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KULTUR/0845: Im Irrgarten der Moral ... Mixa fällt für die Herrlichkeit des Glaubens (SB)



Im Spektakel um den gefallenen Bischof Walter Mixa werden alle Register eines Unterhaltungsbetriebs gezogen, dem das Vorführen von Menschen willfähriger Ersatz für den substantiellen politischen Streit ist. Das kaum noch zu überblickende Hin und Her in der Causa Mixa, das Auffahren von Anschuldigungen und Dementi, die Verteidigung seines Rufs bis zum Einsatz eines Geheimdossiers aus dem Innern der Kirche, schöpft seinen Reiz nur vordergründig aus der Diskrepanz zwischen moralischem Anspruch und verwerflichem Tun. Ein normaler Mann mit Hang zur Brutalität, mit homoerotischen Neigungen und einem Alkoholproblem fällt nicht weiter auf, in seinem Fall würden die dem emeritierten Bischof zur Last gelegten Handlungen als bedauerliche, aber nicht ungewöhnliche Entgleisungen durchgehen.

Mixa jedoch war hoher Repräsentant einer uralten Institution, deren gesellschaftlicher Einfluß nach wie vor so groß ist, daß das nicht geringe Gehalt ihrer Funktionäre vom Steuerzahler bestritten wird. Die massive materielle Begünstigung der Amtskirchen durch öffentliche Mittel trotz der weltanschaulichen Neutralität des Staates und des grundgesetzlichen Verbots einer Staatskirche gibt denn auch Anlaß zur Klage über die von ihm vorenthaltene Gegenleistung honoriger Amtsträgerschaft. Mixa war nicht nur Bischof von Eichstätt und damit Großkanzler der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, als der er in die Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste aufgenommen wurde. Als Mitglied im Orden der Ritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem gehörte er einer besonders einflußreichen Institution der römischen Kirche an, ein Klub alter europäischer Eliten, in dem sich graue Eminenzen wie Giulio Andreotti ein Stelldichein geben. Nicht zuletzt war Mixa zehn Jahre lang oberster katholischer Militärseelsorger, der Bundeswehr, eine Tätigkeit, der er mit besonderer Passion nachging.

Seine Zugehörigkeit zu diesen Legitimationsschmieden ist das Fleisch, das bei seiner Demontage zum Verzehr angeboten, aber dann doch nicht serviert wird. Die ihm angelasteten Verfehlungen werden personalisiert, um die Institution, die seine bischöfliche Autorität mit der Gewalt des Strafens und Unterwerfens erfüllt hat, zu schonen. Der Sündenpfuhl, der die Kirche nicht sein sollte, ist nach wie vor das beste Schild zum Erhalt ihrer Heiligkeit. Priesterliche Bigotterie firmiert geradezu als Markenzeichen, wirkten Schuld und ihre Vergebung doch ohne die zum gefälligen Klischee überzeichnete Genußsucht praller Popen nur halb so vielversprechend auf die sündhafte Klientel. Je höher der Rang des Geistlichen, unter dessen Talar nicht der Muff von tausend Jahren, sondern eine durch Verbot besonders angeheizte Lust lauert, desto bedeutsamer auch die an seinem Beispiel verhandelte moralische Lektionierung. Das menschlich Fehlbare ist für die Priesterkaste weit wertvoller als die hagere Gestalt grauer Inquisitoren, ohne deren furchteinflößende Erscheinung das menschliche Ideal Jesu nicht so erfolgreich in sein Gegenteil hätte verkehrt werden können.

Auch wenn Mixa bei der Pflege des sanguinischen und cholerischen Temperaments überzogen hat, sind Sorgen um ein Übergreifen des Skandals auf die Substanz der Glaubensinstitution übertrieben. Sie werden aus gutem Grund nicht auf eine Weise dramatisiert, daß wirksame Forderungen nach völliger, laizistischer Trennung von Staat und Kirche laut würden. Die Bindekraft eines Glaubens, der christliche Ethik widerspruchsfest macht, indem er sie dem Härtetest sozialer Repression und militärischer Aggression aussetzt, ist nicht auf die schwindende Mitgliederzahl der Amtskirchen beschränkt. Er entfaltet seine Wirkung im kulturalistisch markierten Abstand zwischen christlich-europäischer Zivilisation und orientalisch-islamischer Rückständigkeit, um nur die wichtigste apodiktische Wahrheit zu nennen, auf die sich westliche Regierungen bei der Subordination nichtchristlicher Kulturen berufen.

Zudem sichert er vertraute Rollenbilder, die bei aller in Anspruch genommenen Liberalität Grundachsen bürgerlicher Orientierung bleiben. Dem Ruf nach Aufhebung des Zölibats ist ein homophober Grundton nicht abzusprechen, geht es doch für viele sich fortschrittlich wähnende Reformkatholiken auch darum, den Priesterstand mit der Möglichkeit einer "normalen" Sexualität von einer als Notventil mißverstandenen Homosexualität zu befreien. Wäre die Erfüllung ehelicher Pflichten frei von jeder Not, dann bedürfte es keines formalen, von außenstehenden Instanzen geheiligten Ehebundes. Weit entfernt davon, eine Position wie die der US-amerikanischen Theoretikerin der Geschlechterforschung Judith Butler, die das tradierte Geschlechterverhältnis von Mann und Frau als Produkt einer patriarchalen Kultur kritisiert, dessen Gewaltverhältnis aus feministischer Sicht lediglich umgekehrt reproduziert, anstatt aufgehoben wird, in die gesellschaftliche Debatte einzuführen, arbeitet man sich an der vermeintlichen Doppelmoral eines Mixa ab, ohne erkennen zu wollen, daß eine Moral, in der Anspruch und Wirklichkeit in eins fielen, jegliche Bedeutung verloren hätte.

Während die angsterfüllte, weil niemals zur abschließenden Überprüfung der ihr immanenten Bezichtigung gebrachte Christenmoral am Beispiel Mixa durchexerziert wird, um Gut und Böse, richtig und falsch mit neuer dichotomer Spannung aufzuladen, hat Butler den ihr vom Berliner CSD e.V. verliehenen Zivilcouragepreis mit einer bemerkenswerten Begründung abgelehnt. In einer öffentlichen Rede auf der Hauptbühne der Christopher Street Day-Parade am Brandenburger Tor distanzierte sie sich von jeglichem Rassismus einschließlich seiner antimuslimischen Variante, wie sie ihn unter den Veranstaltern dieser unter Beteiligung deutscher Regierungsparteien alljährlich stattfindenden Party für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender verortete:

"Wir haben alle bemerkt, dass Homo-, Bi-, Lesbisch-, Trans-, Queerleute benutzt werden können von jenen, die Kriege führen wollen, das heißt: kulturelle Kriege gegen Migrant_innen durch forcierte Islamophobie und militärische Kriege gegen Irak und Afghanistan. (...) Durch diese Mittel werden wir rekrutiert für Nationalismus und Militarismus." [1]

Wie auch immer man zu Butlers Position stehen mag, daß das jeweilige biologische Geschlecht einer Person ausschließlich als soziale Kategorie fungiert, die den Körper kulturell und sprachlich codiert, so daß es in ihrem Sinne weder eine natürliche Geschlechterordnung noch überhaupt eine sozial verwertbare Geschlechterdifferenz gebe, ihre Schlußfolgerung spricht für die Erweiterung des Horizonts einer identitätspolitischen Beschränkung auf Probleme, die nur die eigene Gruppe betreffen. Was als Fußnote des deutschen Pressebetriebs kaum zur Kenntnis genommen wurde, könnte die Inszenierung des Mixa-Spektakels auf die Ränge verweisen, wenn es tatsächlich um die Befreiung von der Herrschaft des Menschen über den Menschen ginge. Dem sei der christliche Glaube mit dem ganzen Gewicht seiner Moral, ohne die ein seine Obsessionen nicht im Griff habender Bischof einfach nur eine traurige Figur wäre, vor. Mixa muß tief fallen, um zu erhalten, was den Menschen nach wie vor mit Schuld belastet und damit beherrschbar macht.

Fußnote:

[1] http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/war-die-absage-von-butler-das-richtige-signal/

22. Juni 2010