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KULTUR/0879: Abgang eines postmodernen Helden - Fataler Verlauf der Inszenierung "Guttenberg" (SB)



Der sich derzeit kaum mehr der inflationären Vermehrung seine hochwohlgeborene Person karikierender Titel wie "Baron zu Googleberg" oder "Doktor der Reserve" erwehren könnende Verteidigungsminister war sich bei seinem von unbeirrbaren Getreuen umjubelten Aufritt im hessischen Kelkheim nicht zu schade dazu, die drei in Afghanistan getöteten Soldaten der Bundeswehr zu seiner eigenen Rechtfertigung ins Feld zu führen. Am Freitag hätten alle Medien nur die Affäre um seine Dissertation im Sinn gehabt, anstatt sich dem tragischen Schicksal dieser für Deutschland Gefallenen zu widmen, so die beißende Medienschelte eines Mannes, der ohne massenmediale Vervielfältigung niemals die überlebensgroße Statur eines nationalen Hoffnungsträgers erlangt hätte. Das schneidige Landsertum des ehemaligen Gebirgsjägers Guttenberg verkommt unter einem Beschuß, der keinesfalls sein Leben, sondern lediglich die Selbstinszenierung seiner Person bedroht, zum stinknormalen Reflex, andere Menschen zwischen sich und die Gefahr zu schieben.

Den Tod von Soldaten zum Ausweis angeblicher menschlicher Größe der Politiker, die ihn zu verantworten haben, zu instrumentalisieren ist ebenso Bestandteil der PR-strategischen Erschaffung einer Kunstfigur namens Karl-Theodor zu Guttenberg wie die diversen Ablichtungen seiner fotogenen Person, mal in triumphalistischer "I Did It My Way"-Frankie-Pose auf dem New Yorker Time Square, mal als anbetungswürdiger, Frau Stefanie zur holden Maid degradierender Drachentöter, mal als Kamerad unter Kameraden in kumpelhafter Soldatenrunde, mal als entschlossener Aggressor hinter dem schweren Maschinengewehr. Die demonstrative Überwindung von Klassengrenzen könnte nicht ferner der materiellen Realität seines Lebens und dem der einfachen Soldaten sein, gerade deshalb wurde diesem Perception Management von der bürgerlichen Journaille mit Lobhudeleien entsprochen, die nun die Fallhöhe seines Sturzes markieren.

Da sich der Output der Heldenmaschine als von Fehlern behaftet erwiesen hat, wird der Baron wie die sprichwörtliche Sau durchs mediale Bundesdorf getrieben. Manche mögen das für ungerecht und verlogen halten, haben doch die öffentlich-rechtlichen und Konzernmedien dem Verteidigungsminister in Sachen Kriegführung sogar dann, wenn er unverhohlen für aus wirtschaftlichen Gründen angeblich erforderliche Feldzüge eintrat, die Fahne gehalten. Unbestreitbar jedoch ist, daß dem Hochschreiben eines Politikers die Option seiner vollständigen Demontage stets inhärent ist. Die Glorifizierung eines postmodernen, mit allen Wassern symbolpolitischen Aktionismus gewaschenen Selbstdarstellers stellt auch seitens der Medien ein Investment dar, das sich auf diese oder jene Weise auszuzahlen hat. Im Falle Guttenbergs, in dem Journalisten neuerdings zu ehrenrührigen Bezichtigungen greifen, die ansonsten den notorischen Feindbildern des europäischen Imperialismus wie Saddam Hussein und Slobodan Milosevic vorbehalten waren, kommt jedoch noch etwas anderes hinzu.

Indem der Wellenschlag medialer Erregung auch auf den Bereich akademischer Würdigung schwappt, wo in offensichtlich dilettantischer Manier mehr Schein als Sein erzeugt wurde, obgleich eine absolut unverdächtige Fremdleistung den Eklat verhindert hätte, hat Guttenberg ein wichtiges Element bundesrepublikanischer Klassenherrschaft in Verruf gebracht. Doktortitel sind zentrale Signaturen bourgeoisen Distinktionsstrebens, mit ihrem Besitz wird Zugehörigkeit zu einer Funktionselite reklamiert, die nicht nur nach Höherem strebt, sondern die auch argwöhnisch darauf achtet, daß kein Unberufener ihre Kreise stört. Was kritische Sozialwissenschaftler als "Mechanismen der oligarchischen Abschottung" [1] analysiert haben, erfüllt sich unter anderem auch in der finanziellen wie bildungstechnischen Zugangsbeschränkung zu einer Klasse von Wissenden, deren intellektuelles Kapital nicht über die Maßen akkumuliert werden muß, um zum Zirkel derjenigen zu gehören, die die Reproduktion staatstragender und herrschaftsichernder Eliten bewerkstelligen.

Schon wird in diesen Kreisen der Sorge Ausdruck verliehen, künftig könnten auch die Promotionen anderer Politiker ins Visier von Internet-Aktivisten geraten, die sich des technischen Mittels einer textvergleichenden Datenrecherche bedienen, um den Raub von Fremdleistungen aufzudecken. Daß es überhaupt dazu kommt und keine allzuseltene Praxis darstellt, dokumentiert denn auch das konfliktträchtige Verhältnis zwischen arriviertem Status und geistigem Vermögen. Dies gilt um so mehr, als die Verschriftlichung der Welt ins Hintertreffen der omnipräsenten Ton- und Bildproduktion gerät, derer sich auch Guttenberg bedient, um einen Aufstieg zu arrangieren, in dem einer Doktorarbeit nicht mehr als ein Platz im bunten Reigen der Trophäen gesellschaftlicher Anerkennung gebührt.

Eben dieses instrumentelle Verhältnis zu einem Titel, der für andere Doctores das Alpha und Omega ihres Distinktionsstrebens darstellt, fällt Guttenberg nun ganz und gar auf die Füße. Zuerst großspurig anzukündigen, er werde sich selbstverständlich an der Überprüfung seiner Arbeit durch seine Alma Mater, die Universität in Bayreuth, beteiligen, um nur drei Tage später zu erklären, "gravierende Fehler gemacht" zu haben, "die dem wissenschaftlichen Kodex nicht entsprachen", demonstriert schon anhand des formallogischen Widersinns, daß ein Fehler keinem Kodex entsprechen, sondern ihn nur brechen kann, wie hart Guttenberg auf dem Boden einer Überlebensrealität aufschlägt, in der nichts als die gegen den andern zur Anwendung gebrachte Stärke zählt. Der Verteidigungsminister ist personifizierter Ausdruck staatlicher Gewaltanwendung und von daher prädestiniert dafür, an dem von ihm selbst repräsentierten Aggressionspotential bemessen zu werden.

Guttenberg kann nicht einfach erklären, sein bis dato intellektuelles Überfliegertum illuminierendes Elaborat beruhe zu einem Gutteil auf "Blödsinn", ohne an einer jähen Umwidmung, die selbst in der hohen Rotationsgeschwindigkeit medialer Themenwechsel nicht von heute auf morgen vergessen wird, Schaden zu nehmen. Er kann in einem Land, wo die Law & Order-Fetischisten seiner politischen Heimat notleidende Menschen für das illegale Verzehren einiger Brötchen strafrechtlich verfolgen lassen, nicht die ausschließlich öffentlichen Funktionen vorbehaltenen Leistungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags für seine privaten Meriten in Anspruch nehmen, ohne daß ihm daraus ein Strick gedreht wird. Guttenberg wird noch eine Weile versuchen, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Die Flüchtigkeit der kulturindustriellen Blendwirkung, mit der er seine Persona aufmunitioniert hat, bietet jedoch schon deshalb keine Bestandsgarantie, weil der schnelle Wechsel der Erregungen und Illusionen unverzichtbar für das Krisenmanagement der kapitalistischen Gesellschaft ist. Sollte er fallen, was wahrscheinlich ist, dann muß ihn das nicht davon abhalten, eines Tages mit der Wut des zu Unrecht in die politische Verbannung Geschickten zurückzukehren und Vergeltung an den Urhebern seiner Schmach zu nehmen.

Es ist bedauerlich, aber nicht erstaunlich, daß 140 auf Befehl eines Bundeswehroffiziers massakrierte Afghanen über weniger Gewicht in der massenmedialen Arena verfügen als das Vorspiegeln eines doppelt verlogenen Standesdünkels. Der Niedergang Guttenbergs ist nicht nur der Häme davon in die Irre geführter Bürger geschuldet, sondern verfügt auch über gesellschaftspolitischen Sprengstoff. Der großbürgerliche Habitus, die kleinfamiliäre Idylle, die heteronormative Heroisierung, die nationale Restauration, auf geradezu idealtypische Weise kombiniert mit der postmodernen Figur des sich beständig optimierenden, hochflexiblen Karrierepolitikers und Kriegstreibers - all das demontiert durch das Engagement interessierter Bürger, die sich im Guttenplag-Wiki [2] um die Demokratisierung des akademischen Initiationsritus bemühen, sollte Anlaß zu keineswegs klammheimlicher Freude sein. Diese gilt nicht nur dem immensen Glaubwürdigkeitsverlust, den dieses Aushängeschild transatlantischer Hegemonie hinzunehmen hat, sondern auch der Wertschätzung einer geistigen Produktivität, zu der kritische und autonome Menschen mindestens so viel beizutragen haben als die Berufstände und Register herrschaftskonformer Wissensproduktion.

22. Februar 2011

Fußnoten:

[1] Andreas Fisahn: Herrschaft im Wandel, Köln 2008, S. 223

[2] http://de.guttenplag.wikia.com/wiki/GuttenPlag_Wiki