Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KULTUR/0817: Scheinlösung - Schweizer für Verbot von Minaretten (SB)



In einer Volksbefragung haben sich die Schweizer am Sonntag mehrheitlich "gegen den Bau von Minaretten" ausgesprochen. Da auch in der überwiegenden Mehrheit der Kantone für das Verbot gestimmt wurde, konnten sich die fundamentalistischen Kräfte mit ihrer Volksinitiative überraschend durchsetzen. Im Vorfeld hatten politische Parteien, Kirchen, diverse Verbände und Organisationen appelliert, den Antrag abzulehnen. Vergeblich. Das Volk wollte es anders. Zeigt es sich deshalb reaktionärer als die Politik? Nur vordergründig. Die Saat des Hasses auf Muslime und des Wunsches, sie auszugrenzen, wurde und wird tagtäglich gelegt. In der Schweiz wie auch ihrem westlichen Umfeld.

Wenn die USA und ihre Verbündeten Angriffskriege gegen muslimische Länder führen und unschuldige Muslime jahrelang ohne Gerichtsverfahren einkerkern, wenn sie Muslime foltern und muslimische Länder mit Vernichtung drohen, wenn sie muslimische Symbole und das Tragen von Kopftüchern verbieten, dann ist das Abstimmungsergebnis in der Schweiz kein Versehen, sondern Teil der Ernte eines Felds, das von Politik und Medien zuvor emsig gesät, gedüngt, gewässert - mit einem Wort - bestellt wurde.

Wie sehr die Hetze gegen Muslime gegriffen hat, beweist dies: Zweifellos ist der Sprengstoffgürtel eines Selbstmordattentäters eine furchtbare Waffe und sein Einsatz ohne Einschränkung abzulehnen. Aber warum löst das Bild eines Selbstmordattentäters bei den meisten Menschen im Westen ungleich mehr Ängste aus als beispielsweise eine F-16 der U.S. Air Force? An deren Vernichtungspotential kommt kein Selbstmordgürtel heran, und die Leiber der Menschen, die durch die Bomben der F-16 zerfetzt werden, unterscheiden sich nicht von denen, die nach der Explosion eines Sprengstoffgürtels in alle Himmelsrichtungen verteilt sind.

Als "Machtsymbol" haben die Initiatoren der Volksbefragung die Minarette bezeichnet. Es ging ihnen aber nicht um ein grundsätzliches Verbot sämtlicher Machtsymbole in der Schweiz, denn hätten sie auch zum Schleifen der weithin sichtbaren Machtsymbole der Banken, ihren aus Glas und Beton errichteten Hochhäusern in Zürich und anderen Städten, aufrufen müssen. Vielmehr ging es um die Beseitigung bestimmter Machtsymbole, nämlich der muslimischen.

Der hier offen zutagegetretene Kampf der Kulturen wird von den herrschenden Kräften, denen die Schweizer mit ihrem Abstimmungsresultat zugearbeitet haben, gebraucht, um von einer anderen Auseinandersetzung abzulenken, nämlich dem Sozialkampf. Der beschränkt sich auf keinen Staat, keine Gesellschaft und keine Kultur. Der Spalt zwischen den Ausgebeuteten, Unterdrückten und der Vernichtung Überantworteten, der Marginalisierten und Verhungernden auf der einen Seite und den mit allen Mitteln ihre Profite und Privilegien verteidigenden vorherrschenden Kräften auf der anderen wird durch den sogenannten Kampf der Kulturen tiefer und tiefer geschlagen.

Die Furcht der Schweizer vor Verlust von etwas, das sie als nationale Identität empfinden mögen, und das Gefühl, den auf sie einwirkenden übermächtigen Kräften schutzlos ausgeliefert zu sein, ist durchaus nachvollziehbar angesichts des seit Jahren wachsenden, in jüngster Zeit jedoch massiv ausgeübten Drucks seitens der USA auf den Kern der schweizerischen Wirtschaft und des Wohlstands, das Bankwesen. Nachvollziehbar auch angesichts der Umzingelung durch die Europäische Union, die - Stichwort Steueroase - mit ungleich längeren Spießen kämpft, als sie von den Schweizern jemals entgegengestreckt werden könnten. Lange Zeit hat die Schweiz im internationalen Geldverkehr eine wichtige Funktion erfüllt und davon profitiert. Dessen Bedeutung als Herrschaftsmittel schwindet jedoch im 21. Jahrhundert, in dem qualifiziertere Formen der Verfügungsgewalt durchgesetzt werden sollen, als es das Horten von Geld, Gold und anderem Geraubtem zu leisten vermögen.

Für ein Verbot weiterer, über die bisherigen vier Minarette hinausgehender muslimischer Gotteshäuser zu stimmen entspricht dem Gedrängel der Rinder am Trog, während im Hintergrund der Schlachter sein Messer wetzt. Bislang lassen die Rinder nicht erkennen, das sie sich dessen jemals bewußt werden könnten. Die Menschen offenbar auch nicht.

29. November 2009