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REPRESSION/1472: Hetzjagd auf Migranten im EU-Protektorat Griechenland (SB)



Die Umlastung der Krisenfolgen auf die europäische Peripherie hat Griechenland als am härtesten in Mitleidenschaft gezogenes Opfer der Verwerfungen in der Eurozone zu einem Protektorat degradiert. Eine Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) entscheidet, welche Lasten der griechischen Bevölkerung aufgebürdet werden, um die Profiteure des Desasters in Gestalt der europäischen Führungsmächte und deren Konzernen zu bedienen. Während die Menschen ausgeplündert werden, zwingt man das Land, seine Aufgaben innerhalb der NATO und insbesondere der Sicherung der europäischen Außengrenzen gegen die Hungermigration uneingeschränkt wahrzunehmen. Dabei beschränkt sich der zugestandene Handlungsspielraum der Regierung in Athen auf Handlangerdienste bei der Umsetzung aller Maßgaben der aufoktroyierten Verschuldung, deren Wesen in der Unentrinnbarkeit besteht. Die politische Führung des Landes hält die drangsalierte Bevölkerung mit immer neuen Spardiktaten, unablässigen Warnungen vor einer Verschlimmerung der Katastrophe und leeren Versprechen auf letztendliche Rettung und Normalisierung der Verhältnisse in Schach.

Millionen Griechen verfügen über keinerlei Einkünfte mehr. Hunger, Krankheiten und existentielle Perspektivlosigkeit grassieren. In Athener Krankenhäusern werden nur noch Notfälle behandelt, es fehlt an den grundlegendsten Lehrmitteln der Schulbildung. Wenn zahllose Menschen ohne jedes Einkommen sind und viele weitere kaum noch wissen, wie sie mit den dramatisch geschrumpften Bezügen ihrer Erwerbstätigkeit über die Runden kommen sollen, stehen Migranten jenseits des Horizonts politischen und sozialen Einbezugs. Dies trägt dazu bei, daß selbst massive Repression gegen Flüchtlinge in der Bevölkerung weitgehend widerspruchslos hingenommen, wenn nicht gar offen begrüßt wird.

Mit Großrazzien, Verhaftungen und Abschiebungen bläst die griechische Regierung zur Jagd auf Migranten. Die derzeit durchgeführte Operation "Xenios Zeus" ist Teil einer umfassenden Kampagne, die seit April zahllosen Flüchtlingen das Leben endgültig zur Hölle macht. Die Koalition aus konservativer Nea Dimokratia (ND), sozialdemokratischer PASOK und Demokratischer Linken (DIMAR) setzt die Welle einer Repression fort, die europäische Migrantenabwehr in vorderster Front bis hin zur physischen Vernichtung exekutiert. Für den verantwortlichen Minister für Bürgerschutz, Nikos Dendias, sind die schutzsuchenden Flüchtlinge schlimmer als die Truppen der deutschen Wehrmacht, die das Land während des Zweiten Weltkriegs erobert hatten. Er bezeichnete sie als "Besatzer", die das Land in ein "Migranten-Ghetto" verwandelten. "Wir verlieren das Land", hetzte er. "Was hier stattfindet ist die größte Invasion, die Griechenland jemals erlebt hat." [1]

Tausende Polizisten mit kugelsicheren Westen und Schäferhunden durchkämmen die Straßen Athens, wobei sie mit äußerster Brutalität gegen fremd aussehende Menschen vorgehen. Die willkürlich Festgenommen werden in fensterlose Busse gepfercht oder müssen mitunter stundenlang auf der Straße knien, bis sie schließlich nach Stunden durchsucht werden. Wer keine Aufenthaltserlaubnis vorweisen kann, wird in eine Polizeistation oder direkt in ein Verwahrungslager gebracht. Mehrere tausend Migranten sind bereits abgeschoben worden oder infolge der Verhaftung unmittelbar davon bedroht. Bis Ende des Jahres sollen acht Deportationslager errichtet werden, in denen bis zu 10.000 Menschen interniert werden können. Massenverhaftungen und Lager dieser Größenordnung gab es in Griechenland zuletzt unter der Diktatur der Obristen zwischen 1967 und 1974, als die Junta zahlreiche Menschen verhaften, foltern und in Konzentrationslagern quälen und umbringen ließ.

Griechenland hat sich aufgrund seiner geographischen Lage und der schwer zu kontrollierenden Küstenlinie mit zahlreichen Inseln zu einem Hauptziel undokumentierter Migranten entwickelt. Dies gilt um so mehr, als der Grenzschutz an den Küsten Spaniens, Maltas und Italiens massiv verschärft wurde und Frontex im Mittelmeer Jagd auf Flüchtlingsboote macht. Dadurch wird die südöstliche Route via Griechenland geradezu erzwungen, zumal insbesondere für Migranten aus Afghanistan, dem Irak, Iran und Somalia die Fluchtroute über die Türkei nach Griechenland oftmals der einzig mögliche Weg ist. Wer es bis dorthin geschafft hat, erfährt Rechtlosigkeit, willkürliche Inhaftierung, Obdachlosigkeit und Hunger. Griechenland steht schon seit Jahren wegen der Verletzung von Flüchtlings- und Menschenrechten in der Kritik. Dabei ist die humanitäre Krise bis hin zum völligen Zusammenbruch des Asylsystems natürlich nicht nur hausgemacht, sondern vor allem ein Resultat fehlender Unterstützung bei der Flüchtlingsaufnahme innerhalb der Europäischen Union, die auf zynische Weise, die Verantwortung für die Flüchtlingsabwehr den Außengrenzen zuschiebt.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat bereits im Januar 2011 in einem Grundsatzurteil festgestellt, daß die Überstellung eines Asylsuchenden nach Griechenland eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt. Straßburg stellte eine Verletzung des Artikels 3 der Konvention fest: Die Haft- und Lebensbedingungen, denen der Schutzsuchende in Griechenland ausgesetzt wurde, stellen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar. Das rudimentäre Asylsystem des Landes ist völlig kollabiert. Das EU-Mitgliedsland verletzt die verbindlichen europäischen Mindeststandards für ein Asylverfahren, für die soziale Aufnahme von Schutzsuchenden und die internationalen Standards der Flüchtlingsschutzgewährung. Weder existiert ein "faires" Asylverfahren, noch ist der Zugang zu einem Verfahren sichergestellt. Schutzsuchenden droht die erneute Inhaftierung und möglicherweise die Abschiebung, ohne daß ihr Schutzgesuch gehört würde. Die Asylanerkennungsquote in der ersten Instanz liegt seit Jahren nur wenig über null Prozent, ein Aufnahmesystem für Asylsuchende ist nicht vorhanden. Die griechische Regierung müßte von Grund auf ein neues Asylsystem schaffen - und dies in der größten Wirtschafts- und Finanzkrise in der jüngeren Geschichte des Landes.

Allein im vergangenen Jahr wurden nach Angaben der europäischen Grenzschutzagentur Frontex in Griechenland 100.000 illegale Einwanderer aufgegriffen. Nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration wurden in den Monaten Mai bis Juli 2012 30.000 Flüchtlinge festgenommen. [2] Dies unterstreicht die hohe Zahl schutzsuchender Menschen, die in ein Land strömen, dessen Regierung erst vor einer Woche weitere Sozialkürzungen in Höhe von 11,5 Milliarden Euro angekündigt hat. In der Bevölkerung wächst der Druck, die vermiedene Konfrontation mit dem Sparregime gegen Schwächere umzulasten. Aus einigen Vierteln Athens werden täglich Übergriffe auf Ausländer gemeldet. Verantwortlich für das Unwesen sind selbsternannte, teilweise rechtsextrem gesinnte Bürgerwehren, die brutale Jagd auf Migranten machen. Maßgeblich beteiligt sind Anhänger der faschistischen Partei Chrysi Avgi (Goldene Dämmerung), die bei den letzten Wahlen knapp sieben Prozent der Stimmen erhielt und damit erstmals im griechischen Parlament vertreten ist. Berichte von Menschenrechtsorganisationen legen nahe, daß es zahlreiche Querverbindungen zwischen Faschisten und Sicherheitskräften gibt, so daß es sich bei vielen Übergriffen auf Migranten um Aktivitäten handelt, die von höherer Stelle mindestens geduldet, wenn nicht gar gezielt gefördert werden.

Schon in seinem Wahlkampf hatte der jetzige Ministerpräsident Antonis Samaras martialisch angekündigt, er werde die "Invasion der illegalen Einwanderer stoppen und die Städte zurückerobern". Er schürte damit eine ohnehin weit verbreitete Pogromstimmung in der Bevölkerung und signalisierte zugleich der Europäischen Union, daß er ihrer seit Jahren erhobene Forderung, die Migration unter Kontrolle zu bekommen, nachkommen wolle. Laut der 2003 verabschiedeten Dublin-II-Verordnung der EU darf ein Flüchtling ohne gültiges Visum nur noch in dem Land einen Asylantrag stellen, das er als erstes betreten hat. Griechenland ist dadurch verpflichtet, nicht nur die Außengrenze abzuschotten, sondern auch zu verhindern, daß Asylsuchende in andere EU-Länder weiterreisen. Die aktuelle Reaktion der EU-Kommission auf die Massenverhaftung von Migranten in Griechenland läßt darauf schließen, daß man in Brüssel das Durchgreifen mit harter Hand begrüßt: Die Kommission habe die griechische Regierung seit Monaten ermutigt, die Grenzverwaltung zu verbessern und die Kontrollen zu beschleunigen, kommentierte ein Sprecher die jüngste Repressionswelle gegen Flüchtlinge in Griechenland.

Wie Bürgerschutzminister Dendias es umschrieb, sei das Problem der illegalen Einwanderung "vielleicht größer als das Finanzproblem" und eine "Bombe für das Fundament von Staat und Gesellschaft". Die Operation "Xenios Zeus" richtet sich jedoch nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern gegen die gesamte Bevölkerung, der man durch Spaltung und Einschüchterung den Geist des Aufbegehrens gegen die unerträglichen Verhältnisse austreiben will. Die Regierung hat in den letzten Wochen Teile der Militärführung ausgetauscht, um sich der Loyalität der Truppe zu versichern. Mit deutschen Panzern und anderen Waffen hochgerüstet bereitet sich die Armee seit Jahren auf die Niederschlagung von Aufständen vor.

Fußnoten:

[1] http://www.wsws.org/de/2012/aug2012/grie-a09.shtml

[2] http://www.stern.de/politik/ausland/fluechtlingsstrom-griechenland-taugt-nicht-mal-fuer-die-aermsten-als-paradies-1875454.html

11. August 2012