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REPRESSION/1517: "Asylkompromiß" - grünes Vermächtnis deutschen Hegemonialstrebens (SB)




Die im Bundesrat beschlossene Verschärfung des Asylrechts richtet sich gegen Flüchtlinge, die erst nach der Zerschlagung Jugoslawiens in den daraus hervorgehenden Staaten zu verfolgten Minderheiten wurden. Nachdem die nomadische Lebensweise der Roma jahrhundertelang von seßhaften Bevölkerungen mit Ausgrenzung und Diskriminierung quittiert wurde, führten sie in der multiethnischen Gesellschaft Jugoslawiens ein deutlich besseres Leben. Das Ende dieses Staates, der sich als führendes Mitglied der Blockfreienbewegung zwischen den mit der Sowjetunion verbündeten realsozialistischen Staaten und der transatlantischen Staatenwelt positioniert hatte, und die in der Folge zugunsten des Kapital- und Warenexports insbesondere aus Deutschland zerschlagenen Wirtschaftsstrukturen des Landes verschlechterten die Lebensbedingungen aller Jugoslawen und ließen sozial bedingte Feindseligkeiten hervortreten, die bis dahin weitgehend neutralisierte ethnisch-religiöse Ressentiments wiederbelebten.

Jugoslawien hätte als föderalistischer Staat, in dem viel für den inneren Ausgleich zwischen den diversen Ethnien getan wurde und der an sozialistische Errungenschaften anknüpfen konnte, die eine für heutige Verhältnisse fast utopisch wirkende soziale Gerechtigkeit möglich gemacht hätten, durchaus eine Alternative zu einer Europäischen Union anbieten können, gerade weil diese sich zu einem nach außen aggressiv und nach innen repressiv agierenden Staatenbund formierte. Die führende Rolle der Bundesrepublik Deutschland bei der schleichenden Zerschlagung Jugoslawiens deckt sich zudem mit den strategischen Plänen des Kaiserreichs, das nicht anders als das NS-Regime in der Beherrschung Südosteuropas ein quasi natürliches Vorrecht deutschen Hegemonialstrebens erkannte.

Die Anerkennung Kroatiens und Sloweniens, die die Sezessionskriege Jugoslawiens einleitete, wurde im Vorfeld des Vertrags von Maastricht von den meisten EU-Staaten abgelehnt. Im November 1992 setzte sich die Bundesregierung mit der Forderung durch, die nach jugoslawischer Verfassung illegale Sezession dieser beiden Republiken anzuerkennen, indem sie diese Forderung an die eigene Unterzeichnung des Vertrags koppelte. Die Einheit Jugoslawiens wurde der Einheit der Europäischen Union geopfert, und Deutschland konnte sich in seiner Rolle als tonangebende Macht bestätigt fühlen. Im Überfall der NATO auf die Bundesrepublik Jugoslawien im März 1999 wurde die Nachkriegszeit in Europa endgültig zu Grabe getragen und die deutsche Remilitarisierung durch den ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr weiter vorangetrieben. Mit der einseitigen Abtrennung des Kosovo von Jugoslawien im Februar 2008 bei aufrechterhaltener Anwesenheit der NATO-Truppen in der serbischen Provinz wurde ein Präzedenzfall geschaffen, an den NATO und EU im Konflikt mit Rußland über die angebliche Annexion der Krim nur ungern erinnert werden [1].

Die Vertreibung der nichtalbanischen Minderheiten aus dem Kosovo nach dem Einmarsch der NATO durch die nationalistischen Separatisten der UCK betraf, je nach Quelle, 150.000 bis 250.000 Serbinnen und Serben sowie 70.000 bis 130.000 Roma, Ashkali und Balkanägypter [2]. Die Politikerinnen und Politiker der Grünen, die der deutschen Kriegsbeteiligung unter Führung ihres Außenministers Joseph Fischer zugestimmt hatten, legitimierten diesen Bruch mit ihren antifaschistischen Wurzeln stets damit, daß es bei dieser angeblich humanitären Intervention um die Etablierung einer multiethnischen Gesellschaft im Kosovo ginge. Dem durch zahlreiche Entführungen und Morde an angeblichen Kollaborateuren mit der serbischen Regierung aufgebauten Vertreibungsdruck stellte sich die NATO nicht entgegen, indem sie die kosovoalbanische Fußtruppe ihres Luftkrieges in die Schranken wies. Auch die Soldaten der Bundeswehr schauten dabei zu, wie Serben und Roma - zwei der durch SS und Wehrmacht schwer getroffenen Opfergruppen - bisweilen zu Fuß aus dem Kosovo flüchteten, um nach dem Verlust ihrer Lebensgrundlagen jahrelang unter elenden Bedingungen in Lagern und Behelfsunterkünften zu hausen.

Daß Roma durch die soziale Verelendung in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens und die durch den neoliberalen Strukturwandel angeheizte Überlebenskonkurrenz besonders stark in Mitleidenschaft gezogen werden, ist zumindest mittelbare Folge der Neuformierung Europas unter der Hegemonie seiner größten und stärksten Akteure, allen voran die Bundesrepublik Deutschland. Wenn nun der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, mit seiner Zustimmung zum sogenannten Asylkompromiß im Bundesrat dafür Sorge trägt, daß seine Partei auf dem Marsch in eine Position am rechten Rand des Bundestages nicht Halt macht, dann setzt er den Kurs der Grünen konsequent fort. Die damit vollzogene Anerkennung Serbiens, Bosnien-Herzegowinas und Mazedoniens als sogenannte sichere Drittstaaten, die eine schnelle Abschiebung von dort stammender Flüchtlinge ermöglicht, ist eben auch eine Folge der Politik der rot-grünen Bundesregierung. Wo Fischer die militärische Handlungsfähigkeit des deutschen Imperialismus erweiterte und grüne Politikerinnen an vorderster Front des gegen Rußland gerichteten Expansionsstrebens der EU stehen, knüpft Kretschmann mit der Entsorgung letzter Reste emanzipatorischer Politikinhalte seiner Partei konsequent an. Die Adaption rechtspopulistischer Forderungen sichert die politische Zukunft seiner Partei in einer Gesellschaft, über deren sozialdarwinistische Grundverfassung immer weniger Worte verloren werden.


Fußnoten:

[1] KRIEG/1626: Blinder Fleck Jugoslawienkrieg - Völkerrecht à la carte (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1626.html

[2] BERICHT/024: Flucht der Fremden - Mitverschuldet, fortverdrängt (SB)
"Eines Rechtsstaates nicht würdig - Diskriminierung und Abschiebung der Roma und Sinti"
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0024.html

20. September 2014