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REPRESSION/1608: AfD-Überwachung - links vor rechts ... (SB)



Tatsächlich trafen sich die beiden mehrfach, sie sprach in meiner Gegenwart sehr wohlwollend von den Zusammenkünften und von ihm. Die beiden schienen so etwas wie Sympathie füreinander entwickelt zu haben. Viel wichtiger aber: Hans-Georg Maaßen signalisierte Petry, wenn die Partei mit einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu rechnen hatte, und er sagte ihr, was sie dagegen tun müsse.
Franziska Schreiber: Inside AfD - Der Bericht einer Aussteigerin, S. 15 [1]

Franziska Schreiber war enge Mitarbeiterin Frauke Petrys und Vorsitzende des AfD-Jugendverbandes "Junge Alternative" in deren Heimatland Sachsen, rückte später in den Bundesvorstand auf und trat im Streit mit dem rechten Flügel zehn Tage vor der Bundestagswahl 2017 aus der Partei aus. In ihrem aktuell erschienenen Buch "Inside AfD" verweist die 27jährige auf einen Bericht des Magazins Der Spiegel, demzufolge Petrys Bestreben, den saarländischen Landesverband wegen Überschneidungen mit dem rechtsextremen Milieu aufzulösen, auf Hinweise des obersten Verfassungsschützers zurückzuführen sei. Petry habe dies öffentlich immer bestritten - auf Maaßens Wunsch hin, so Schreiber. Bei mindestens zwei Treffen sei es zudem darum gegangen, daß der Parteivorstand ein Parteiausschlußverfahren gegen den Thüringer Rechtsaußen Björn Höcke einleiten müsse, weil sonst die Beobachtung und eine Nennung im Verfassungsschutzbericht unvermeidbar seien. Es sei Maaßen zufolge nicht entscheidend, daß es tatsächlich zu einem Ausschluß komme. Vielmehr solle der Bundesvorstand zeigen, daß er auf demokratische Weise Entscheidungen gegen solche Unruhestifter herbeiführen könne. Frauke Petry betrieb 2015 und 2017 Ausschlußverfahren gegen Höcke, obgleich sie wußte, daß die Schiedsgerichte der Partei generell wenig zu Ausschlüssen neigen. [2]

Schenkt man Franziska Schreibers Darstellung Glauben, wozu erheblicher Anlaß besteht, hat der Verfassungsschutz unter Maaßens Führung versucht, steuernd in den Kurs der AfD einzugreifen, um sie von einer geheimdienstlichen Beobachtung freizuhalten. Überraschend ist daran allenfalls, daß es auf diese Weise konkretisiert worden zu sein scheint. Der Inlandsgeheimdienst hat seit jeher versucht, die Rechte von innen her zu instrumentalisieren. Nach 1945 wurden zahlreiche einschlägig kompetente Experten des NS-Staats in die Behörde integriert. Der Verfassungsschutz war an der Vertuschung der Hintergründe des Oktoberfestattentats 1980 beteiligt, und das NPD-Verbot scheiterte später daran, daß die Parteiführung regelrecht von V-Leuten durchsetzt war. Im fünf Jahre dauernden NSU-Prozeß blendeten Bundesanwaltschaft und Gericht eine mögliche Beteiligung des Geheimdienstes systematisch aus. Da sich gut zwei Dutzend V-Leute im engeren Umfeld des NSU befunden hatten, liegt der Verdacht nahe, daß dessen Existenz und Treiben nicht unwesentlich ein Geschöpf des Verfassungsschutzes war.

Was die aktuellen Vorwürfe gegen Maaßen betrifft, hat dieser Gespräche mit Petry nicht dementiert. Wie der Verfassungsschutz erklärte, führe man Gespräche mit Vertretern aller Parteien. Maaßen habe der AfD jedoch nie geraten, ein Parteiausschlußverfahren gegen Herrn Höcke einzuleiten. Auch habe man AfD-Vertretern nicht gesagt, wie die Partei einer Beobachtung entgehen könne. Da nun gewissermaßen Aussage gegen Aussage steht, soll sich Maaßen im Parlamentarischen Kontrollgremium dazu erklären. Wie dessen Mitglied André Hahn von der Linkspartei dazu anmerkte, gehörten Politikberatung und Ratschläge zu parteiinternen Vorgängen mit Sicherheit nicht zu den Aufgaben eines Verfassungsschutzpräsidenten. Gespräche mit der AfD seien insofern "einigermaßen merkwürdig", weil der Verfassungsschutz "bei der AfD ein breites Betätigungsfeld hätte". Wenn allerdings der stellvertretende grüne Fraktionsvorsitzende Konstantin von Notz eine schnellstmögliche Aufklärung verlangt, weil andernfalls ein "massiver Ansehensverlust" des Verfassungsschutzes nicht abzuwenden sei, stellt sich schon die Frage, von welchem Ansehen eigentlich die Rede ist.

In Berliner Parlamentskreisen, so heißt es, werde Schreibers Darstellung für plausibel gehalten. Wie etwa der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, gehöre auch Maaßen seit langem zu den Kritikern der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel. Zwischen den Sicherheitsbehörden und der Kanzlerin herrsche Entfremdung. Maaßen lehne eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz ab, obgleich 2017 und 2018 verschiedene Landesämter den Präsidenten des Bundesamtes aufgefordert haben sollen, eine Materialsammlung über die AfD anzulegen. Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte Maaßen als dessen Dienstherr noch bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts in der Vorwoche eine "vorzügliche Arbeit" attestiert. [3]

Kontakte zwischen Maaßen und Petry sind schon geraume Zeit bekannt. So hatte Der Spiegel bereits im März 2016 berichtet, sie hätten sich "auf Petrys Wunsch" hin im Herbst 2015 mehrmals getroffen. Das Nachrichtenmagazin berief sich auf "mehrere AfD-Politiker", denen Petry davon erzählt habe. Auch von Ratschlägen an Petry hinsichtlich des saarländischen AfD-Verbands war damals die Rede. Im Frühjahr 2016 zitierte Die Welt Maaßen mit der Aussage, die AfD sei keine rechtsextremistische Partei. Die Voraussetzungen für eine Überwachung seien nicht erfüllt. [4] Im neuen Verfassungsschutzbericht 2017 wird die AfD im Kapitel "Rechtsextremismus" denn auch mit keiner Silbe erwähnt.

Das mutet insofern erstaunlich an, als deren Kontakte zu rechtsextremen Strukturen wie der identitären Bewegung oder der Ein-Prozent-Initiative und anderen hinlänglich bekannt sind. [5] Björn Höcke ist weiterhin Parteimitglied und hetzt unter anderem gegen die Erinnerungskultur an die Verbrechen des NS-Staats. Alexander Gauland hat Hitler und die Nazis als einen "Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte" bezeichnet. Frauke Petrys Kurs ist entsorgt, die AfD rückt nach rechts und ist mehr denn je zum Sammelbecken diverser Varianten nationalistischer, rassistischer, Minderheiten diskriminierender Gesinnungen geworden. Wenngleich Maaßens mutmaßliche Einflußnahme über Petry nur befristet funktioniert hat, ist das für ihn kein Grund, diese Partei nunmehr unter Beobachtung zu stellen.

Statt dessen wird die AfD im jüngsten Verfassungsschutzbericht mehrfach im Kapitel "Linksextremismus" erwähnt, der sich unter anderem dadurch auszeichne, daß er gegen AfD-Parteitage protestiere, "Informationen über vermeintliche oder tatsächliche Rechtsextremisten sowie deren Strukturen" sammle wie auch Rechtsextremisten andauernd bekämpfe und neben der Bundesregierung und den Grünen auch die AfD für Verschärfungen des Asylrechts verantwortlich mache. [6] Wäre es demnach geboten, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und seinem derzeitigen Präsidenten eine parteiergreifende Sichtweise vorzuwerfen, da sie die Rechte schützen und die Linke verfolgen? Diese Kritik griffe viel zu kurz und diente sich der Staatsräson an, als sei diese ein neutraler Sachwalter divergierender Interessen.

Seit fast dreißig Jahren unter wechselnden Regierungen Spitzenbeamter im deutschen Staatsapparat, ist der parteilose Hans-Georg Maaßen ein langgedienter Administrator restriktiver Sicherheitsinteressen. Wenngleich im Umgang mit der AfD auch seine konservative politische Ausrichtung zum Tragen kommt, ist damit doch die Ausübung seines Amtes und die Funktion des Inlandsgeheimdienstes nicht hinreichend erklärt. Dessen Aufgabe ist die Überwachung, Bezichtigung und Verfolgung der Linken, soweit sich diese die Veränderung der herrschenden Verhältnisse auf ihre Fahnen geschrieben haben oder auch nur im Verdacht stehen, mit einer solchen zu sympathisieren. Hingegen ist die Rechte mit ihrem Ruf nach einem noch stärkeren Staat, einer verschärften Sicherheitspolitik, einer nationalen Formierung und einer sozialrassistischen Ausbeutung und Zurichtung ihrem Wesen nach Fleisch vom Fleische einer Staatsgewalt, welche dem Schutz der Eigentumsordnung verpflichtet ist.

Wenn Maaßen es also zuläßt und begünstigt, daß die AfD unter Weigel und Gauland zur Jagd auf die bürgerlichen Parteien bläst und sie auf deren eingeschlagenem Weg vorantreibt, womöglich gar nach dem Muster der FPÖ die Regierungsbeteiligung erlangt, betreibt er geheimdienstliches Kerngeschäft. Die Rechte bleibt aus dieser Perspektive stets ein wenngleich wildwüchsiges, so doch verwandtes Terrain, das nach Möglichkeit infiltriert und instrumentalisiert wird, um die Handlungsoptionen gegen herrschaftskritische Bestrebungen und mögliche Revolten in Krisenzeiten zu erweitern. So gefährlich die AfD schon für sich genommen sein mag, fällt ihr Aufstieg doch mit einer Aufrüstung des Sicherheitsstaats zusammen, der mit neuen Polizeigesetzen, Notstandsplänen, Medienkontrolle und vielen anderen Maßnahmen den (noch) nicht erklärten Ausnahmezustand auf die Tagesordnung gesetzt hat. Erst im Kontext dieser Kombination läßt sich der Umgang des Verfassungsschutzes mit der Rechten wenn schon naturgemäß nicht nebelfrei, so doch mit einer gewissen Reichweite ausleuchten.


Fußnoten:

[1] Franziska Schreiber: Inside AfD. Der Bericht einer Aussteigerin, Europa Verlag, München 2018, 221 Seiten, 18,00 Euro

[2] ebenda, S. 15/16

[3] www.berliner-zeitung.de/politik/tipps-an-petry--verfassungsschutz-chef-maassen-wegen-afd-unter-druck-310422

[4] www.sueddeutsche.de/politik/maassen-petry-afd-1.4076324

[5] www.deutschlandfunk.de/maassen-unter-druck-wegen-angeblicher-afd-beratung-solche.694.de.html

[6] www.wsws.org/de/articles/2018/08/03/maas-a03.html

3. August 2018


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