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KULTUR/0794: Auf dem Feldherrnhügel ... Joseph Fischer erklärt die Welt (SB)



Wo anders als auf der Terrasse der American Academy in Berlin, einem transatlantischen Durchlauferhitzer erster Güte, wäre wohl der geeignete Ort gewesen, um ein ausgiebiges Gespräch mit dem ehemaligen Außenminister Joseph Fischer zu führen. Im herrschaftlichen Ambiente einer Villa am Wannsee, die vom ehemaligen US-Botschafter in Deutschland und Waffenbruder im Jugoslawienkrieg, Richard Holbrooke, für diesen Zweck ausgesucht wurde, legte Fischer gegenüber dem Moderator Jörg Schönenbohm in einer am 19. Juli auf Phoenix ausgestrahlten Sendung dar, welche Kräfte die internationale Politik antreiben und was dabei für "uns" herausspringt. Die durchweg erfolgte Vereinnahmung aller Bundesbürger für Fischers Agenda imperialer Ermächtigung deckt sich zwar nicht mit den sozialökonomischen Antagonismen dieser Gesellschaft, sondern steht in krassem Widerspruch zu den Interessen der Armen und Schwachen, doch ist eben diese Ignoranz Ausweis und Beleg für den machiavellistischen Charakter herrschaftsichernder Außenpolitik.

Fischer, vom legeren Habitus dessen, der in den luftigen Höhen der Weltpolitik bereits alles erlebt hat, bis zu dem von der Last großer Entscheidungen gezeichneten Gesichtsausdruck ganz elder statesman, denkt ausschließlich in den großen Kategorien eines Weltgetriebes, in dem die Größe und Stärke des jeweiligen staatlichen Akteurs über die Durchsetzbarkeit der von seinen Eliten formulierten Ziele gebietet. Andere Entwürfe emanzipatorischer, egalitärer, kooperativer und solidarischer Art sind dem ehemaligen Aktivisten des "Revolutionären Kampfs" heute so fremd, wie ihm der Glaube an einen Zwangsverlauf der Geschichte, in dem der kreatürliche Überlebenskampf, auf die Ebene großer administrativer Entitäten gespiegelt, zur schicksalhaften Finalität globaler Verfügungsgewalt gerät, zum politischen Bekenntnis geworden ist.

Fischers besondere Sorge gilt der Handlungsfähigkeit der EU, die ohne die weitere und abschließende Integration durch den Lissabon-Vertrag nicht gewährleistet wäre. "Von Europa hängt unsere Zukunft ab", beschwört der ehemalige Chefdiplomat, der sich zeitweilig Hoffnungen auf das zu schaffende Amt eines EU-Außenministers machte, das Gelingen dieses Übertrags zentraler nationaler Handlungskompetenzen auf die Institutionen der Europäischen Union. Einwände gegen den undemokratischen Charakter des Prozederes wischt er mit dem Gestus des in seinen Kreisen von kleinkrämerischen Einwänden gestörten Vordenkers vom Tisch, nicht ohne mit verschwörerischem Schmunzeln ein Angebot zur Güte zu unterbreiten: "Wir investieren in unser eigenes Interesse, wir dürfen es nur nicht so laut sagen". Will heißen, bundesrepublikanische Unternehmer werden bevorzugt mit Aufträgen für EU-Infrastrukturprojekte in ganz Europa bedacht, so daß die Bilanz des Nettoeinzahlers BRD am Ende ein fettes volkswirtschaftliches Plus aufweisen soll.

Was Fischer nicht erwähnt, ist die jahrelange Alimentierung der hauptsächlich innerhalb der EU tätigen deutschen Exportindustrie durch Lohnzurückhaltung und Sozialkürzungen in Deutschland lebender Menschen. Nun, da sich das Niederkonkurrieren anderer Volkswirtschaften als auf dem Treibsand einer illusionären Wachstumserwartung und eines spekulativen Akkumulationsregimes errichtetes Kartenhaus erwiesen hat, gilt um so mehr, daß das imperiale Konzept des ehemaligen Außenministers gegen den Widerstand der davon am meisten Betroffenen durchgesetzt wird. Fischers Erfolgsgeschichte einer mit der "deutschen Einheit" unvermeidlich initiierten Osterweiterung der EU und NATO ist längst nicht abgeschlossen, warten doch weitere Weltregionen darauf, heim ins Verwaltungs- und Verwertungssystem der EU geholt zu werden.

"Wir" können uns keine "Zone der Instabilität" etwa auf dem Balkan leisten, wo unter maßgeblicher Beteiligung dieses Politikers Deutschland mit den Weihen der neuerlichen Tauglichkeit zum Führen von Angriffskriegen gekürt wurde. Wer hatte Schuld? Natürlich der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic, der sich, selbst wenn er noch lebte, nach erfolgreicher Kriminalisierung seines verfassungskonformen Eintretens für die Einheit und Souveränität seines Landes nicht mehr gegen die Geschichtsrevision der Sieger wehren könnte. Milosevic wollte nicht auch nur "einen kleinen Schritt" weichen, rechtfertigt Fischer die angeblich "alternativlose" Entscheidung zum Kriege in völliger Mißachtung der diversen Zugeständnisse, mit denen die Belgrader Regierung den Forderungen der NATO-Staaten entgegengekommen ist. Was durch zahlreiche Kritiker dieses Aggressionsakts des größten Militärbündnisses der Welt detailliert dokumentiert wurde, ignoriert Fischer mit einer Selbstverständlichkeit, daß man ihn, wenn man es nicht besser wüßte, für einen verkannten Heiligen halten könnte.

Der von Phoenix eingesetzte Moderator Schönenbohm hat allerdings nicht das Format, hier am konkreten Beispiel nachzuhaken. So kann Fischer ungestört bewährte Blendgranaten aus dem Arsenal transatlantischer Propaganda abfeuern wie etwa die Behauptung, die Präsenz des US-Militärs wäre eine "Investition in ganz Europa" gewesen. Der zukunftsweisende Charakter dieser Danksagung zeigt sich in der Sorge Fischers um die pazifische Orientierung der USA, mit der die EU an den Rand des Weltgeschehens gedrängt werden könnte. Desto wichtiger sei die Stärkung transatlantischer Zusammenarbeit, so das Plädoyer für eine Zukunft Europas, in der das Zerstörungspotential Washingtons weiterhin als Garant eigenen Einflusses fungieren soll.

Kein Wort darüber, daß die Bundesrepublik als Frontstaat des vom NS-Regime geerbten Antibolschewismus im Ernstfall maximalen Schaden davongetragen hätte, kein Wort über die imperialistischen Kriege und Umstürze, mit denen die USA in zahlreichen Ländern des Südens eigenständige demokratische Entwicklungen torpedierten. Jede auch nur annähernd selbstkritische Reflexion seiner politischen Häutungen, die man in einem 60 Minuten währenden Gespräch hätte erwarten können, wird der Inszenierung des Globalstrategen Fischer geopfert, der auch in dem durch politische Beratertätigkeiten versüßten Ruhestand seinen hart erworbenen Platz auf dem Feldherrnhügel behält.

Von dort aus sortiert sich das Weltgeschehen wie von selbst in den Kategorien eines imperialen Zentralismus, der die Verhältnisse in anderen Ländern ausschließlich nach dem geopolitischen Nutzen bewertet, den sie für die westeuropäischen Metropolengesellschaften haben. In diesem Kräfteparallelogramm nimmt die Türkei einen besonders prominenten Rang ein, kommt Fischer doch mehrmals darauf zu sprechen, in welch "perfekter geopolitischer Situation" sich das Land befinde. Um so unverzichtbarer sei die Aufnahme der Türkei in die EU, so Fischer, der die Kritiker dieses Erweiterungsschritts aus Washingtoner Sicht als bar jeder "strategischen Orientierung" niedermacht. Was sich ansonsten gegen einen Beitritt der Türkei einwenden ließe, ohne nationalkonservativen Ressentiments zu frönen, nämlich das ungelöste Problem der Unterdrückung der kurdischen Minderheit und die undemokratischen Praktiken Ankaras im Umgang mit der politische Opposition, bleibt auf der Strecke einer Expansionslogik, die sich nicht nur in der Fläche etwa des Nabucco-Pipeline-Projekts ergeht, das Fischer als Lobbyist vorantreibt, sondern die alle ideologischen und kulturellen Differenzen in den Gebrauch des eigenen Hegemoniestrebens nimmt.

Auch zum Thema Afghanistan weiß Fischer beizutragen, daß die unverbrüchliche Allianz mit den USA alle anderen Überlegungen, mit denen man die militärstrategische Sicherheitdoktrin Washingtons konterkarieren könnte, aus dem Feld schlägt. Neben einem "gewissen humanitären Interesse", sprich der Wahrung des schönen Scheins der europäischen Wertegemeinschaft, wird die Kriegführung in Afghanistan ganz aus US-amerikanischer Sicht als notwendige Eindämmung einer vor allem von dem atomar bewaffneten Pakistan ausgehenden Gefahr beurteilt. Von dieser "Brutstätte des islamistischen Radikalismus und Terrorismus" gehe eine viel größere Bedrohung als vom Iran aus, erklärt Fischer mit dem Brustton einer Überzeugung, die mit dieser rassistischen Nationalpathologie jäh die bornierte Spießbürgerlichkeit des grünen Vordenkers offenbart.

An diesem Eindruck ändert auch sein abschließendes Werben für den Green New Deal nichts, mit dem seine Partei in die Zukunft eines lodengrün gewandeten Kapitalismus marschieren will. In dieser sollen "unsere" Interessen so gut aufgehoben sein wie in einer Welt, in der Geburtsort und Familienname maßgeblich darüber entscheiden, ob man in frühen Jahren an Entzehrung zugrundegeht oder sich im fortgeschrittenen Alter um seinen gutgefüllten Bauch räkelt. Das "Ergrünen der globalen Ökonomie", mit dem ein "Neustart der Weltwirtschaft" unter Bedingungen möglich werde, die Deutschland und die EU an die "Spitze der Entwicklung" katapultieren könne, wenn man diese Chance nur zu nutzen wisse, erweist sich eben als das Gleiche in Grün. Was ein nach ökologischen Gesichtspunkten reguliertes Konzept kapitalistischen Wachstums in der gesellschaftlichen Konsequenz bedeutet, läßt sich anhand bereits erprobter Ansätze mangelgestützter Sozialkontrolle unschwer erahnen. Wer kein Problem damit hat, sein Vorteilsstreben mit Aggressionskriegen durchzusetzen, für den gehören sozialdarwinistische und sozialrassistische Strategien zum Einmaleins eigener Herrschaftsicherung.

Fischer macht sich kaum die Mühe, sein Bekenntnis zu interessengeleiteter Machtpolitik mit dem Wohlklang humanistischer Motive zu bemänteln, er ist durch und durch pragmatischer Realpolitiker. "Führung kann man nicht erzwingen - die gibt es oder die gibt es nicht", stellt er kurz und trocken fest, als finde in der EU nicht ein von vielerlei sozialen Faktoren bedingter Selektionsprozeß statt, der den Zugang zur Klasse der sogenannten Entscheider reguliert. Daß er als Außenseiter in die höchsten Zirkel globaler Macht vorgestoßen ist, mag ihn mit der Genugtuung des Underdogs erfüllen, es allen gezeigt zu haben. Der Preis dafür, jede Streitbarkeit für die Emanzipation des Menschen zum freien, selbstbestimmten Gattungswesen aufzugeben, wird gerne entrichtet, um auf der Seite der Gewinner stehen und sich dem Fleischwolf kapitalistischen Verbrauchs klaglos einspeisen zu können.

21. Juli 2009