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KULTUR/0779: Jade Goody - Sterben für die Kirche der panoptischen Gesellschaft (SB)



Das öffentliche Sterben der Jade Goody ist die konsequente Fortschreibung einer Celebrity-Kultur, die Berühmtheiten im Inkubator einer kollektiven Erregung produziert, deren selbstreferentieller Charakter nicht mehr benötigt als das, was der Zuschauer aus eigener Lebenserfahrung bereits weiß oder was er nicht zu wissen vorgibt, weil er es ablehnt. Das hierzulande als "Unterschichtenfernsehen" abgeheftete Vorführen sozialer Delinquenz wurde an Goody in aller Totalität, mit der die Exposition des Menschen im Zeitalter des Reality-TV nur betrieben werden kann, vollzogen. An ihrer Medienkarriere sind die Befindlichkeiten der britischen Gesellschaft abzulesen wie in einem Vexierspiegel, der die unterschiedlichen Facetten sozialer Verachtung und Heroisierung je nach gesellschaftlicher Zugehörigkeit auf signifikante Weise abbildet.

Mit 21 Jahren medial groß geworden im Sozialknast Big Brother wußte die junge Frau stets, wie man Aufmerksamkeit erzeugt, und setzte diese Fähigkeit folgerichtig für eine Selbstvermarktung ein, die am Sonntag mit dem Tod der an Gebärmutterhalskrebs erkrankten 27jährigen Mutter längst nicht endet. Damit erfüllte sie ein Funktionsideal der neoliberalen Arbeitsgesellschaft, das zum Zwecke optimaler Marktallokation maximale Flexibilität bei minimaler Selbstachtung fordert, um Verwertbarkeit nach Maßgabe fremder Interessen zu ermöglichen.

Auch in dieser Hinsicht hat Jade Goody dem Publikum einen Spiegel vorgehalten, allerdings ohne daß es Anstoß an den gesellschaftlichen Voraussetzungen dieser Selbstverwertung genommen hätte. Dazu hätte es hinter den Spiegel blicken müssen, den die junge Frau mit der ganzen Bandbreite der kommunikativen Möglichkeiten eines Menschen füllte, das als Kind zweier Drogensüchtiger alles zu erleiden hatte, was ein Leben im gesellschaftlichen Abseits mit sich bringt. Als Star eines TV-Formats, das die panoptische Gesellschaft frühzeitig vorweggenommen hat, indem es Menschen wie Laborratten ständiger Beobachtung aussetzt und damit auf ein öffentliches Verhalten konditioniert, dem die Abwesenheit des anonymen Blicks der Kamera als Notstand erscheinen muß, hat Goody alles getan, was zur Unterhaltung beiträgt.

In zwei Big Brother-Shows entblößte sie sich bis aufs Äußerste ihres Körpers und aufs Innerste ihrer Gedankenwelt, sie lieferte sich Wortgefechte mit anderen Kandidaten, die die bildhafte Fülle fäkalsprachlicher Beleidigungen demonstrierten, und wurde nach einer verbalen Auseinandersetzung mit der indischen Schauspielerin Shilpa Shetty des Rassismus bezichtigt. Während der Sozialrassismus, der sich an Goodys derber Sprache, ihrer lückenhaften Bildung und ihrer leichten Korpulenz entzündete, ihr die selbst von seriösen TV-Moderatoren verwendete Schmähung einer "Miss Piggy" einbrachte und zu Zusammenrottungen vor dem Big Brother-Haus führte, bei denen Plakate mit der Aufschrift "Schlachtet das Schwein" geschwenkt wurden, unter volkstümlicher Unterhaltung verbucht wurde, führte die Konfrontation mit dem Bollywood-Star zu einer diplomatischen Verstimmung zwischen London und Neu-Delhi, die darin gipfelte, daß sich Premierminister Gordon Brown bei einem Besuch in Indien für das Fernsehen in seinem Land rechtfertigen mußte.

Dabei hatte Shetty durchaus ihren Anteil an dem Eklat. Sie sagte Goody auf den Kopf zu, daß ihre ganze Medienpersona ein Big Brother-Produkt sei und sie nichts anderes vorzuweisen habe als die Rolle, die sie in der stickigen Aggressivität dieser Zwangslage spielt, während sie selbst ein richtiges Leben jenseits von Big Brother habe. Goodys verbale Reaktion auf diesen unverhohlen markierten Klassenunterschied führte dazu, daß sie von dem Unterhaltungsbetrieb, der sich bislang am Kitzel seines chauvinistischen Voyeurismus delektiert hatte, nach Strich und Faden zerlegt wurde. Es hagelte über 50.000 Beschwerden an die britische Medienaufsichtsbehörde Ofcom, die Pressekommentare über ihren Mißgriff grenzten an öffentliche Lynchjustiz, das Parfüm, das Goody erfolgreich vermarktete, wurde nicht mehr verkauft, und neben ihrer in Buchform erschienenen Biografie wurde sie selbst aus dem medialen Verkehr gezogen.

Als ob man die Dienste des Geistes, den man bereitwillig aus der Flasche gelassen hatte, plötzlich nicht mehr zu schätzen wußte, wuchs sich der Eklat zu einer moralischen Verurteilung Goodys aus, der keinen Zweifel daran ließ, daß der Stachel im Fleisch des Amüsements mit dem Gift der besseren Menschen präpariert war. Dennoch wollte man auf einen solchen Aktivposten nicht verzichten, so daß die vermeintliche Rassistin im indischen Big Brother-Klon Bigg Boss die Chance zu tätiger Reue erhielt. Hier nun wurde das nächste Kapitel in der Jade Goody-Saga aufgeschlagen.

Vor laufender Kamera wurde ihr mitgeteilt, daß sie an Krebs litt. Das sich daraufhin entfaltende Drama verwandelte ihr Leben in eine Krankengeschichte, die dem Publikum mit aller emotionalen Raffinesse serviert wurde, mit der sich die Geschichte vom Aufstieg und Niedergang eines Stars zum millionenfachen Verkaufserfolg hochjubeln läßt. Goodys Krebstherapie wurde zudem als medizinalpädagogisches Lehrstück über die Notwendigkeit von Vorsorgeuntersuchungen inszeniert, so daß ihr Ableben neben der Tatsache, daß sie einen Teil ihrer Einkünfte karitativen Zwecken spendete, als erbauende Geschichte von der moralischen Gesundung eines gefallenen Mädchens dargeboten werden konnte.

Mit der erklärten Absicht, auch ihren Tod in den Dienst einer kommerziellen Verwertung zu stellen, derer die krisengeschüttelte britische Gesellschaft desto so mehr bedarf, als es um das tägliche Brot immer schlechter bestellt ist, erwarb sich Goody höchstes Lob der Fernsehgemeinde wie des britischen Premierministers. Daß sie mit den dabei erzielten Einkünften die Ausbildung ihrer beiden Söhne finanzieren wollte, wird in einer Gesellschaft, deren Klassengrenzen heute noch so ehern sind wie zur Zeit des Manchester-Kapitalismus und deren Benachteiligte kaum eine Chance auf die Überwindung ihres sozialen Stigmas haben, ohne weiteres als mütterliche Fürsorge verstanden. Die von Jade Goody selbst zu ihrem Markenzeichen erhobene Herkunft aus unterprivilegierten Verhältnissen auf andere Weise als die der demonstrativen Zurschaustellung der daraus resultierenden Mängel nutzbar zu machen ist im kargen Sozialplan neoliberaler Auslese nicht vorgesehen.

Nachdem alle Stationen ihrer Leidensgeschichte weidlich ausgeschlachtet wurden, steht nun die Vermarktung ihres Begräbnisses und ihres Nachruhms auf dem Programm der britischen TV-Gemeinde und Zeitungskäufer. Bei der publizistischen Planung des prominenten Ablebens tat sich das wöchentlich erscheinende Celebrity-Magazin OK! mit einer vorab veröffentlichten, Goody "In Loving Memory" gewidmeten Sonderausgabe hervor, in der man den ihr gewidmeten Nachruf Tage vor dem tatsächlichen Tod der sterbenskranken Frau lesen konnte.

Die in der Presse nun aufgeworfene Frage, ob Goody die Medien ausgenutzt habe oder die Medien sie ausgenutzt hätten, geht an der sozialen Realität der britischen Klassengesellschaft weit vorbei. Die Ausbeutung menschlicher Schicksale nicht nur zu einer Zeit, in der die Bevölkerung des ruinösen Empires vor den Trümmern einer Volkswirtschaft steht, deren finanzkapitalistisches Akkumulationsmodell diejenigen, die nicht von ihm profitiert haben, am härtesten mit seinem Absturz bestraft, ist das Ergebnis einer Verwertungsdoktrin, die nichts ausläßt, was dem Menschen noch nicht genommen wurde, und seien es Momente schlimmsten existentiellen Leids.

Der Nutzen, der sich daraus ziehen läßt, daß es andern Menschen schlechter als einem selbst geht, manifestiert sich in der Befriedung einer zutiefst disparaten Sozialstruktur, die am kollektiv erlebten Mitgefühl ebenso gesundet wie am gemeinsam verabscheuten Feindbild. Materielle Widersprüche werden erfolgreich vergessen, wenn die letzten Dinge auf eine Weise zelebriert werden, die jedem vor Augen führen, wie nichtig und flüchtig die eigene Existenz doch ist. Big Brother hat sich mit Jade Goodys Ableben von einer Fabrik sozialen Elends, die alles zur Handelsware erklärt, was sich gegen den andern verwenden läßt, zu einer zivilreligiösen Kirche entwickelt, die das unsichtbaren Autoritäten gegenüber rechtfertigungspflichtige Leben paßförmiger denn je macht.

So werden Menschen, die das Geheimnis widerständiger Subjektivität schon deshalb nicht entwickeln konnten, weil sie es nicht hätten wahren können, von Kameras und Mikrofonen rückstandslos aufgesaugt, um konsumfertig zerlegt einem Fraß vorgeworfen zu werden, dessen kannibalistischer Charakter erst offenbar wird, wenn es zu spät ist. Der Tod einer Frau, die ihre Herkunft aus dem ausgegrenzten und ausgepowerten Subproletariat zum Gegenstand bourgeoiser Unterhaltung gemacht hat, kann durchaus als Symbol für den Erfolg einer Herrschaft genommen werden, die keiner Unterwerfung bedarf, weil diese von ihren Subjekten längst in Eigenregie vollzogen wurde.

24. März 2009