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REPRESSION/1471: Es bleibt dabei ... Hauptbedrohung "islamistischer Terrorismus" (SB)




Vor einem Jahr gingen die Verfassungsschutzämter noch davon aus, daß es in der Bundesrepublik kein rechtsterroristisches Potential gebe. Diese schon damals irreführende, durch zahlreiche Todesopfer politisch motivierter Gewalt rechter Genese widerlegte Behauptung läßt sich nun zwar nicht mehr aufrechterhalten, doch gab man sich bei der Vorstellung des diesjährigen Verfassungsschutzberichts von allen eigenen Verfehlungen ungerührt zuversichtlich, daß die Existenz der Verfassungsschutzämter auch in Zukunft gesichert sei. Etwaigen Forderungen nach der Auflösung des Inlandgeheimdienstes tritt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich mit der pauschalen Behauptung entgegen, daß die "Bedrohungen durch Terrorismus, die Bedrohungen durch Extremismus, aber auch durch Spionage" eher zu als abnähmen. "Eine leistungsfähige Sicherheitsarchitektur" [1] zur Verteidigung von Staat, Demokratie und Freiheit sei daher unabdinglich, so Friedrich in der Gewißheit, daß die Leistungsmerkmale geheimdienstlicher Arbeit vor allem im antidemokratischen Charakter derartiger Institutionen bestehen.

Während man sich reformeifrig gibt und die Weichen für den weiteren Zusammenschluß geheimdienstlicher und polizeilicher Strukturen stellt, bleibt der Hauptfeind, von den Enthüllungen um die NSU-Morde unbeschadet, nach wie vor der "islamistische Terrorismus". Auf diese Gefahr wolle man sein "Hauptaugenmerk" richten, erklärte Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm im Beisein seines Nachfolgers Hans-Georg Maaßen. Da sich dieser bereits unter Bundesinnnenminister Otto Schily als Verfechter eines harten Kurses gegen sogenannte Terrorverdächtige muslimischen Glaubens profiliert hatte, dürfte sich an dieser Linie auch durch den Wechsel an der Spitze des Kölner Amtes nichts ändern.

Für den Kurs, die Stigmatisierung von Muslimen mit geheimdienstlichen Mitteln voranzutreiben und dabei völlig zu ignorieren, daß es in diesem Land eine anwachsende Feindseligkeit gegenüber allen Menschen dieses Glaubens gibt und nicht nur gegen die in den Mittelpunkt der Verdächtigung gestellten Salafisten, gibt es offensichtlich valide Gründe. Die Strategie, Rechts- und Linksextremismus völlig unabhängig vom Ausmaß der der jeweiligen Ideologie zugeordneten Straftaten in einen Topf zu werfen, um mit Hilfe der Extremismusdoktrin soziale Bewegungen zu spalten und die Wirksamkeit antikapitalistischen Widerstands zu schwächen, hat durch die Aufdeckung der NSU-Morde einigen Schaden genommen. So wurde ruchbar, daß seit 1990 je nach Zählweise bis zu 180 Morde aus rassistischen Gründen an Migranten und sozial Ausgegrenzten erfolgten, während die angeblich nicht minder aggressive radikale Linke sich nichts dergleichen zuschulde kommen ließ. Die Legitimation des um sich greifenden Sozialchauvinismus Sarrazinscher Prägung, dessen Attacke gegen angeblich unproduktive Mitglieder dieser Gesellschaft in besonderer Weise gegen Menschen muslimischen Glaubens gerichtet war, verlangt nach einer Kriminalisierung all derjenigen, die dies als gefährliche Entwicklung brandmarken.

Dazu eignet sich zum einen die xte Neuauflage antikommunistischer Propaganda, mit der das soziale Anliegen linker Aktivisten in den Mißkredit der von Bundeskanzlerin Angela Merkel höchstselbst für gescheitert erklärten multikulturellen Gesellschaft gezogen wird, während auf der anderen Seite dem Schreckgespenst des "islamistischen Terrorismus" neues Leben eingehaucht wird. Wer sich unterschiedslos für die Rechte und die Freiheit von Migranten einsetzt, öffnet in dieser Lesart auch Terroristen die Tür, wobei das T-Wort lediglich Platzhalter für ein Bedrohungsszenario ist, mit dem im Kern die kulturalistische Ausgrenzung andersdenkender und andersgläubiger Menschen betrieben wird. So wenig linke Aktivisten und muslimische Gläubige miteinander zu tun haben, so sehr bietet sich ihre gemeinsame Stigmatisierung als Strategie zur Festigung der neurechten Hegemonie an. Neben einer Feindbildproduktion, ohne die der Ausbau staatsautoritärer Verfügungsverhältnisse schwieriger zu rechtfertigen wäre, und einer Kriegführung in Afghanistan, die zumindest aus der Sicht ihrer Betreiber mögliche Gegenschläge Betroffener vermuten läßt, handelt es sich bei der Verdächtigung muslimischer Bürger um ein Gesinnungsverdikt, daß die kulturalistische Vergewisserung eigener Suprematie nährt. Gerade jetzt, da sich die Bundesregierung anschickt, mit der Etablierung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) die Axt an die Wurzel demokratischer Interventionsmöglichkeiten gegenüber der Herrschaft des Kapitals zu legen, soll der Kitt nationalistischer Restauration und kulturalistisch spezifizierter Xenophobie das Wunder einer nationalen Vergemeinschaftung wirken, die der weiteren Verschärfung der Klassengegensätze die Spitze potentiellen sozialen Widerstands nimmt.

So macht Fromms Unterstellung, Einzelpersonen und Kleinstgruppen führten einen "individuellen Dschihad" [1] in Deutschland, nur Sinn, wenn von einer doktrinären Überzeugungskraft des Islam ausgegangen wird, der mit einem defensiven, Bürgerrechte vor allem als Schutz vor staatlicher Anmaßung definierenden Verfassung nicht mehr Herr zu werden sei. Der scheidende Verfassungsschutzpräsident knüpft damit an das im Mai 2009 verabschiedete Staatsschutzstrafrecht nach Paragraph 89a, 89b und 91 Strafgesetzbuch an. Mit ihm wurden die weitreichenden Ermittlungs- und Sanktionsvollmachten des politischen, die Mitglieder kollektiver Strukturen aufgrund bloßer Assoziation kriminalisierenden Strafrechts nach Paragraph 129a/b Strafgesetzbuch auch für den Fall verfügbar gemacht, wenn sich kein derartiger Organisationsstraftatbestand unterstellen läßt.

Die weitreichenden Implikationen dieses sogenannten Terrrorcampgesetzes fanden bei ihrer Verabschiedung kaum Beachtung, obwohl Verfassungsrechtler schwerwiegende Bedenken geltend gemacht hatten. Die für Ende 2011 verabredete Prüfung des Gesetzes wurde, wie durch eine Kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, bekannt wurde [2], um ein Jahr verschoben, was vermuten läßt, daß man diese weit in den präventiven Bereich vorverlagerte Form der Strafverfolgung [3] beibehalten möchte. So muß, um die strafwürdige Vorbereitung einer terroristischen Gewalttat von einem straflosen Aufenthalt in sogenannten Terrorcamps oder dem bloßen Besuch einer terroristische Botschaften verbreitenden Webseite differenzieren zu können, der Nachweis geführt werden, daß der Terrorverdächtige absichtsvoll und zielgerichtet eine staatsfeindliche Gewalttat vorbereitet. Dies läßt sich schlechterdings nur mit Hilfe der Bewertung seiner politischen Einstellung vollziehen, die damit ihrerseits zu einem Straftatbestand mutiert.

Das Bewußtsein dafür, daß die Aushöhlung demokratischer Grundrechte allen Menschen auf die Füße fällt, die sich der fortgesetzten Rechtsdrift deutscher Eliten widersetzen, bleibt dadurch, daß der Islam als genuiner Ursprung des "islamistischen Terrorismus" zur Bedrohung von Staat und Gesellschaft erklärt wird, von einem Ressentiment überlagert, das seine Wirkmächtigkeit mit der Popularität der Thesen Sarrazins überzeugend unter Beweis gestellt hat. Indem der Inlandgeheimdienst inmitten einer ihn betreffenden Affäre dieser Feindseligkeit neue Nahrung gibt, belegt er, wie sehr seine Abschaffung den Zweck erfüllte, dem er laut seinem Namen dienen sollte.

Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2012-07/verfassungsschutz-bericht-rechtsextremismus

[2] http://www.jungewelt.de/2012/07-12/036.php?sstr=Ulla%7CJelpke

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1456.html

18. Juli 2012