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KULTUR/0936: "Bye-bye, Miss American Pie" - Abgesang auf verwehte Hoffnungen (SB)




Wenn US-Außenministerin Hillary Clinton behauptet, ihre Regierung denke nicht einmal daran, Afghanistan allein zu lassen, so dürfte das von seiner Bevölkerung nicht nur als freundliche Zuwendung verstanden werden. Auch die Aufnahme des Landes in den Kreis der "wichtigen Nicht-NATO-Verbündeten" durch die US-Regierung wird nicht alle Afghaninnen und Afghanen erfreuen, dokumentiert doch das Beispiel des Nachbarn Pakistan, was eine solche Aufwertung vor allem bedeutet. Sie verpflichtet die Regierung zu einer Willfährigkeit gegenüber den USA, die die Interessen der eigenen Bevölkerung mißachtet, und setzt das Land damit erheblichen inneren Spannungen zwischen den von diesem Status profitierenden Funktionseliten und den mehrheitlich verarmten Menschen aus. So hat der privilegierte Zugang zu US-amerikanischen Rüstungsgütern vor allem zur Folge, daß mehr Blut im eigenen Land vergossen wird, ganz abgesehen davon, daß damit den Geschäftsinteressen der Rüstungsschmieden mehr gedient ist als einer Entwicklung der afghanischen Gesellschaft, die nicht von Gewalt, Zwang und Tod gekennzeichnet ist.

Um zu verstehen, wie das Verhältnis zwischen den USA und Afghanistan beschaffen ist, lohnt es sich, jenes Video eines US-Kampfhubschraubers [1] in Augenschein zu nehmen, in dem kurz vor einem Angriff auf angebliche Taliban-Kämpfer mit einer Hellfire-Rakete der Refrain des Liedes "Bye-bye, Miss American Pie" intoniert wird. Es schildert auf eindringliche Weise, daß die Besatzer des Landes einen zynischen Umgang mit den Subjekten der Befreiung pflegen, um die es in Afghanistan angeblich geht. Mit tödlicher Absicht gefeuert wird aus sicherer Distanz, und das musikalische Vorspiel mündet in lobende Kommentare über den guten Schuß, als sitze man mit einem Bier in der Hand an der Spielekonsole. Mit geradezu klinischem Interesse wird der Ort, an dem die Rakete eingeschlagen ist, inspiziert, während sich der Helikopter nähert. Zwei Salven aus den Bordwaffen sollen dafür sorgen, daß keiner der aus dieser Distanz wie Insekten wirkenden Menschen überlebt, handelt es sich doch im administrativen Ordnungsstreben der Besatzer um Störfaktoren, die gerade so zu eliminieren sind, wie man es ansonsten mit Organismen tut, die sich auf störende Weise der eigenen Naturbeherrschung widersetzen.

Afghanistan aus der Sicht der Bordkamera eines Kampfhubschraubers widerlegt alle schönen Reden, mit denen Politiker der NATO-Regierungen versuchen, einen humanitären und menschenfreundlichen Mantel über den imperialistischen Krieg zu werfen. Das Intonieren eines Popsongs in Ankündigung des unaufhaltsam nahenden Todes der waffentechnisch völlig unterlegenen Gegner vollzieht die herrschaftliche Distanz, mit der die Menschlichkeit der betroffenen Afghanen negiert wird, so total, daß eine dagegen gerichtete Empörung ebensowenig an der Verächtlichkeit im Umgang mit der einheimischen Bevölkerung ändert wie die Kritik daran, daß sich Besatzungsoldaten beim Urinieren auf gefallene Taliban ablichten oder bei ihre nächtlichen Mordaktionen immer wieder Frauen und Kinder umbringen. Mit solcher Empörung versucht man lediglich zu retten, was niemals etwas anderes als die gewaltsame Zurichtung eines Landes auf die politischen und ökonomischen Interessen der Aggressoren war.

Erinnerte man sich daran, daß es sich bei dieser musikalischen Verschönerung eines mörderischen Aktes ihrerseits um einen Abgesang auf Träume handelte, die inzwischen so verweht sind, daß nicht einmal mehr ihr popkulturelles Kondensat nennenswerten Nährgehalt aufweist, dann könnte man den epischen Titel Don McLeans als düstere Vision eines Niedergangs verstehen, gegen den kein Mittel hilft, weil die zu rettende Substanz restlos im Feuer der kriegerischen Durchsetzung kapitalistischer Produktivität verheizt wurde. In dem wortgewaltigen und poetischen Kaleidoskop der 1960er Jahre, mit dem Don McLean 1971 einen großen Erfolg feierte, nimmt der "Tag, an dem die Musik starb", eine zentrale Rolle ein. Alle Versuche, dem Leben und der Musik einen Sinn abzugewinnen, werden mit dem Niedergang der Gegenkultur, der Kommodifizierung ihrer Kunst zur bunten Ware und der Verfettung ihrer Protagonisten gegenstandslos.

"Now for ten years we've been on our own and moss grows fat on a rollin' stone" - das Versprechen selbstbestimmten und solidarischen Lebens verlischt in der Zwangslogik einer materiellen Existenzsicherung, die erst wertvolle Früchte trägt, wenn sie zu Lasten des anderen Menschen geht. "Helter skelter in a summer swelter, the birds flew off with a fallout shelter, eight miles high and fallin' fast, plant a flower on the grass" - die atomare Katastrophe war vor 40 Jahren so greifbar wie ihr ökologisches Erbe heute. Die Destruktivität des Atomkriegs findet in den zerstörerischen Folgen einer Verwertung um jeden Preis, und sei es die eigene Existenz, ihre logische Folge. Krieg und Kapitalismus sind zwei Seiten einer Medaille, mit der die Prätorianer eines globalen Regimes dafür ausgezeichnet werden, daß sie jedem Versuch, ein ganz anderes Leben zu führen, mit Feuer und Schwert entgegentreten.

Das kryptische Ende des Liedes beschreibt eine verwaiste und entfremdete Welt, in der die Menschen nicht mehr miteinander sprechen und aus der sogar Gott, sein Sohn und der Heilige Geist Reißaus nehmen: "The church bells were all broken And the three men I admire most the Father, Son and Holy Ghost they caught the last train for the coast the day the music died." Nicht wenige der US-Piloten, die über fremden Ländern Bomben abwerfen, bekreuzigen sich vor ihrem Einsatz. Sie machen eine in der Geschichte ihrer Verbreitung ohnehin Mission und Kolonialismus im Gleichschritt vollziehende Religion zum Instrument einer Aggression, die die angebliche Gewalttätigkeit der von ihr aufs Korn genommenen monotheistischen Konkurrenz als Merkmal eigener Suprematie entlarvt und damit jeden Weg zurück zu den unteilbaren Ursprüngen einer ansonsten in den Dienst herrschender Interessen gestellten Nächstenliebe versperrt. Was bleibt, ist der Rock'n'Roll eines Kulturimperialismus, der kaputtmacht, was an subjektivem Leben noch nicht unterworfen ist.

Wer den popkulturell codierten Funkverkehr der Besatzung des Apache-Helikopter im vollen Gepränge militaristischer PR erleben will, kann anhand der Promo-Videos der Gruppe Max Impact [2] erleben, wie perfekt sich Rockmusik und imperialistischer Krieg ergänzen. An militaristischer Selbstherrlichkeit ergötzen sich nicht nur die weißen Herren in Afghanistan, sie ist immanenter Bestandteile vieler Produkte einer Kulturindustrie, deren Expansionzonen nicht nur mit den Eroberungen des humanitären Interventionismus identisch sind, sondern diese Aggressionen auf ergötzliche Weise illustrieren und abfeiern.

Fußnoten:

[1] http://www.guardian.co.uk/world/2012/jul/06/bye-bye-american-pie-afghanistan

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele0921.html

8. Juli 2012