radikalisierungstendenzen rückgängig zu machen.

Das Gewaltmonopol des Staates auf autoritäre und repressive Weise gegen grundrechtliche Schutzgarantien auszuspielen genügt ganz anderen Zwecken als der Bekämpfung des Terrorismus, der spätestens seit dem 11. September 2001 die zentrale Legitimation zur Einschränkung der Bürgerrechte darstellt. Die nach den rechtsterroristischen Anschlägen in Norwegen erhobene Forderung des Bundesinnnenministers Hans-Peter Friedrich nach Abschaffung der Anonymität im Internet zielt ebenso auf die generelle Unterdrückung des demokratischen Diskurses ab wie die in diesem Zusammenhang laut gewordene Forderung nach polizeilicher Observation abweichender Meinungen. Die mehrfache Durchsuchung linker Buchläden in Berlin im letzten Jahr wie die Beschlagnahmung von Servern linker Informationsnetzwerke sind Ausdruck staatlicher Zensur, deren Stoßrichtung deutlich macht, warum einmal mehr Aktivisten aus der Whistleblower-Szene als Sicherheitsrisiko einer Sicherheitspolitik angeprangert werden, die ihrerseits in imperialistischen Kriegen Tod und Zerstörung sät.

Der durch die sich zuspitzende soziale Krise provozierte Widerstand, der in diesem Jahr in mehreren nahöstlichen wie europäischen Staaten aufgeflammt ist, ist das eigentliche Ziel der Maßnahmen, die die Freiheit des Wortes unter Verdacht schlimmster Folgewirkungen stellen und deren angebliche Ursache, das unbeschränkte Schreiben und Sprechen, selbst angreifen. Wo soziale Netzwerke neue Möglichkeiten der Mobilisierung und Organisation eröffnen, ist man in den NATO-Staaten nur so lange voll des Lobes für den demokratischen Aufbruch unterdrückter Bevölkerungen, als dieser zur politischen Erschütterung autoritärer Regimes führt, deren Sturz im Interesse westlicher Akteure liegt. Die Freiheit zur Kritik herrschender Verhältnisse in den eigenen Gesellschaften uneingeschränkt zu gewähren scheint hingegen nur solange statthaft zu sein, als sie dazu beiträgt, virulente soziale Widersprüche mit Hilfe ideologischer und symbolpolitischer Indoktrination im Zaum zu halten.

Vor einem Jahr wurde dem dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard unter dem Motto "Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut" in Potsdam vor prominentem Publikum der Medienpreis "M 100 Sanssouci Colloquium" verliehen. Niemand geringeres als Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt die Laudatio auf einen Künstler, dessen provokante Aktion westlichen Politikern und Journalisten als Beleg für die zivilisatorische Überlegenheit der westlichen Wertegemeinschaft unter besonderer Betonung der uneingeschränkten Pressefreiheit diente [1]. Heute verlangt ein CDU-Politiker die Einschränkung der rechtlich niemals absolut gegebenen, sondern durch diverse strafrechtliche Einschränkungen eingehegten Pressefreiheit zum Ausbau des ohnehin übermächtigen staatlichen Gewaltmonopols.

Kauder legt damit den dezisionistischen Charakter eines sich liberal gerierenden Etatismus offen, der Freiheiten gewährt, wenn sie mit herrschenden Interessen konform gehen, und aufhebt, wenn sie ihnen zuwiderhandeln. Was auf die meisten Menschen im Innern der Bundesrepublik und EU vergleichsweise harmlos wirkt, wie das kurzsichtige Credo gesetzestreuer Bürger, wer nichts zu verbergen habe, habe auch nichts zu befürchten, belegt, hat in der Kriegführung der NATO längst die Dimension einer mörderischen Ermächtigung zur bewaffneten Durchsetzung von Zensur angenommen, wie die gezielte Bombardierung libyscher Rundfunkanstalten dokumentiert. Wenn also das Thema Cybersecurity in dem auf dem NATO-Gipfel in Lissabon verabschiedeten neuen Strategischen Konzept des Militärbündnisses in besonderer Weise gewürdigt wird, dann betrifft das nicht nur die Bevölkerungen in den Ländern, in denen die NATO Krieg führt [2]. Nur wenige Wochen vor dem NATO-Gipfel im November 2010 hatte WikiLeaks fast 400.000 US-Regierungsdokumente über den Irakkrieg veröffentlicht, aus denen unter anderem hervorging, mit welcher Grausamkeit die US-Streitkräfte bei der Eroberung des Landes vorgingen. Man geht kaum fehl in der Annahme, daß dieses Datenleck nicht nur zur verschärften Abwehr von Whistleblowern in den NATO-Streitkräften geführt hat, sondern auch zur Entwicklung offensiver Strategien gegen jegliche antimilitaristische Opposition.

2. August 2011

Fußnoten:

[1] KULTUR/0860: "Mut zur Freiheit" ... niemals ungeteilt, niemals unbewaffnet (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele0860.html

[2] KRIEG/1469: Cybersecurity - Chiffre für umfassende Ermächtigung der NATO (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1469.html

Zu Cablegate und WikiLeaks siehe auch:

HERRSCHAFT/1566: Am Beispiel WikiLeaks ... mediale Kapitalmacht reklamiertDeutungshoheit (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1566.html

HERRSCHAFT/1567: WikiLeaks ... mit exekutiver Ermächtigung gegen demokratisches Aufbegehren (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1567.html