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KULTUR/0861: Produktivität der Verwesung ... kulturelles Endstadium Boeuf Couture (SB)



Die Meat Couture Lady Gagas sei zum Gähnen, das hätten andere schon besser gemacht, winkt Barbara Ellen in der britischen Sonntagszeitung The Observer mit dem gelangweilten Gestus des metropolitanen Fashion Addicts, der schon alles gesehen hat, ab. Für viele Menschen dürfte der in Fleischlappen gewandete Auftritt des Popstars bei den MTV Video Music Awards dennoch ein Novum modischer Extravaganz gewesen sein. Zudem schießt die Dame hinsichtlich der Menge schlachtfrisch aussehender Fleischteile, die sie um ihren Körper gewickelt hat, zumindest in der Fotostrecke des Guardian [1] eindeutig den Vogel ab. Metaphern letaler Art sind angezeigt bei einer Zurschaustellung, die in der Aufdringlichkeit ihrer Exposition selbst die morbide Glorifizierung auf ewig in bestimmten Verrichtungen der Lebenden fixierter Leichen übertrifft.

Sich in das Fleisch geschlachteter Tiere zu werfen ist gegenüber dem Tragen von Pelzen, dem zumindest die Aufgabe des Wärmens zugebilligt werden kann, eine schlichte Provokation. Ob es sich um echtes Fleisch oder ein Imitat aus Kunststoff handelt, der Anblick eines zur Kleidung zweckentfremdeten Lebensmittels, für das zudem ein oder mehrere Tiere sterben mußten, ist zu nichts anderem gedacht als zu zeigen, daß frau das größere Raubtier ist. Der erfolgreichere Räuber gegenüber der eigenen, millionenfach hungernden Art, der größere Räuber gegenüber Tieren, die im Falle geschlachteter Rinder nicht einmal Fleischesser sind. Laut dem für Lady Gagas Boeuf Couture zuständigen Designers Franc Fernandez wurden für ihren Auftritt mindestens zehn Kilo Rindfleisch verbraucht, wobei der Schneider nicht selbst Hand anlegte, um sich das Rohmaterial für seine Kreation zu verschaffen, sondern dies seiner Schlachterei überließ.

In den USA, wo mediale Spektakel dieser Art erdacht werden, leben über 14 Prozent der Bevölkerung in ökonomischen Verhältnissen, die sie nicht selten vor die Frage stellen, ob sie überhaupt satt werden. Es sind nicht nur die sogenannten Unterschichten, die hispanischen Migrantinnen und Migranten, die schwarze Bevölkerung der innerstädtischen Ghettos, die in den USA auf der Straße vor der Suppenküche landen. Auf dem Granitboden des American Dream zerschellt der Traum der Prosperität ganz normaler Mittelständler, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind oder die von einer medizinischen Behandlung so überfordert sind, daß sie aus ihren Schulden nicht mehr herauskommen. Wenn sie ihr Haus und ihr Auto noch nicht verloren haben, dann müssen sie beim Essen erst recht sparen.

Und das wird in den USA zusehends in die Brennkammern des fossilen, von Peak Oil geplagten Kapitalismus umgelenkt. Mehr als ein Drittel der Ernteerträge des größten Getreideproduzenten der Welt wird heute für Agrosprit eingesetzt. Mit diesem werden Räder angetrieben, die im Falle der US-Streitkräfte für den Sieg eines Verwertungssystems rollen, das die Steaks, die Lady Gaga auf nackter Haut trägt, zum Symbol für die innere Kolonisation des Landes durch eine expansive Viehzucht und ihre Rancher- und Cowboy-Kultur erhoben hat. Die Boeuf Couture, deren Betreiber es für besonders neckisch halten, sich Kopfbedeckungen aus Leichenteilen aufzusetzen, ist nicht nur Marotte einer um sich selbst gelangweilten Modebranche oder der Xte Versuch, einer inhaltlich verödeten Kulturindustrie zumindest die Erregung eines dekadenten Spektakels abzugewinnen.

Das verfallende Fleisch auf von warmem Blut durchpulster Haut steht für die tödliche Gewalt, mit der der Stärkere auf dem Rücken des Schwächeren sein Leben sichert. Es ist nicht die Jägerin Gaga, die mit selbsterlegtem Fleisch etwas anderes täte als es auf diese Weise ungenießbar zu machen. Die Konsumentin Gaga, die sich auf den ganzen Apparat industrieller Massentierhaltung und -schlachtung stützt, um im informationstechnischen Overkill medialer Vervielfältigung auf eine Weise zu provozieren, die nicht einmal besonders lustvoll und spaßerfüllt wirkt, erweist sie sich als Fleisch vom Fleische des Fraßes, durch den sie überlebt und der sie gleichermaßen verdaut. Wie die inwendigen Verdauungsorgane eine Außenfläche des Körpers repräsentieren, die in besonders engem Stoffwechselkontakt mit der Umwelt des Menschen steht, so korrespondiert das verwesende Fleisch auf dem Körper eines Megastars, dessen Lebendgewicht hinsichtlich seiner massenmedialen Produktivität nicht in Gold aufzuwiegen wäre, mit einer kulturellen Produktivität, die im Schmerz des anderen Unterhaltung und Erfüllung sucht. Im Eiltempo kannibalistischer Reproduktion wird der über Jahrhunderte angehäufte Reichtum verfeuert und ein Niedergang ins Bild gesetzt, wie er für Gesellschaften, die den Zenith ihrer Schaffenskraft und Innovationsfähigkeit überschritten haben, signifikant ist.

Fußnote:

[1] http://www.guardian.co.uk/lifeandstyle/gallery/2010/sep/09/lady-gaga-meat-bikini#/?picture=366670712&index=0

19. September 2010