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REPRESSION/1522: Das staatliche Gewaltmonopol sichert die Eigentumsordnung (SB)



In der nun vollends entbrannten Debatte um die Äußerung der AfD-Chefin Frauke Petry, daß der Waffengebrauch zur Ultima ratio polizeilicher Grenzsicherung gehöre, wird durchaus attestiert, daß das "Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes" (UZwG) [1] aus dem Jahr 1961 den Schußwaffengebrauch im Grenzdienst prinzipiell gutheißt. So heißt es dort in dem dafür zuständigen Paragraphen 11 : "... Vollzugsbeamte können im Grenzdienst Schußwaffen auch gegen Personen gebrauchen, die sich der wiederholten Weisung, zu halten oder die Überprüfung ihrer Person oder der etwa mitgeführten Beförderungsmittel und Gegenstände zu dulden, durch die Flucht zu entziehen versuchen." Damit ist der potentiell tödliche Waffeneinsatz auch für den Fall freigegeben, daß die betreffenden Personen die Grenzschutzbeamten nicht unmittelbar bedrohen, sondern ihre Aufforderungen ignorieren und den Grenzübertritt fortsetzen.

Da die Möglichkeit, daß Polizistinnen und Polizisten auf flüchtende Menschen schießen, die in ihren Augen illegal in die Bundesrepublik eindringen wollen, von zahlreichen Politikerinnen und Politikern, aber auch der Gewerkschaft der Polizei (GdP) empört zurückgewiesen wird, stellt sich die Frage, warum der entsprechende Passus in diesem Gesetz, das schon diverse Änderungen hinter sich hat, noch enthalten ist. Die in diesem Gesetz generell geregelte Frage, inwiefern Bundesbeamte in Ausübung ihres Dienstauftrages Gewalt gegen Menschen anwenden dürfen, legitimiert die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols mit der schwerwiegenden Folge, daß im Ernstfall die im Grundgesetz "geschützten Grundrechte auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person und Unverletzlichkeit der Wohnung eingeschränkt" werden können. Es regelt mithin das Verhältnis zwischen individuellem Rechtsanspruch und staatlichem Vollzug, und konstituiert damit ein Herrschaftsverhältnis, dem der einzelne Mensch desto ohnmächtiger ausgeliefert ist, als seine rechtlichen Möglichkeiten, Einspruch gegen seine Erschießung einzulegen, im Zweifelsfall stark eingeschränkt sind.

Anders wäre auch kein Staat zu machen, der eine Eigentumsordnung konstituiert, die das Nebeneinander von materiellem Mangel und Überfluß als Ausdruck prinzipiell gewährter Gleichheit vor dem Gesetz gutheißt. Die Ungleichheit der Lebensbedingungen, so kraß und mörderisch sie auch sein mag, wird nicht nur als unerwünschte Folge, sondern notwendige, weil produktive Voraussetzung des liberalen Rechtsstaates anerkannt. Als Sachwalter einer Bevölkerung, die sich unter kapitalistischen Bedingungen über Lohnarbeit reproduziert, ist er auf die Bewirtschaftung dieser Ungleichheit durch die mehrwertproduzierenden Privatunternehmen und Kapitaleigner angewiesen. Sein ganzes Vermögen besteht in der arbeitenden Bevölkerung und dem von ihr erzeugten Gesamtprodukt, das er besteuern darf, um seine hoheitlichen Aufgaben erfüllen zu können. Die Bevölkerung fungiert zwar verfassungsrechtlich als Souverän, hat aber die wesentliche Verfügungsgewalt über ihre gesellschaftliche Situation an eine Exekutive abgetreten, die die herrschende Eigentumsordnung für weit unantastbarer hält als die körperliche Unversehrtheit einzelner Menschen.

Politische Rechtsausleger wie Frauke Petry machen sich nur scheinbar zum Anwalt der kleinen Leute, die ihre Lebensgrundlage durch den Zustrom neuer Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt bedroht sehen. Im Kern verteidigt sie die Basis gesellschaftlicher Reproduktion, also die Notwendigkeit, die eigene Arbeitskraft an diejenigen zu verkaufen, die sie unter möglichst kostengünstigen Bedingungen verwerten. Wenn sie die kleinen Leute nicht am Boden und für die Käufer ihrer Arbeitskraft nach deren Bedingungen verfügbar halten wollte, dann könnte sie die Überwindung dieser Eigentumsordnung zugunsten ihrer sozial gerechten Vergesellschaftung propagieren. In einem solchen Fall löste sich die Frage der Zuwanderung durch flüchtende Menschen zum einen durch die Aufhebung ihrer wesentlichen, den Folgen imperialistischer Politik geschuldeten Fluchtgründe und zum andern durch die Organisation gesellschaftlicher Produktion nicht im Interesse einer Verwertung, der der Gegenstand der Gewinnmaximierung gleichgültig ist, sondern zugunsten eines auskömmlichen Lebens für alle Menschen.

Was hat nun dieses Utopia mit dem legalen Schußwaffengebrauch an deutschen Außengrenzen zu tun? Die Unterdrückung auch nur des Gedankens daran, die Menschen könnten anders leben, als in Konkurrenz zueinander zu treten und den eigenen Erfolg am Scheitern des andern aufzurichten, bekräftigt die Notwendigkeit staatlicher Gewaltausübung für den mittlerweile nicht mehr völlig auszuschließenden Ernstfall, daß Tausende Menschen aus purer Überlebensnot die Grenzen der Bundesrepublik stürmten. Die seit Jahren sehenden Auges hingenommene Tragödie, Flüchtende zu Tausenden im Mittelmeer ertrinken zu lassen, weil man ihnen keine anderen Fluchtwege eröffnen will, ist die realpolitische Vorverlagerung mit Waffengewalt verteidigter Landesgrenzen auf EU-europäischer Ebene.

Und nicht nur das, die Bundesregierung gesteht es einem Partnerstaat wie Israel als rechtstaatlich legal zu, Palästinenser an Grenzen zu töten, die international nicht anerkannt wurden, weil Israel die illegale Besetzung palästinensischen Landes aufrechterhält. Frühere Bundesregierungen haben die Aushungerung des Iraks durch ein striktes, mit Waffengewalt durchgesetztes Handelsembargo, das Hunderttausenden Menschen ein vorzeitiges Ende bescherte, vorbehaltlos unterstützt. Die Legalität staatlicher Gewaltanwendung ist der Bundesregierung in diesen wie in anderen Fällen bedeutsamer als die Legitimität des Anspruchs von Menschen, nicht durch diese Gewalt in ihrer menschen- und völkerrechtlichen Integrität negiert zu werden.

Es ist mithin wenn nicht aus wohlkalkuliertem Interesse ignorant, dann zumindest blauäugig, die von Petry aus zweifellos kritikwürdigen Gründen bekräftigte Ratio des deutschen Grenzsicherungsregimes in Bausch und Bogen zu verwerfen. Allein die von Rechtspopulisten gerne aufgegriffenen Berichte über angebliche IS-Terroristen, die sich unter die Flüchtlinge mischten, rücken den Gebrauch von Waffengewalt durch die Bundespolizei an den Landesgrenzen in die Nähe einer plausiblen Motivation. Im Grundsatz sind sich Petry und ihre Kritiker in der Bekräftigung eines staatlichen Gewaltmonopols, das den Frieden der Paläste sichert und dazu den Krieg in den Hütten entfacht, weit einiger, als sie zugestehen würden.


Fußnoten:

[1] http://www.gesetze-im-internet.de/uzwg/BJNR001650961.html#BJNR001650961BJNG000100315

1. Februar 2016


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