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KULTUR/0828: "Bruder Barnabas" tritt Guido Westerwelle auf die Füße (SB)



Bei der "Fastenpredigt" zum Starkbieranstich auf dem Münchner Nockherberg handelt es sich um eine volkstümelnd derbe, mithin erzbiedere Veranstaltung der Traditionspflege, die außerhalb Bayerns bislang nicht allzu bekannt gewesen sein dürfte. Ein Darsteller in der Rolle des "Bruder Barnabas" ergeht sich beim "Derblecken" in Politikerschelte, die angesichts ihres im weiß-blauen Lokalkolorit institutionalisierten Gebots polternder Fröhlichkeit zwangsläufig das Gegenteil dessen befördert, was an den Pranger zu stellen sie vorgibt. Indem der falsche Mönch das mit exzessivem Biergenuß unterlaufene Fastengebot dahingehend kolportiert, daß man bei dieser Gelegenheit auch der Obrigkeit verbal eins aufs Maul geben darf, belehrt er das Volk, wie man dem Duckmäusertum einmal im Jahr ein karnevalistisches Gaudium als Ventil verschaffen kann, damit die Untertanen an den restlichen 364 Tagen die Zähne zusammenbeißen und um so fügsamer ihren Herren und Meistern dienen.

Der Organisator des Spektakels in Gestalt der Paulaner-Brauerei, die den Absatz ihres gleichnamigen Bieres in letzter Zeit durch die altbackene Darbietung offenbar bei der jüngeren Generation der Kaufkräftigen nicht mehr angemessen beworben fand, sorgte sich um eine Modernisierung mittels Anpassung an den heute favorisierten Publikumsgeschmack. Django Asül, der niederbayerische Kabarettist mit starkem Hang zur harmlosen Comedy, warf jedoch 2007 als "Bruder Barnabas" das Handtuch, weil man seine Rede als politisch zu scharf gewertet hatte. Boshafte Pfeile, die Spitzenpolitiker an empfindlicher Stelle treffen, oder pfiffige Assoziationen, die bei den Zuhörern der "Fastenpredigt" womöglich gar Denkprozesse anstelle der schenkelklatschenden Bierseligkeit auslösen könnten, sind augenscheinlich am allerwenigsten gefragt.

Nun hat - man höre und staune - selbst der biedere "Bruder Barnabas" seinen empörungsgeschwängerten Skandal, der den Schauspieler Michael Lerchenberg zwang, von seiner Rolle als Hochgestellte aufs Korn nehmender Mönch zurückzutreten. Was war geschehen, das Politiker, Funktionäre und Medienvertreter in derart nervöse Aufregung versetzte und sie alle Register zornesadernschwellender Wutausbrüche ziehen ließ? Daß Lerchenberg in seiner Predigt die bayerische Polizei verspottet hatte, womit er sich den Ärger von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zuzog, mochte man noch durchgehen lassen. Dann aber dies: "Bruder Barnabas" verhöhnte den FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle mit folgender Anspielung: "Alle Hartz-IV-Empfänger versammelt er in den leeren, verblühten Landschaften zwischen Usedom und dem Riesengebirge, drumrum ein großer Zaun." Über dem Eingangstor werde stehen: "Leistung muß sich wieder lohnen."

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) und Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) übten harsche Kritik. Die bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) sprach von "niveaulosem Gepolter", das von politischem Sendungsbewußtsein überlagert sei. Die Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, nannte Lerchenbergs Textpassage eine "Schande". Der Bayerische Rundfunk übte eilfertig Selbstzensur, indem er in der Wiederholung der Sendung die entsprechende Passage fortan nicht mehr ausstrahlen wird. Und was sagt Guido Westerwelle dazu? "Mit einem KZ-Wächter verglichen zu werden, geht zu weit", schrieb Westerwelle, der Außenpolitik neuerdings auf dem Rücken der Hartz-IV-Empfänger macht, in einem Brief an die Paulaner-Brauerei. "Sie haben mich all die Jahre zum Salvator-Anstich eingeladen. Mehrfach habe ich gern teilgenommen. Für die Zukunft bitte ich, von Einladungen an meine Person abzusehen", heißt es in dem Schreiben.

Paulaner-Geschäftsführer Andreas Steinfatt, dem die alljährliche Werbekampagne unversehens in einen womöglich markenschädigenden Eklat entglitten ist, räumte zerknirscht ein, daß ein Tabu verletzt worden sei. Man habe die entsprechende Passage vorher besprochen, aber offenbar falsch eingeschätzt, und bedauere sehr, diese Grenze überschritten zu haben. Allerdings habe Lerchenberg die Textstelle in seiner Rede aber auch noch einmal deutlich verschärft, was so nicht vereinbart gewesen sei.

In welches Minenfeld er getappt ist, weiß inzwischen auch Michael Lerchenberg nur zu gut, dem seither ein eiskalter Wind ins Gesicht weht. Der politische und öffentliche Druck sei so groß geworden, daß ihm eine Rückkehr auf den Nockherberg unmöglich erscheine, führte er zur Begründung seines Rücktritts von der Rolle an. Sein "Bruder Barnabas" habe mit seiner Form der politischen, auch zu Teilen ernsten und durchaus manchmal provokanten Fastenpredigt sicherlich Maßstäbe gesetzt. Nichts und niemanden habe er geschont, erklärte der Schauspieler trotzig. Wenn diese Form der Predigt dem Nockherberg auf Dauer nicht zuzumuten sei, dann sei es besser, den Weg für einen unbelasteten Neubeginn freizumachen.

Guido Westerwelle kann eigentlich zufrieden sein, da er erfolgreich einen Schlag unter die Gürtellinie reklamiert und den Kampf durch Disqualifikation seines Gegners gewonnen hat. Nun prügeln alle auf Michael Lerchenberg ein, keiner hingegen auf ihn. Ein Restzweifel bleibt allerdings: Gibt sich das Publikum tatsächlich mit diesem politisch korrekten Ergebnis zufrieden oder fragt sich der eine oder andere am Ende doch, was ihm "Bruder Barnabas" unter offensichtlichem Bruch der Traditionspflege eigentlich sagen wollte.

6. März 2010