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REPRESSION/1635: Kunstaktion - unter Verdacht ... (SB)



Schwerwiegender Angriff auf die Kunstfreiheit: Der Staat stuft das Zentrum für Politische Schönheit nach § 129 StGB als kriminelle Vereinigung ein. Damit bricht er die Verfassung, die das Recht auf eine freie Kunst garantiert. Demnach ist das ZPS eine Organisation, deren hauptsächlicher Zweck darin besteht, schwere Straftaten zu verüben. Auf einer Liste in Thüringen finden wir uns neben zwölf Terrororganisationen wie "Islamischer Staat" und "Al Nusra Front" wieder. Wir sollen ausgeleuchtet, kriminalisiert und stigmatisiert werden. Der Staat radikalisiert sich im Kampf gegen unsere Aktionen selbst. Wenn Kunst kriminalisiert wird, handelt der Staat kriminell. Wir benötigen jetzt jede Form der Solidarität, um uns zu wehren!
Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) [1]

Der Reihe nach. Im Januar 2017 bezeichnete der thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke in seiner Dresdner Brandrede das Holocaust-Mahnmal in Berlin als "Denkmal der Schande" und forderte eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad". Im November 2017 eröffnete die Künstlergruppe "Zentrum für Politische Schönheit" einen Nachbau des Holocaust-Mahnmals in unmittelbarer Nähe von Höckes Wohnhaus in Bornhagen. Zugleich kündigte sie an, vor Ort eine "Langzeitbeobachtung des Rechtsradikalismus" vorzunehmen und rief im Internet zur Unterstützung auf: "Beobachten Sie den bekanntesten Brandstifter Deutschlands." [2] In einem Videoclip des ZPS hieß es: "Der Thüringer Verfassungsschutz deckte und protegierte über Jahre den Terror des NSU. Deshalb haben wir den zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutz Thüringen gegründet". Wie die vorangegangenen spektakulären und zumeist heftig umstrittenen Aktionen des ZPS löste auch dies die beabsichtigte breite und hochemotionale Debatte aus.

Der damalige Thüringer Parlamentspräsident Christian Carius (CDU) forderte die sofortige Einleitung "erforderlicher Ermittlungen" gegen die Gruppe und bezichtigte das ZPS der "Erpressung und Bedrohung eines Abgeordneten". Höcke selbst erklärte am 25. November 2017 auf einer Konferenz des rechtsextremen "Compact"-Magazins, das ZPS sei keine Künstlergruppe, sondern "eine kriminelle Vereinigung. Ja, sie ist eine terroristische Vereinigung". In der Folge konnte das ZPS alle zivilrechtlichen Versuche abwehren, sie gerichtlich für diese Aktion zu belangen. Auch ein Strafverfahren wegen versuchter Nötigung wurde von der Staatsanwaltschaft Mühlhausen im November 2018 eingestellt. Daß die damals kontrovers diskutierte Aktion ein weiteres schwerwiegendes juristisches Nachspiel hatte, wurde indessen erst kürzlich bekannt.

Die Antwort auf eine Anfrage des Abgeordneten Steffen Dittes (Die Linke) im thüringischen Landtag brachte es an den Tag. Der hatte gefragt, wie viele Ermittlungen nach Paragraf 129 Strafgesetzbuch es derzeit gebe. In dem Antwortschreiben, in dem sich Verfahren gegen IS-Mitglieder, Anhänger der Al-Nusra-Front und Holocaustleugner fanden, war auch von Ermittlungen gegen eine Künstlergruppe die Rede. Auf Nachfrage stellte sich heraus, daß damit das ZPS gemeint ist und gegen dessen Gründer Philipp Ruch bereits seit 16 Monaten wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt wird. Nicht nur, daß die Künstlergruppe damit gewissermaßen in einen Topf mit militanten Islamisten geworfen wird, gegen sie können auch verdeckte Ermittlungen und andere Überwachungsmethoden eingeleitet werden.

Die Staatsanwaltschaft Gera begründet ihre Ermittlungen mit der vom ZPS selbst verlautbarten Beobachtung Höckes. Die Gruppe habe "in organisierter Weise Abhör- und Ausspähmaßnahmen gegen den Abgeordneten Höcke" angekündigt und sich damit selbst einer Straftat bezichtigt, argumentierte Staatsanwalt Martin Zschächner. Die Künstlergruppe hatte allerdings später bestritten, Höcke tatsächlich bespitzelt zu haben und wollte die Drohung nur als Satire verstanden wissen. "Alles nur Jux und Tollerei?", fragte Zschächner dieser Tage. "Das muss man sich anschauen." Bisher seien die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Staatsanwalt Zschächner ist kein Unbekannter, fällt er doch seit mehreren Jahren "insbesondere mit Ermittlungen gegen linke Strukturen auf", so die thüringische Linken-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss. Parteichefin Katja Kipping nannte Zschächner einen "Staatsanwalt, der's Rechten recht macht". Dieser habe ein Ermittlungsverfahren gegen einen AfD-Politiker eingestellt, der sie übel beschimpft habe und "am Spieß braten" wollte.

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat nannte die Geraer Ermittlungen "absurd" und "einen Skandal". "Die Staatsanwaltschaft Gera macht sich zum Handlanger des AfD-Rechtsaußen Höcke, der behauptete, dass das Zentrum für Politische Schönheit eine kriminelle Vereinigung sei. Ein Armutszeugnis für die Staatsanwaltschaft." Die stellvertretende Linken-Chefin Martina Renner erklärte, die Staatsanwaltschaft Gera "setzt autoritäre Phantasien von Höcke in die Tat um". Das Verfahren grenze an Amtsmißbrauch und Rechtsbeugung. "Kunst und Antifaschismus sind nicht kriminell." Und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) schrieb auf Twitter: "Alle zivilen Verfahren gegen das ZPS blieben erfolglos und nun Strafrecht als kriminelle Vereinigung? Seltsam!" Er betonte aber auch: "Ein Rechtsstaat zeichnet sich aber gerade dadurch aus, genau keine politischen Weisungen zu erteilen."

Justizminister Dieter Lauinger (Die Grünen) lehnt eine Intervention in Gera ab. "Wir als Landesregierung wollen die Unabhängigkeit der Justiz stärken", eingegriffen werde nur in Ausnahmefällen, wenn ein "eklatant rechtswidriges" Vorgehen einer Behörde beobachtet wird. Er nimmt die Ermittler weitgehend in Schutz. "Die Einleitung des Ermittlungsverfahrens beruhte auf eigenem Verhalten des Zentrums für politische Schönheit und war nicht politisch motiviert", so der Justizminister. "Gegenteilige Vorwürfe sind Unsinn." Erklärungsbedarf sieht Lauinger allenfalls bei der Dauer des Ermittlungsverfahrens. Das ZPS hat eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim zuständigen thüringischen Behördenleiter eingereicht, dem Staatsanwalt eine strafbewehrte Unterlassungsbeschwerde zugestellt und prüft eine Anzeige wegen Paragraph 344 Strafgesetzbuch "Verfolgung Unschuldiger". [3]

Wenngleich die Gesinnung und Motivlage des Staatsanwalts eine nicht unmaßgebliche Rolle bei den Ermittlungen gespielt haben könnte, stellt sich doch darüber hinaus die Frage, ob dieser Vorgang politisch instrumentalisiert wird. Zum ersten Mal wird nach Paragraph 129 StGB wegen des Verdachts auf "Bildung einer kriminellen Vereinigung" gegen eine Künstlergruppe ermittelt. Dieser Paragraph gilt als Türöffner, weil es kaum eine Strafvorschrift gibt, die weitergehende Rechte einräumt. Ein breites Spektrum der Überwachung und Observation steht zur Verfügung, wie das bei Ermittlungen wegen einzelner schwerer Straftaten oftmals nicht möglich ist. Um nach § 129 zu ermitteln, muß die Staatsanwaltschaft den Verdacht haben, daß eine besonders schwere Straftat begangen wurde oder geplant ist. Darunter fallen zum Beispiel Tötungsdelikte, Raub, Betäubungsmitteldelikte und Vergewaltigungen in besonders schweren Fällen. Voraussetzung ist, daß es sich um Straftaten handelt, von denen eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.

Selbst wenn Björn Höcke tatsächlich beobachtet worden wäre, hätte das nicht die Qualität, um wegen Paragraph 129 zu ermitteln. Beispielsweise jagen zahlreiche Fotojournalisten Politikern oder anderen Prominenten professionell hinterher, ohne daß gegen sie wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt würde. Auch von der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat kann im Falle des ZPS keine Rede sein. Der 129er wird als Vehikel genutzt, um einen Einblick in die Gruppe zu bekommen. In der Praxis wird dieser Paragraph etwa im Rockermilieu häufig angewandt, wobei es jedoch nur selten zu Verurteilungen kommt, da das Bilden einer kriminellen Vereinigung zumeist nicht nachgewiesen werden kann. Die Angeklagten werden jedoch wegen einzelner Straftaten verurteilt, wobei die Ermittler auf Ergebnisse der Observation und Telefonüberwachung zurückgreifen, die sie nur wegen des Paragrafen 129 hatten. [4]

Da es sich um Eingriffe in die Grundrechte der Menschen handelt, steht diese Vorgehensweise unter rechtsstaatlichen Kriterien auf tönernen Füßen. Um diese Kriterien auszuhebeln, wurde das Instrument des § 129 entworfen und in der Folge um 129a und 129b auf sogenannte "terroristische Vereinigungen" im In- und Ausland erweitert. Die erstmalige Anwendung auf die Aktion einer Künstlergruppe läßt auf die Zielsetzung schließen, künstlerischen Aktivismus, der wie im Falle des ZPS politisch brisante Kontroversen thematisiert und beträchtliche Resonanz in der Öffentlichkeit hervorruft, aufs Korn zu nehmen, einzuschüchtern, zu diskreditieren und verstärkt unter Strafverdikt zu stellen. Wie immer man die stets provozierenden und oftmals grenzüberschreitenden Aktionen dieser Gruppe im jeweils konkreten Fall auch werten mag, sind doch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Gera in einem spezifischen Kontext zu sehen. Das Verbot von indymedia linksunten, die Verbotsdrohung gegen die Rote Hilfe, der Entzug der Gemeinnützigkeit von Attac und nun auch die Ermittlungen gegen das ZPS ergeben als Mosaiksteine ein Gesamtbild wachsender und systematischer Repression gegen linke oder allgemein emanzipatorische Bewegungen, Publikationen oder Unterstützerkreise, die es entschieden zurückzuweisen gilt.


Fußnoten:

[1] www.politicalbeauty.de

[2] www.tagesspiegel.de/politik/streit-um-zentrum-fuer-politische-schoenheit-ramelow-kritisiert-ermittlungen-gegen-kuenstlergruppe/24180832.html

[3] www.sueddeutsche.de/kultur/zentrum-fuer-politische-schoenheit-kriminelle-vereinigung-ermittlungen-1.4396545

[4] www.zeit.de/politik/deutschland/2019-04/zentrum-fuer-politische-schoenheit-staatsanwaltschaft-gera-afd-strafrecht

5. April 2019


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