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KULTUR/0918: Menschenbilder ... verächtlich gemacht zur Erbauung der Sklaven (SB)



Um fremden Erwartungen zu genügen, nehmen Menschen nicht nur allerlei Qualen und Mühen auf sich, sie bezahlen auch noch viel Geld dafür. Wird das Ziel des schöneren Gesichts und wohlgeformteren Körpers dennoch verfehlt, ist die Freude des Betrachters doppelt groß. Als "schrecklich schön" werden die Bilder des US-Fotografen Phillip Toledano präsentiert. Doch die "grotesken Formen", die die Bild-Zeitung [1] in dem Band "A New Kind of Beauty" ausgemacht haben will, hält Toledano, wie er auf seiner Webseite [2] schreibt, lediglich für den Ausdruck eines kulturellen Wandels, über den das letzte Wort noch nicht gesprochen wurde. Bild hingegen setzt mit der Überschrift "Die hässliche Seite des Beauty-Wahns" den Abscheu des Betrachters voraus, obwohl der dabei auf die Spitze genommene Maximalismus des "Straffer, praller, runder" ganz der ihre ist.

Munden soll dem Betrachter nur, was frisch auf den Tisch kommt, so der Tenor der Kurzrezensionen unter den Bildern der präsentierten Fotostrecke. "Natürliche Schönheit" wird als Ideal gegenüber der mit kosmetischen und chirurgischen Mitteln produzierten Körperästhetik ausgewiesen, als handle es sich bei den auf den Seiten des Boulevardblatts vorgeführten Frauen nicht um mit allen Mitteln der Bilddramaturgie und Visagistenkunst aufgebrezelte Kunstprodukte. Ob eines der dort präsentierten Modelle mit plastischer Chirurgie nachgeholfen hat, ist nicht von Belang. Wenn sich das Ergebnis auf übliche, die Frau zum Objekt männlichen Begehrens machende Weise goutieren läßt, verbietet sich jede Frage nach der Art und Weise, wie dieser Blickfang zustandekommt.

Was an den von Toledano fotografierten Menschen moniert wird, verrät mehr über den Sexismus des Boulevardblatts als über das Elend von Menschen, die dem kapitalistischen Verwertungszwang zu entsprechen versuchen, indem sie ihr Erscheinungsbild nach Maßgabe eines Ideals gestalten, das den formbildenden Kriterien der herrschenden Produktionsweise unterliegt. Das Alter, das sich der chirurgischen Intervention gegenüber als resistent erweist, und die Unbestimmbarkeit des Geschlechts einiger Modelle sind dem Bild-Autoren Anlaß, ein zwischen Befremden und Ekel changierendes Ressentiment zu äußern, das schlicht rassistisch ist. Was meist stillschweigend im distanzierten Blick der Betrachter demonstriert wird, wird hier mit Verächtlichkeit als gescheiterter Versuch gestraft, etwas zu erlangen, das den Vorgeführten nicht zusteht. Wo die chirurgische Korrektur nach Maßgabe der Bild-Ästhetik gelingt, werden ihre Reize zum Konsum empfohlen, wo sie in den Augen des Betrachters mißrät, wird das Urteil eines unappetitlichen "Schönheitswahns" gefällt. Dabei setzt die Glorifizierung als besonders schön präsentierter Menschen Maßstäbe, die die Korrektur einer angeblich zu großen Nase oder abstehender Ohren zu einer selbstverständlichen Pflicht erklärt, der sich zu verweigern nicht minder auf Unverständnis stößt als das Austragen eines behinderten Kindes, das die Mutter doch längst hätte abtreiben lassen können.

Der von Bild ausgemachte "Beauty-Wahn" ist mithin so wahnsinnig nicht, als daß Menschen, die den Werturteilen ihrer Umgebung nicht genügen, per se irrationale Beweggründe angelastet werden können, wenn sie ihr Aussehen mit allen Mitteln zu manipulieren versuchen. Das Elend, sich Nutzen und Verbrauch befördernden Normen zu unterwerfen, ist die Regel einer Gesellschaft, in der fremdbestimmte Arbeit die zentrale Überlebensvoraussetzung ist. Die Schönheitsindustrie ist Teil eines Reparatur- und Optimierungsapparats, dessen Ziel in der Reproduktion des Kapitalismus und nicht etwa der Befreiung des Menschen von Zwängen liegt. "Beauty has always been a currency", stellt Toledano nüchtern fest und gibt damit einen Hinweis auf den Tauschwertcharakter der körperlichen Erscheinungsform. Im Bild-Text wird dies mit "Schönheit war schon immer ein wichtiges Gut" übersetzt, was zwar den Warencharakter dieses Guthabens ahnen läßt, seine Bedeutung als blanke Währung einander in gegenseitiger Vorteilsnahme als Marktsubjekte gegenübertretender Menschen jedoch unterschlägt.

Um die Bestimmung ihres Tauschwerts geht es in der Beurteilung von Menschen nach körperästhetischen Kriterien jedoch in erster Linie. Schönheit, in darwinistischer Tradition als Selektionskritierium bei der biologischen Fortpflanzung ausgewiesen, ist für Menschen, die über keine andere Möglichkeit der Existenzsicherung verfügen als ihre Arbeitskraft zu verkaufen, eine erstrebenswerte Voraussetzung im Konkurrenzkampf um attraktive Jobs und Partner. Sich dieser etwa bei PR-Anforderungen verlangten Qualifikation zu versagen können sich insbesondere Frauen schlechterdings nicht leisten. Was als individuelles Verhältnis zum eigenen Körper ganz und gar dem einzelnen Menschen überlassen sein sollte, ist längst seiner Physis wie Psyche transformierenden Verwertbarkeit überantwortet.

Die medizinischen, kosmetischen, modeschaffenden und medialen Agenturen der Schönheitsindustrie verfügen mithin so sehr über das individuelle Wohlbefinden, daß Befreiung von ihrem Diktat gerade nicht, wie TV-Shows, deren Probanden sich einer schönheitschirurgischen Rundumerneuerung unterziehen, verheißen, durch die Unterwerfung unter die propagierten Körperideale zu erlangen ist. Wenn Bild Menschen als "häßlich" vorführt, deren Physiognomie androgyn wirkt oder von den Spuren des Alters gezeichnet ist, dann bringt die patriarchalische Norm des nicht nur die äußere Erscheinung, sondern die ganze Lebensführung kontrollierenden Biologismus auch den Gegenentwurf seiner Verweigerung hervor.

Im Kampf zwischen Selbst- und Fremdbestimmung fällt der Mensch, so er sich nicht autonom macht, zusehends einer biomedizinischen Reproduzierbarkeit anheim, der die maskenhafte Erstarrung der Mimik nicht etwa ein Kunstfehler, sondern erwünschtes Ergebnis ihres apparativen Aufwands ist [3]. Warum sollten die Gesichtszüge nicht ein warenproduzierendes System verkörpern, das den technischen Charakter seiner Fertigungsprozesse und die bis ins letzte Detail kalkulierte Warenform rühmt? Warum sollte die Charaktermaske der dem kapitalistisch vergesellschafteten Menschen aufoktroyierten Identität eine Ästhetik des Naturschönen vorgaukeln, wenn er in jeder Lebens- und Sterbenslage vom Imperativ abstrakter Verwertbarkeit regiert wird? Warum sollte er den Ergebnissen seiner Produktivität nicht immer ähnlicher werden, wenn er doch so sehr in ihr aufgeht, daß ihm eine von fremden Zwängen freie Existenz ein unergründliches Geheimnis ist?

Die demonstrativ inszenierte Künstlichkeit des cyberprothetisch optimierten Subjekts, die in den Maschinenparks der Fitnesslabors erarbeitete Konditionierung der Körper auf permanent abrufbare Leistung, die Disziplinierung durch asketische Formen der Lebensführung und die in die Leiber getriebenen Markierungen der Unterwerfung sind Merkmale einer Sklavenexistenz, die, um nicht an ihr verzweifeln zu müssen, in ein Aggregat schmerzerfüllter Lust überführt werden. Wer daran nicht teilhat, taugt nicht zur cineastischen Schablone des Rebells wider das Imperium. Sozialer Widerstand ist stets von den Widersprüchen gezeichnet, gegen die er aufbegehrt, gerade das macht ihn für den Verwertungsprimat unverdaulich.

Fußnoten :

[1] http://www.bild.de/lifestyle/mode-beauty/bildband/schrecklich-schoen-beauty-wahn-21936892.bild.html

[2] http://www.mrtoledano.com/a-new-kind-of-beauty/01-A-new-kind-of-beauty

[3] http://www.guardian.co.uk/lifeandstyle/2011/jan/16/year-zero-face-plastic-surgery?INTCMP=SRCH

Siehe dazu auch:
BERICHT/017: "Die Untoten" - Das zweite Gesicht des Schönheitskultes (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/report/bkrb0017.html

22. Januar 2012