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REPRESSION/1620: USA - Grenzen innen wie außen ... (SB)



Der "Anschlag illegaler Ausländer" und "Krimineller" auf die Südgrenze der USA ist gefundenes Fressen für den Twitter-Präsidenten. Was der große Blonde im Weißen Haus aus dem Marsch einiger Tausend nichtweißer Menschen aus Zentralamerika macht, ist Rassismus pur. Donald Trump weiß, was er tut, wenn er Menschen, die sich zusammenschließen, um untragbaren Lebensbedingungen zu entkommen, mit rhetorischer Gewalt als das von außen eindringende Böse dämonisiert. Über Fluchtursachen darf sich dieser Präsident keine Gedanken machen. Die Bilanz wäre, wenn sie denn angestellt würde, so verheerend für seine Regierung und die seiner Vorgänger, daß die Bigotterie der weißen Suprematie vielleicht sogar eingefleischten Evangelikalen auffiele, die noch nicht ganz vergessen haben, daß ihr Heiland selbst auf der Flucht geboren wurde.

Honduras, aus dem besonders viele Menschen fliehen, ist unter dem Regime des von der US-Regierung unterstützten Präsidenten Juan Orlando Hernandez zu einem der gefährlichsten Länder der Welt geworden. Die Bevölkerung wird unter Freihandelsbedingungen, die den Anlagewünschen ausländischer Investoren entgegenkommen, nach Strich und Faden ausgebeutet. Jede gewerkschaftliche Tätigkeit ist stark eingeschränkt, und der Hunger vielen Menschen täglicher Begleiter. Um die 600 Frauen fallen jedes Jahr Gewaltverbrechen zum Opfer, und der Machismo hat auch gegenüber LGBTI-Menschen einen Freibrief, wurden bislang 200 dieser Gruppe zugehörige Personen ermordet, ohne daß diese Taten auf nennenswerte Weise verfolgt würden [1]. Das ist auch deshalb erwähnenswert, weil Antifeminismus, Homo- und Transphobie endemisch ist unter neofaschistischen Organisationen und ihren Führern. Die patriarchale Gewalt der Marke Trump kennt keine Grenzen, um so höher sind diejenigen, auf die die davon betroffenen Menschen treffen, wenn sie verzweifelt versuchen, ihr Leben zu retten.

Wenn der US-Präsident versucht, die Bevölkerung hinter sich zu scharen, um bei den anstehenden Midterm-Elections ein gutes Ergebnis zu erzielen, dann spricht er insbesondere die weiße Mehrheit an. Deren Sozial- und Kulturkampf gegen nichtweiße Menschen wird auch in den USA selbst geführt. Zweieinhalb Millionen im Strafvollzug Gefangene, weit überproportional Schwarze und Latinos, und mehrere Millionen Vorbestrafte mit eingeschränkten Bürgerrechten zeigen, daß sich auch um das Böse innerhalb der USA gekümmert wird. Wie die Landesgrenzen und Fluchtwege als Achsen der Selektion fungieren, auf denen das arme und nichtweiße MigrantInnenproletariat aussortiert wird, während Businessleute und Kapitalinvestoren aus anderen Industriestaaten freien Zugang haben, so wird innerhalb der USA vor allem anhand von Klasse und Ethnie entschieden, wer dazugehört und wer nicht.

Die Parallele zwischen den Märschen um ihr Leben laufender Menschen und der langjährigen Einkerkerung insbesondere derjenigen Gefangenen, die den politischen Widerstand in den US-Knästen organisieren, unter Isolationsbedingungen liegt auf der Hand. Wenn im gefängnisindustriellen Komplex rund 50.000 Menschen zum Teil über Jahre unter engsten und lebensfeindlichsten Bedingungen, deren Brutalität am ehesten im Bild des Lebendig-Begraben-Werdens greifbar wird, aushalten müssen, dann handelt es sich um eine Maßnahme des ultimativen Brechens jedes verbliebenen Anflugs von Widerstand gegen die Bedingungen des Knastes. Wo Freiheitsberaubung im großen Stil nach kapitalistischen Wettbewerbsbedingungen organisiert wird, da werden Insassen tatsächlich produziert, um Bau und Betrieb neuer Knäste zu ermöglichen, um millionenschwere Aufträge für die Versorgung und Abschottung dieser stadtähnlichen Komplexe freizusetzen, um PolitikerInnen mit neuen Jobs durch neue Insassen Wahlerfolge zu bescheren und die Gefangenen unter billigsten Bedingungen und bei weitgehender Entrechtung mit Lohnarbeit ausbeuten zu können.

Im Mittelpunkt dieses Großlabors für Dehumanisierung steht das systematische Erzeugen einer Ohnmacht, die Tiere im Zoo zu habituellen Kompensationsformen wie ständigem Im-Kreis-Laufen oder selbstzugefügten Verletzungen veranlaßt. Hunderttausende Gefangene leiden unter psychischen Erkrankungen, die meist unbehandelt bleiben oder in eine Verwahrung münden, die noch schlimmerer als der Normalvollzug ist. All das ist nicht das Ergebnis dieser Präsidenschaft, sondern das aller Vorgänger Trumps, was den Klassencharakter der Inhaftierung potentiell widerständiger Segmente der US-Bevölkerung unterstreicht.

Die massenhafte Produktion von Ohnmacht ist auch Programm bei der von Trump verfügten Flüchtlingsabwehr, beschränkt sich diese doch nicht darauf, die eigene Grenze zu einer repressionsarchitektonischen Monstrosität besonderer Art auszubauen. In seinen Tweets zum Flüchtlingsmarsch greift der US-Präsident wiederholt die Regierungen der Region mit dem Vorwurf an, nicht genug für die eigene Grenzsicherung zu tun und damit verantwortlich für die Formierung von großen Fluchtbewegegungen zu sein. Die von US-Interessen mitzuverantwortenden Lebensbedingungen zentralamerikanischer Bevölkerungen sollen in nationalstaatlichen Arealen mit blutigen Grenzen fixiert werden, so daß der US-Gesellschaft die Rechnung ihres weit überdurchschnittlichen Verbrauches an Lebensressourcen nicht einmal mehr in dieser verelendeten Form aufgemacht werden kann.

Wie der Widerstand der Gefangenen gegen Hochsicherheitstrakte, Isolationshaft, ausbeuterische Knastarbeit und schlechte Haftbedingungen in den USA und die Wanderungsbewegungen in Richtung auf ihre Außengrenzen zeigen, stellen diese aus Not geborenen kollektiven Handlungsformen im Grunde genommen einen Gegenentwurf zum ultraliberalen Individualismus der weißen Mehrheitsgesellschaft dar. Was diese an Subjektivität produziert, entbehrt gerade dadurch, daß der Anschein souveräner Handlungsgewalt nur unter der Bedingung entsteht, die Norm mehrheitlicher Zugehörigkeit zu erfüllen, jedes selbstbestimmten Potentials. Wo von Selbstbestimmung aus Gründen objektiver Repression und materieller Not nicht die Rede sein kann, da kann Stärke aus einer Kollektivität entstehen, die bar jeder Fesselwirkung bürgerlicher Normalität ist, weil mit dem Verlust jeglichen Anspruchs auf staatsbürger- und klassenherrschaftliche Zugehörigkeit auch die Bindewirkung des Anpassungs- und Distinktionsstrebens verlorengegangen ist.

Was bleibt Menschen, denen das Leben durch ökonomische Verelendung und administrative Willkür zur Hölle gemacht wird, auch sonst übrig als sich zu organisieren? Die Konsequenz kollektiver Ermächtigung aus der Barbarei neofaschistischer Verfügungsgewalt zu ziehen ist etwas, über das auch hierzulande nachzudenken wäre, bevor die Atomisierung der Gesellschaft so weit fortgeschritten ist, daß dieser Gedanke nicht einmal mehr zu fassen, geschweige denn in die Tat umzusetzen ist.


Fußnote:

[1] https://www.counterpunch.org/2018/10/22/an-illegitimate-us-backed-regime-is-fueling-the-honduran-refugee-crisis/

24. Oktober 2018


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