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KULTUR/0940: "Trauer um Dirk Bach" - Tagesbefehl im gesellschaftlichen Dschungelcamp (SB)




"Trauer um Dirk Bach" wird nicht nur im Boulevard, der Wahlheimat des Fernsehmoderators, Schauspielers und Komikers, zelebriert, auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk hält es für seinen gesetzlich verankerten Informationsauftrag, in seinen Nachrichtensendungen dazu aufzurufen. Wie ansonsten üblich reicht es in diesem Fall nicht aus, die Nachricht vom Tod des 51-jährigen mitzuteilen und vielleicht noch eine Stimme zu zitieren, die ihre Betroffenheit zum Ausdruck bringt. Nein, auch die Gebührensender müssen sich die Emphase zu eigen machen, die aus jedem Ereignis gepreßt wird, das noch etwas Saft für den Selbstwert versklavter Existenzen hergibt. Wer sich der angeblich kollektiven Trauer ebensowenig anschließen will wie etwa der unverhohlenen Genugtuung über die "extralegale Hinrichtung" Osama bin Ladens oder die Pfählung Muammar al-Gadaffis, der steht im Zweifelsfall mit dem von Springer und Bertelsmann regierten Volkskollektiv auf Kriegsfuß.

Der RTL- und Bild-Boulevard hat Sender wie NDR Info nicht nur erobert, weil er Einschaltquoten verspricht. Daß sich ein mit Rundfunkgebühren bezahlter Journalismus zum Handlanger eines Populismus macht, dessen sozialdarwinistische Demagogie für die Zurichtung der Arbeitsgesellschaft auf mehr Unterwerfung und Leistungsbereitschaft unabdinglich zu sein scheint, ist Ergebnis vorauseilenden Gehorsams. Eine Medienpersönlichkeit wie Dirk Bach eignet sich in besonderer Weise zum Abfeiern einer Verächtlichkeit, die unter dem großen Konsens, jeder müsse doch Spaß verstehen, das Stahlbad des "Fun" als Leistungsshow der neoliberalen Konkurrenzgesellschaft inszeniert. Wer als kleinwüchsiger, wohlbeleibter und schwuler Mann nicht unter die Räder maskuliner Feindseligkeit fallen will, der schützt sich am besten, wenn er sich auf die Seite der Menschenvorführer und Lacher schlägt. Wie hoch der persönliche Preis war, den der auf anderen Bühnen durchaus brillierende Künstler dafür zu entrichten hatte, bleibt ohnehin auf der Strecke einer Berichterstattung, der die Regulation virulenter Widersprüche oberstes Gebot ist.

So wäre die Trauer um seinen Tod nicht halb so groß, wenn Dirk Bach nicht seit 2004 die RTL-Show "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" moderiert hätte. Dieses längst auch von als medienkritisch geltenden Journalisten als sehenswert gelobte Format hat die Grenzen der Erniedrigung vor laufender Kamera erfolgreich erweitert, indem die dort auftretenden B-Promis zum allgemeinen Ergötzen in hochnotpeinliche Situationen manövriert und die daraus resultierenden Peinlichkeiten, Beschämungen und Gemeinheiten genüßlich ausgeschlachtet werden. Nichts könnte den Warencharakter des kapitalistisch vergesellschafteten Menschen, der sich für sein Überleben verkaufen muß und die ihm zugeschriebene Freiheit dabei wirksam dementiert, besser dokumentieren als die Simulation einer Zwangslage, in der die ihm alltäglich abverlangte Selbstbehauptung auf die Spitze ihres Scheins getrieben wird, auf daß sie im realen Sozialdarwinismus mit noch größerer Brutalität durchgesetzt werden kann.

Die unterstellte Freiwilligkeit kappt wirksam jeden Bezug zu den sozialen Grausamkeiten, denen auch in der Bundesrepublik immer mehr Menschen ausgesetzt sind. Sie werden statt dessen auf den Elendsthron circensischer Spektakel gehievt, wo sie den Kitzel der Lust, den andern aus sicherer Distanz in seiner Not beobachten zu können, als Soma der Hoffnung auf Erlösung vom eigenen Scheitern konsumieren können. Wo der destruktive Charakter des Dargebotenen in seiner systematischen und zielgerichteten Produktivität nicht mehr zu leugnen ist, rückt die Gefahr, selbst in den Fleischwolf menschlicher Feindseligkeit zu geraten, spürbar näher. Die Faszination dieser und ähnlicher Shows liegt gerade in der Ambiguität von lockerem Fun und knochenhartem Sozialstreß - Unterhaltung wird dort spektakulär, wo der Zuschauer Menschenblut leckt und sich dennoch nicht des Kannibalismus verdächtig macht. Er kokettiert mit der ihm widrigen Realität und perforiert Grenzen bürgerlicher Konvention, deren sukzessive Ausweitung im Schwinden mitfühlender Humanität zum erwünschten Ergebnis gelangt.

Was das Dschungelcamp in besonderer Weise auszeichnet, ist das Angebot, sich als Normalsterblicher über privilegierte Stars erheben zu können, wenn diese sich demütigenden Prozeduren unterziehen und dabei von den Moderatoren, die die programmatische Resonanz des Publikums personifizieren, zum Gespött gemacht werden. In dem Hohn, dem Titel eines Dschungelkönigs nachzueifern, könnte der reale Konkurrenzkampf sogar subversiv unterwandert werden, wenn sich nicht zeigte, daß die vorgeführten Stars mediokre Opfer gesellschaftlicher Umstände sind, die zu leugnen Eintrittskarte in die Arena dieser Bespaßung ist.

Schließlich verortet der Handlungsrahmen einer Lagersituation, die durch die ständige Observation mit Kameras und Mikrofonen, körperliche Entbehrungen, hygienische Verwahrlosung und Konfrontation mit phobisch aufgeladenen Herausforderungen als Tortur inszeniert wird, die Sendung im Labor gesellschaftlicher Zurichtung auf die Zukunft staatlicher Repression. Das professionell produzierte Elend, das das Publikum vor dem Fernseher und in der Zeitung unterhält, findet auch in reichen Gesellschaften längst in den Knästen und Lagern ausgegrenzter und unerwünschter Menschen statt. Somit bewegen sich RTL und Bild an vorderster Front sozialer Herrschaftsicherung, was die Damen und Herren in den Vorstandszentralen von Springer und Bertelsmann nicht davon abhält, ihre Kundschaft sozialer Delinquenz zu bezichtigen oder mit dem angeblich hohen Zivilisationsgrad der eigenen Kultur kriegerische Aggressionen zu legitimieren.

Wer die Fremdbestimmtheit und Flüchtigkeit seines sozialen Tauschwertes zum unverwechselbaren Attribut einer einzigartigen Persönlichkeit erklärt, der hat viel zu tun, um naheliegenden Einsichten und Erkenntnissen auszuweichen. Es ist kein psychologisches Phänomen, wenn beim Buhlen um die Gunst des Publikums die Maske von Anstand und Moral fällt. Gezahlt wird mit einer baren Münze, die, auch wenn man sie nicht in der Tasche hat, dennoch ausgeben kann, in der Währung des Leides und Mangels. Die vom Drama der Häutungen des Humanen gebannten Zuschauer finden im moderierten Konsens der TV-Dompteure, wie lustig doch das Leben ist, wenn es zu Lasten des anderen geht, zusammen. Das Medium Fernsehen macht den Sog sozialer Not in beide Richtungen verkehrsfähig und sich selbst als Prothese herrschaftsichernder Regulation unverzichtbar. Ihm ist der Zuschauer durch seine Bindung an das dargebotene Elend nicht weniger verfügbares Objekt als der Mensch, der sich vorführen läßt, und so wird mit der "Trauer um Dirk Bach" auch dieser seine letztgültigen Verwertbarkeit zugeführt.

2. Oktober 2012