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REPRESSION/1502: Soziale Unterdrückung durch Isolationshaft betrifft vor allem ethnische Minderheiten (SB)




Der 71jährige Herman Wallace hat Leberkrebs. Ihm bleibt nicht mehr viel Zeit, doch er würde die Welt gerne noch einmal außerhalb des Staatsgefängnisses von Louisiana erleben. Das auch als Angola oder The Farm bekannte größte Hochsicherheitsgefängnis der USA liegt nah des Mississippi auf dem Gelände einer einst von Sklaven bewirtschafteten Plantage. Seine 5000 Insassen sind zu mehr als 75 Prozent schwarz. Sie unterliegen besonders scharfen Haftbedingungen und werden zu einem Stundenlohn von 4 bis 20 Cent zu Arbeitseinsätzen meist auf dem Feld gezwungen, wo sie Baumwolle oder Getreide ernten. Zwar beträgt die offizielle Arbeitszeit heute im Unterschied zu den frühen 1970er Jahren, als 16 Stunden Zwangsarbeit an sechs Tagen der Woche die Regel waren, nur noch 40 Stunden in der Woche, doch diese verbringen die Gefangenen unter permanenter Bewachung berittener und bewaffneter Wärter, bisweilen auch als Chain Gang mit Fußketten zusammengebunden, bei härtester Arbeit, so daß sich die Tradition der Sklaverei in Angola nicht nur symbolisch fortsetzt.

Mehr als 3000 Gefangene des Louisiana State Penitentiary verbüßen eine lebenslängliche Strafe ohne Begnadigungsmöglichkeit, die unausweichlich auf dem knasteigenen Friedhof endet. Doch auch die anderen Insassen müssen häufig Zeitstrafen verbüßen, die ihre Lebenserwartung überschreiten, so daß rund 97 Prozent der Insassen an dem Ort, der für sie die Hölle auf Erden ist, sterben müssen. Diese ganz wörtlich zu nehmende Aussichtslosigkeit ist Bestandteil einer Praxis grausamer Repression, deren soziale Konstitution den Klassencharakter des institutionalisierten Wegsperrens in den USA hervorbringt.

Herman Wallace muß zwar nicht auf dem Feld arbeiten, er wurde jedoch bis vor wenigen Wochen schon angekettet, wenn er den Isolationstrakt verließ, was selten genug der Fall war. Daß er seit einigen Tagen von der höchsten Sicherheitsstufe auf die mittlere zurückgestuft wurde und dadurch einige Hafterleichterungen erhielt, ist einer US-weiten Kampagne für seine Freilassung zu verdanken. Wallace ist aufgrund seines Eintritts in die Black Panther Party 1971 und des daraus erwachsenden Versuchs, zusammen mit Robert Hillary King und Albert Woodfox den Widerstand der Gefangenen gegen die unmenschlichen Haftbedingungen in Angola zu organisieren, ein politischer Langzeitgefangener. Die als Angola 3 bekannten Aktivisten wurden für den Mord an einem weißen Wärter verurteilt, obwohl die politische Absicht, den Gefangenenwiderstand auf diese Weise zu brechen, unverkennbar ist. So wurde der Hauptbelastungszeuge von dem Gefängnispersonal bestochen, ein blutiger Fingerabdruck, der nicht von den drei Verurteilten stammt, wurde niemals mit den Fingerabdrücken anderer Verdächtiger verglichen, möglicherweise entlastendes DNA-Material ging angeblich verloren, belastende Zeugenaussagen kamen auf fragwürdige Weise zustande und wurden in einem Fall später zurückgezogen.

Seit dem 17. April 1972 sitzen Wallace und Woodfox in einer zwei mal drei Meter großen Zelle 23 Stunden des Tages in Isolationshaft. Was in Louisiana Closed-Cell-Restriction (CCR) genannt wird, entspricht der kalifornischen Isolationsfolter in der Security Housing Unit (SHU) oder der Administrative Segregation (AdSeg) in New York. Robert Hillary King wurde 2001 nach 29 Jahren Isolationshaft aus Angola entlassen, doch der aufgrund seines Lebertumors stark abgemagerte Wallace und der massiven Schikanen durch das Gefängnispersonal ausgesetzte Woodfox sollen als Symbole schwarzen Gefangenenwiderstands offensichtlich unwiderruflich gebrochen werden. Wer nicht einlenkt, sondern zu seinen Forderungen steht, der kann nicht mit Gnade oder auch nur Gerechtigkeit rechnen. Die Politisierung wegen Eigentums-, Drogen- und Gewaltdelikten inhaftierter Straftäter ist die naheliegende Antwort auf Taten, die nicht selten in Reaktion auf die Ohnmacht erfolgten, die zu erfahren angesichts der Gewaltverhältnisse der kapitalistischen Gesellschaft das Alltagserleben von Millionen prägt.

So gibt es aus der Sicht der vorzugsweise weißen Bourgeoisie gute Gründe für das System der Masseninhaftierung, ist der virulente bis manifeste Rassismus der US-Gesellschaft doch vor allem sozial bedingt. Unter den drei US-Bundesstaaten mit dem höchsten prozentualen Anteil an Gefangenen ihrer Bevölkerung befinden sich mit Louisiana und Mississippi die beiden US-Gliedstaaten mit dem größten Anteil schwarzer Bürger. Sie stellen jeweils ein Drittel der Bevölkerung, während im Falle von Texas, der nach Louisiana an zweithöchster Stelle beim prozentualen Anteil von Gefangenen steht, die Bürger hispanischer Herkunft mit gut einem Drittel die größte ethnische Minderheit bilden, gefolgt von knapp 12 Prozent Afroamerikanern. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der Bürger Mississippis ist das niedrigste der ganzen USA, während Louisiana auf Platz 41 der 50 US-Bundesstaaten liegt. Die Unterschiede sind erheblich. 2009 rangierte der Ostküstenstaat Maryland mit 69.272 Dollar Pro-Kopf-Einkommen an der Spitze, das mittlere Haushaltseinkommen aller Bundesstaaten lag bei etwas weniger als 52.000 Dollar, während es in den ehemaligen Sklavenhalterstaaten Mississippi lediglich 36.646 und in Lousiana 42.492 Dollar betrug.

Die Vermutung, die US-Gesellschaft sei aufgrund der zweiten Amtszeit eines schwarzen Präsidenten nicht mehr so rassistisch wie eh und je, könnte nicht abwegiger sein. Ganz im Gegenteil verschärfen sich die sozialen Widersprüche mit der anwachsenden Verarmung großer Teile der US-Bevölkerung, und dies erfolgt insbesondere an den Bruchlinien ethnischer Gruppen, unter denen Nichtweiße hispanischer und afrikanischer Herkunft weit überproportional von materieller Verelendung betroffen sind. Das in den USA etwa 80.000 Gefangene in unterschiedlichen Härtegraden betreffende System der Isolationsfolter, das ebenfalls überproportional mit Afroamerikanern und Hispanics bevölkert ist, unter denen sich zahlreiche politische Aktivisten befinden, erfüllt mithin alle Kriterien eines Systems der sozialen Repression, das die angeblich damit zu bewältigenden Probleme systematisch verschärft. Um so wichtiger ist die Solidarität mit den Gefangenen, die sich im kalifornischen System der Isolationsfolter seit über einem Monat im Hungerstreik befinden.

Fußnoten:

siehe auch:

Hungerstreik in Kalifornien gegen Isolationsfolter und systematische Entmenschlichung (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1501.html

10. August 2013