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KULTUR/0939: Kritik an Judith Butler fällt auf deren Urheber zurück (SB)




Die Bezichtigungen, mit denen sich die US-amerikanische Philosophin Judith Butler anläßlich der Verleihung des Theodor-W.-Adorno-Preises 2012 der Stadt Frankfurt an sie konfrontiert sieht, wären der Beachtung nicht wert, wenn man sie nur an ihrer inhaltlichen Relevanz bemäße. Vorwürfe gegen Kritiker Israels, zumal jüdische, schlagen immer dann hohe Wellen, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit Gefahr läuft, die Anerkennung israelischer Deutungsmacht über den Nahostkonflikt in Frage zu stellen. Dies gilt um so mehr, wenn die Kritik am israelischen Siedlerkolonialismus von Personen ausgeht, die einer rechten und nazistischen Gesinnung unverdächtig sind. Je gegenstandsloser der Vorwurf des Antisemitismus wird, desto vehementer scheint er in Stellung gebracht zu werden, ist er doch die stärkste Waffe im Kampf gegen eine Kritik, die im Kern sozialen und nicht nur politischen Charakters ist. Sogenannter linker Antisemitismus wird geltend gemacht, um offen zutageliegende Gewaltverhältnisse mit sich ideologiekritisch gebenden Anwürfen zu leugnen, denn gerade diese könnten, wenn sie von derartigen Verdächtigungen frei bleiben, transformative oder gar revolutionäre Wirkung entfalten.

Die auf Judith Butler angewendete psychologisierende Stigmatisierung namens "jüdischer Selbsthaß" entspringt denn auch dem Ungeist eines bourgeoisen Ressentiments, das von Klassenantagonismen und materiellen Gewaltverhältnissen nichts wissen will. An dieser Stelle von "Diskurs" zu sprechen läuft auf die Überschätzung einer wesentlich mit demagogischen Mitteln verteidigten Meinungshegemonie hinaus, deren Selbstbehauptungsstrategie so kalkuliert ist, wie sie in zuverlässiger Absehbarkeit in Erscheinung tritt. Dennoch bestimmen die gegen Judith Butler gerichteten Vorwürfe, sie sei eine Sympathisantin der palästinensischen Hamas und heiße mit der BDS-Kampagne einen antisemitischen Angriff auf Juden gut, das Feld der öffentlichen Debatte. Allein dies belegt, daß es seitens der Apologeten israelischer Besatzungspolitik durchaus etwas zu verteidigen gibt, was in seiner politischen Auswirkung auf die Unterstützung der hegemonialen Stellung Israels im Nahen und Mittleren Osten nicht zu unterschätzen ist.

Gerade die seit 20 Jahren zu den Stars linker Theoriebildung zählende Professorin ist jedoch ein denkbar schlechtes Ziel für den Vorwurf, rassistischem Haß zu frönen. Ihr Angriff auf die biologische Determination der Zweigeschlechtlichkeit und den Positivismus geschlechtsidentitärer Zuschreibungen hat viel in Bewegung gebracht, was zuvor durch die vermeintliche Unverrückbarkeit unhinterfragter Letztbegründungen zementiert worden war. Ein undifferenzierter Umgang mit den Dispositiven rassistischer Feindseligkeit könnte in ihrem Fall nicht ferner liegen, und gerade das macht sie zum Angriffziel auf dieser Ebene verhandelter Bezichtigungen. Butler ist nicht dabei stehengeblieben, sich als Ikone feministischer Theoriebildung feiern zu lassen, sondern hat sich insbesondere seit den Anschlägen des 11. September 2001 zusehends politisiert.

Dabei legte sie besonderes Gewicht auf die Kritik der unterschiedlichen Bewertung menschlichen Lebens unter den Einwirkungen staatlicher Gewalt, die man etwa am aktuellen Beispiel eines in Guantanamo nach langjährigem Widerstand gegen seine widerrechtliche Verschleppung und Inhaftierung gestorbenen Häftlings studieren kann. Wer denkt noch an die fast 170 Langzeitgefangenen, die die US-Regierung in völliger Rechtlosigkeit gefangen hält, während sie sich am heutigen Gedenktag zur Verteidigerin von Freiheit und Demokratie in der Welt erklärt? Aus eigenem Erleben hält Butler die Instrumentalisierung emanzipatorischer Anliegen für gegenteilige Zwecke etwa bei der propagandistischen Unterstützung des Terrorkriegs gegen mehrheitlich muslimische Gesellschaften für kritikwürdig. 2010 lehnte Butler den vom Berliner CSD e.V. verliehenen Zivilcouragepreis mit einer bemerkenswerten Begründung ab:

"Wir haben alle bemerkt, dass Homo-, Bi-, Lesbisch-, Trans-, Queerleute benutzt werden können von jenen, die Kriege führen wollen, das heißt: kulturelle Kriege gegen Migrant_innen durch forcierte Islamophobie und militärische Kriege gegen Irak und Afghanistan. Während dieser Zeit und durch diese Mittel werden wir rekrutiert für Nationalismus und Militarismus. Gegenwärtig behaupten viele europäische Regierungen, dass unsere schwule, lesbische, queer Freiheit beschützt werden muss und wir sind gehalten, zu glauben, dass der neue Hass gegen Immigrant_innen nötig ist, um uns zu schützen. Deswegen müssen wir nein sagen zu einem solchen Deal." [1]

Butler koppelt die Frage der Identität nicht von der Macht ab, so daß am Ende alles um den eigenen Bauchnabel kreist, sondern richtet den Blick auf die sozialrassistischen und kulturalistischen Kriege, die im sechsten Jahr der offenliegenden Krise des Kapitals immer erbitterter geführt werden. Das zeichnet sie bei allen Untiefen poststrukturalistischer Theoriebildung als weder im Elfenbeinturm der Wissenschaften noch im Spiegelpalast selbstreferenzieller Ideologiekritik verbleibende Linke von internationaler Bedeutung aus.

Eben diese Bedeutung, allerdings nach Möglichkeit befreit vom Brandgeruch revolutionärer Erhebung, macht auch ihre Attraktivität für das Kuratorium des Theodor W. Adorno-Preises aus. Dieser für die Generation der 68er-Bewegung einflußreiche Soziologe und Philosoph hat mit dem zum geflügelten Wort gewordenen Diktum, es gebe "kein richtiges Leben im falschen", einer politischen Moral Vorschub geleistet, die in der Totalität ihrer Wertung dem faschistischen Ziel ihres Urteils auf paradoxe Weise ähnlich ist. Gerade dieser Satz hat der ideologischen Verabsolutierung der Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis zum singulären und damit unvergleichlichen Akt staatlicher Gewalt auf eine Weise Vorschub geleistet, hinter der alle notwendige Kritik an herrschenden Gewaltverhältnissen so weit zurückfallen muß, daß sie unter dem imperativen Gültigkeitsanspruch dieser Singularität - und nicht etwa der industriellen Massenvernichtung als solcher - in deren vorauseilende Affirmation umschlagen kann.

Während Adorno in der Analyse der postfaschistischen Gesellschaft Kontinuitäten ausmachte, die die zu Auschwitz führende Suprematie in der Logik kapitalistischer Waren- und Kulturproduktion reproduzierten, kolportieren einige seiner heutigen Adepten einen ideologischen Nominalismus von falsch und richtig, der in jeder Kirche gut aufgehoben wäre und nicht umsonst Bündnispartner etwa unter jenen evangelikalen Zionisten findet, die Israel zu ihrem Armageddon machen wollen. Will die Kritische Theorie der Frankfurter Schule nicht zu einem bloßen Instrument bourgeoisen Distinktionsstrebens und kulturalistischer Legitimationsproduktion verkommen, dann sind ihre Sachwalter gut beraten, sich mit einer Philosophin zu schmücken, die weit mehr internationale Anerkennung genießt als eine gesellschaftskritische Soziologie, die den Schritt in die politische Aktion nicht vollziehen wollte und damit auf einem verdorrenden Ast linker Theorieproduktion landete. Gerade dort, wo Butler politisch Position bezieht, tritt der poststrukturalistische Charakter ihres Denkens hinter die Relevanz ihrer Intervention zurück.

Die Frankfurter Schule, deren Dissens mit ihrem französischen Konterpart niemals so groß war, daß sich nicht beide Schulen als für herrschaftsichernde Zwecke verwendungsfähig erwiesen, hingegen machte vor allem als Referenz eines sich links gerierenden Neokonservativismus Furore. Seine Parteigänger haben im Irakkrieg Bomben auf Bagdad bejubelt und wünschen sich heute nichts sehentlicher herbei als einen kriegerischen Regimewechsel in Teheran. Auch wenn sie nicht identisch sein mögen mit den jüdischen Kritikern Butlers, so sind sie doch einer Apologie kapitalistischer Herrschaft verpflichtet, deren antihumanistischer Impetus noch so viele Schichten des Kaisers neue Kleider nicht verdecken können. Kein Wunder also, daß die Gegner der Preisverleihung sich der Mittel einer Kulturindustrie bedienen, deren Kritik zu denjenigen Errungenschaften Max Horkheimers und Theodor W. Adornos gehören, die bleibende Wirkung entfaltet haben.



Fußnoten:

[1] http://www.guardian.co.uk/world/2012/sep/10/guantanamo-bay-us-military?newsfeed=true

[2] http://transgenialercsd.wordpress.com/2010/06/19/judith-butler-lehnt-zivilcouragepreis-ab/

11. September 2012