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KULTUR/0763: Unterhaltung oder Krieg ... der Zuschauer hat keine Wahl (SB)



Wenn sich blutige Wirklichkeit und mediale Fiktion immer mehr annähern, dann ist der Bedarf an Ablenkung um so größer. Das vom Fernsehsender RTL inszenierte Dschungelcamp wartet dieses Jahr mit Superlativen auf, die den Zuschauer wirksam in Bann schlagen. "Nackiger! - Fieser! - Härter! Dschungel-Camp brutal wie nie" tönt es auf der eigens zur publizistischen Begleitung der Reality-Show eingerichteten Seite der Bild-Zeitung marktschreierisch, und der Leser kann sich sogleich anhand der dort präsentierten Fotos ein Bild davon machen, wie verletzend die im Lager vollzogenen Erniedrigungen sind.

Die Einschaltquote spricht für sich und läßt erkennen, daß der Niedergang bürgerlicher Werte nicht einfach sang- und klanglos vonstatten geht, sondern von der ergötzlichen Vorführung menschlicher Niedertracht und Peinlichkeit illuminiert wird. Das vom Medienkonzern Bertelsmann, einem um Moral und Ethik wie um die herrschaftsförmige Zurichtung des Bürgers gleichermaßen besorgten Unternehmen, als Quotenrenner ins Programm seines Senders RTL gehievte Panoptikum des Ekels und der Aggression bietet als harmlose Unterhaltung an, was unter dem Titel des Lagers allemal mehr Einblicke in gesellschaftliche Zwangsverhältnisse bietet, als dem Publikum beim Ablachen und Schenkelklopfen im heimischen Wohnzimmer schwant.

In seiner extremsten Form manifestiert sich das Lager derzeit als Vernichtungszone, in der der Tod grausame Ernte hält. Man habe "noch viel Arbeit" vor sich, so der israelische Generalstabschef Gabi Aschkenasi, als er trotz oder gerade wegen der von der Hamas signalisierten Bereitschaft, über einen Waffenstillstand zu verhandeln, die weitere Intensivierung der Angriffe auf Gaza ankündigte. Unterhaltung ist derzeit das geringste Problem, das die von Wasser, Strom und Nahrung abgeschnittenen, dafür aber reichlich mit Spreng- und Posphorbomben bedachten Menschen in Gaza haben. Unterhaltung ist dafür um so mehr Trumpf im deutschen Fernsehen, wo man das Massaker lieber links liegen läßt, um der Arbeit der sogenannten Promis zuzuschauen, mit exhibitionistischen und erniedrigenden Ritualen zum Wohlbefinden des Zuschauers beizutragen.

Der hat allen Grund, ein solcher zu bleiben und sich einzubilden, daß zwischen der heimischen Projektionsfläche und der Welt da draußen ein magischer Schutzschirm ausgepannt ist, hinter dem er so unberührbar bleibt, wie die von ihm observierten Objekte der Belustigung und Zerstörung in hoher Rotationsgeschwindigkeit vom Tableau der allseitigen Verletzlichkeit gefegt werden. Daß der Dschungel nicht im Fernsehen oder an fernen exotischen Orten stattfindet, sondern in der eigenen, von Angst, Gier und Feindseligkeit zerrissenen Sozialsphäre, bietet allen Anlaß dazu, Bedrohungen zu fliehen, die einen längst hinterrücks eingeholt haben.

Das Lager in den Dschungel zu verfrachten verleiht der Mär, der Barbar verrichte weit entfernt von den Grenzen der Bundesrepublik etwa in Afghanistan oder im Irak sein grausames Handwerk, zwar eine gewisse Glaubwürdigkeit. Doch der Blick auf Gaza, wo die angeblich einzige Demokratie der Region mit Unterstützung der Bundesregierung das irreguläre, terroristische, islamische, kurz gesagt nichtmenschliche Element zu Paaren treibt, läßt ahnen, daß die publikumsgerechte Simulation der Demütigung und Folter nur das Vorspiel für die ganz und gar nicht mehr komische Zurichtung des bürgerlichen Subjekts auf sein verbrauchsgerechtes und mißbrauchsverdächtiges Regelmaß darstellt.

So lange er von fremden Kräften getrieben ist, während er sich einbildet, Herr nicht nur seiner Fernbedienung zu sein, hat der Mensch keine Wahl, und wenn sie nur die Fernsehprogramme beträfe. Im Kapitalismus sind Krieg und Unterhaltung Antipoden eines Zwangsverhältnisses, das als solches zutagezutreten droht, wenn Amüsement und Vernichtung in eins fallen.

[siehe dazu auch KULTUR/0670: Im Dschungelcamp den sozialen Krieg proben (SB)]

14. Januar 2009