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REPRESSION/1621: USA - Waffenfreigabe gefährlich und ungerecht ... (SB)



Der Anschlag auf die Tree of Life-Synagoge in Pittsburgh, bei dem am 27. Oktober elf Menschen ermordet und sechs verwundet wurden, war für US-Präsident Donald Trump eine willkommene Gelegenheit, seine Klientel bei der Waffenlobby zu umwerben. Wenn eine bewaffnete Wache innerhalb der Synagoge gewesen wäre, dann wäre sie in der Lage gewesen, den Attentäter zu stoppen, so Trump gegenüber einem Reporter. Nur kurz nach der Tat instrumentalisierte er die Opfer des Anschlages, um dem Standardargument der National Rifle Association of America (NRA) für das unbehinderte Tragen von Schußwaffen im öffentlichen Raum Geltung zu verschaffen. Die sechs Millionen Mitglieder starke Non-Profit-Organisation verfügt über erheblichen politischen Einfluß in den USA, wo erklärte KritikerInnen des liberalen Waffenrechtes allen Massakern an Schulen und Universitäten, in Einkaufspassagen und bei Unterhaltungsevents zum Trotz in der Minderheit sind.

Noch sind LehrerInnen, Krankenschwestern, PriesterInnen oder SozialarbeiterInnen meist nicht mit Handfeuerwaffen ausgestattet, wenn sie ihrer Arbeit nachgehen oder vor die Klasse oder Gemeinde treten. Doch die immer wieder ventilierte Idee, der gesellschaftliche Frieden ließe sich dadurch herstellen, daß alle bewaffnet sind, also Waffengleichheit herrsche, hat mit der sozialen Realität des Landes nichts zu tun. Mehr Feuerkraft in die Hand der BürgerInnen heißt nichts anderes als die Zahl von rund 30.000 Schußwaffentoten in den USA, unter ihnen zahlreiche Opfer, die beim Reinigen ihrer Waffe oder durch unsachgemäßen Umgang mit ihr sterben, immer weiter zu erhöhen. Die Probleme einer Gesellschaft, in der bis zu 50 Millionen Menschen nur mit Lebensmittelmarken überleben können und die Schere zwischen Reich und Arm kaum weiter auseinanderklaffen könnte, in der latenter bis offener Rassismus ein maßgeblicher Grund für die weit überproportionale Tötung nichtweißer Menschen durch Privatpersonen wie auch die Polizei ist, lassen sich weder mit verdeckt am Körper getragenen Handfeuerwaffen noch mit Sturmgewehren und Pump Guns in der Waffenhalterung des Pick Up Trucks lösen.

Der Attentäter von Pittsburgh, der 48jährige Robert Bowers, ist ein exemplarisches Beispiel für jene weißen Männer, die Trump ihre Stimme geben, weil sie sich von ethnischen Minderheiten bedroht fühlen und die Freiheit des Waffentragens für ein unveräußerliches Grundrecht halten. Zwar hat Bowers Trump als zu liberal kritisiert, aber er entspricht der feindseligen Rhetorik des US-Präsidenten fast aufs Wort. So hat Bowers im Vorfeld seiner Tat jüdische Organisationen bezichtigt, MigrantInnen Zutritt zu den USA zu verschaffen, die er als "Invasoren" bezeichnete, von deren angeblicher Gewalttätigkeit er sich bedroht fühlte.

Stolz präsentierte er in einem sozialen Netzwerk ein Foto seiner "Glock family" - drei Pistolen der österreichischen Marke Glock, die in den USA unter anderem aufgrund ihrer übergroßen, auf langfristiges Feuern eingerichteten Magazine Kultstatus genießen und schon bei diversen Massakern eingesetzt wurden. 33 Tote 2007 an der Universität Virginia Tech in Virginia; 6 Tote 2011 auf dem Parkplatz eines Supermarktes in Arizona, wo eine Abgeordnete des Repräsentantenhauses und Kritikerin liberaler Waffenrechte gerade einen Bürgertermin abhielt; 67 Tote 2011 auf der norwegischen Insel Utoya, wo der Rechtsradikale Anders Breivik Jugendliche der norwegischen Arbeiterpartei als Sachwalter des von ihm gehaßten "Kulturmarxismus" ermordete; 9 Tote 2015 in einer schwarzen Kirche in Charleston, North Carolina, hingerichtet von einem weißen Rassisten; 10 Tote an einem College in Roseburg, Oregon, ebenfalls Opfer eines weißen Rassisten. Bei all diesen Morden gehörten Glock-Pistolen zur Ausstattung der Täter oder wurden als einzige Waffe eingesetzt.

In der Regel werden bei Massenmorden in den USA legal erworbene Schußwaffen eingesetzt, das gilt auch für den norwegischen Attentäter Anders Breivik. Folgt man der Forderung nach Waffengleichheit, wie von Trump und der NRA erhoben, dann zeigt sich, daß das archaische Hauen und Stechen auf Augenhöhe dort Grenzen hat, wo Menschen mit Schußwaffen zur Selbstverteidigung und Selbstjustiz ermächtigt werden, die dazu eigentlich nicht vorgesehen sind. So hat die Black Panther Party ihrem Kampf gegen die rassistische Unterdrückung von Menschen mit afroamerikanischer Herkunft landesweite Aufmerksamkeit verschafft, als ihre Mitglieder in den 1960er Jahren kalifornischem Recht gemäß mit offen getragenen Schußwaffen in der Öffentlichkeit auftraten.

Die Folge war, daß die sozialrevolutionäre Partei zum Staatsfeind Nummer Eins erklärt und vom FBI auf blutige Weise zerschlagen wurde. Die staatlichen Mordanschläge auf diverse Anführer der Black Panther Party sind gut dokumentiert und belegen, daß Gleichheit vor dem Gesetz in God's Own Country bestenfalls innerhalb ethnischer Gruppen, aber ganz bestimmt nicht über deren Grenzen hinaus gilt. Heute wird das Recht auf Waffenbesitz auch politisch unterfüttert, so in einem Werbevideo der NRA, wo zu Bildern von militanten Szenen auf antifaschistischen Demonstrationen festgestellt wird, "der einzige Weg, wie wir unser Land und unsere Freiheit retten können, besteht darin, diese Gewalt der Lügen mit der geballten Faust der Wahrheit zu bekämpfen" [2]. Da diese Faust eine hochkalibrige Glock-Pistole mit 33-Schuß-Magazin umklammert und im andern Arm ein Schnellfeuergewehr, also eine ausgesprochene Angriffswaffe zur "präventiven Selbstverteidigung", liegt, ist der Schritt in den offenen Bürgerkrieg nicht groß.

Wie Millionen meist männliche und weit überproportional nichtweiße Insassen und Ex-Häftlinge des US-Strafvollzugssystems belegen, wird sozial unterprivilegierten Menschen ebenfalls das Recht auf bewaffnete Selbstverteidigung vorenthalten. Ihnen wird der der legale Erwerb von Schußwaffen überall dort, wo ein Führungszeugnis beim Kauf vorgelegt werden muß, unmöglich gemacht. Im klassengesellschaftlichen Sinne unzuverlässige Teile der Bevölkerung sind mithin auf den illegalen Waffenerwerb angewiesen und wandern, wenn sie mit Schußwaffen erwischt werden, um so länger zurück in den Knast. Schließlich sind Gewehre, Munition und eine dazugehörige Ausbildung nicht billig, was die bewaffnete Sozialpolitik - Eigentümer verteidigen Grund und Boden, Frauen verteidigen sich gegen Vergewaltiger, das weiße Amerika verteidigt sich gegen kampferprobte schwarze Gangs - eben doch nicht so sozial erscheinen läßt.

Selbstverständlich verurteilte der US-Präsident den antisemitischen Charakter des Mordanschlages auf die Synagoge in Pittsburgh - bevor Bowers zu schießen begann, schrie er "Alle Juden müssen sterben". Vor 14 Monaten hatte Trump explizit antisemitische Neonazis in Charlottesville, unter denen sich ein Mann befand, der eine Frau aus der Gegendemonstration mit einem Auto tötete und 16 Personen verletzten, verteidigt, indem er behauptete, die Gewalt sei gleichermaßen von beiden Seiten ausgegangen. Inhaltliche Inkonsistenz ist eine der besonderen Stärken dieses Präsidenten, denn sie erhöht seine Anpassungsfähigkeit an unterschiedlichste Situationen, ohne daß dies seiner Popularität nennenswert Abbruch täte.

Gewalt gebe es eben überall auf der Welt, so Trump auf einer Pressekonferenz kurz nach dem Anschlag von Pittsburgh. "Die Welt ist eine gewalttätige Welt" [3], daher müsse man über die verschärfte Anwendung der Todesstrafe nachdenken, so ein Staatschef, dessen Popularität zu einem Gutteil auf der Hetze gegen Minderheiten, MigrantInnen oder politische KonkurrentInnen basiert. Fragte er anläßlich der Tat des Rassisten Bowers, wie es überhaupt zu diesem gewalttätigen Exzeß kommen konnte, dann läge nahe, an seine eigenen Ausfälle gegen flüchtende Menschen zu erinnern. Also zuckt er mit den Schultern - Schicksal, da kann man nichts machen außer die ultimative Strafe verhängen, die derartige Taten bekanntlich nicht verhindert, sondern vor allem rächender Genugtuung gewidmet ist.


Fußnoten:

[1] https://edition.cnn.com/2018/10/27/us/synagogue-attack-suspect-robert-bowers-profile/index.html

[2] https://www.vox.com/world/2017/6/29/15892508/nra-ad-dana-loesch-yikes

[2] https://www.whitehouse.gov/briefings-statements/remarks-president-trump-air-force-one-departure-5/

29. Oktober 2018


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