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KULTUR/0960: "Dachau Blues" - vom Elend antikommunistischer Geschichtspolitik (SB)


Niemals wieder - Mahnmal in der Gedenkstätte des KZs Dachau - Foto: © By Elwood j blues (Own work), CC-BY-SA-3.0-2.5-2.0-1.0, via Wikimedia Commons

Unabgegoltene Mahnung im ehemaligen KZ Dachau
Foto: © By Elwood j blues (Own work), CC-BY-SA-3.0-2.5-2.0-1.0, via Wikimedia Commons

Die einen kritisierten die Kanzlerin dafür, unmittelbar nach dem Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau einen Wahlkampfauftritt in einem Bierzelt absolviert zu haben, die anderen verteidigten Angela Merkel als diejenige Regierungschefin, die als erste Amtsträgerin einen Fuß in dieses - schon wenige Wochen nach Beginn der NS-Diktatur - am 21. März 1933 für politische Häftlinge eingerichtete Konzentrationslager setzte. Allein die Frage, wieso es mehr als 75 Jahre bedurfte, bis 2010 mit Bundespräsident Horst Köhler erstmals ein hochrangiger Repräsentant der Bundesrepublik zum offiziellen Gedenken an die 200.000 inhaftierten und rund 41.500 dort ermordeten und gestorbenen Häftlinge antrat, obwohl es sich um ein ehemaliges KZ auf dem früheren Reichsgebiet und späteren Territorium der BRD, dazu in unmittelbarer Nähe Münchens, handelte, könnte Anlaß zu umfassenden Überlegungen geben.

Zwar positionierte sich die Kanzlerin in ihrer Rede, mit der sie die Opfer würdigte, "entschieden gegen jede Form von Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus" [1], allerdings ohne darauf einzugehen, daß Dachau zu den frühen KZs zählte, die eigens für die Inhaftierung politischer Gegner des NS-Regimes eröffnet wurden. Unter diesen häufig nur provisorisch und befristet eingerichteten Lagern stellt Dachau insofern eine Ausnahme dar, als es für die gesamte Dauer der NS-Herrschaft bestand und von Heinrich Himmler, 1933 neben seiner Funktion als Reichsführer-SS auch Münchner Polizeipräsident, als eine Keimzelle für das gesamte System der Konzentrationslager aufgebaut wurde. In Dachau wurden Wachmannschaften und Offiziere der SS ausgebildet, die von dort in die Vernichtungslager überstellt wurden. Zu diesen wird Dachau zwar nicht gezählt, aber es soll dasjenige KZ gewesen sein, in denen die meisten politisch motivierten Morde begangen wurden.

Und diesen fielen vor allem Mitglieder des linken Widerstands gegen die Nazis zum Opfer. So wurden Rudolf Benario, Ernst Goldmann und Arthur Kahn am 12. April 1933 in Dachau ermordet und gelten damit als die ersten Juden, die in einem KZ umgekommen sind. Sie waren allerdings auch Kommunisten und hatten es dieser politischen Gesinnung zu verdanken, daß sie so frühzeitig inhaftiert wurden. Zum 80. Jahrestag der Eröffnung des KZs Dachau erinnerte die Süddeutsche Zeitung am 22. März 2013 unter dem Titel "Gedächtnisschwund" daran, daß Kommunisten auch heute noch im offiziellen Gedenken an die NS-Opfer vernachlässigt werden, obwohl sie Hitler von Anfang an bekämpften. Zu diesem Anlaß sprang selbst die Evangelische Kirche über ihren Schatten und lud Leo Mayer als Repräsentant der DKP zu einem Gedenkgottesdienst in der evangelischen Versöhnungskirche auf dem Gelände der Gedenkstätte Dachau ein. Der Beauftragte für evangelische Gedenkstättenarbeit, Pfarrer Dr. Björn Mensing, erinnerte daran, daß "Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter - unter ihnen auch einige Juden" zu den ersten Opfern des neuen Lagersystems gehörten. [2]

Mensing wie auch der bayrische Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm würdigten den linken Widerstand unter ausdrücklicher Erwähnung, daß die Kirchen zur Errichtung des Konzentrationslagers Dachau und den ersten Morden schwiegen, ja kirchliche Zeitschriften zudem die NS-Propaganda über die angeblich gute Behandlung der Häftlinge verbreiteten. Während kaum einem Redner in öffentlichen Gedenkfeiern das Wort "Kommunist" über die Lippen käme, habe das bayerische Innenministerium den Zeitzeugen Ernst Grube, stellvertretender Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau, als Verfassungsfeind stigmatisiert.

Der Überlebende des KZs Theresienstadt wird wegen seiner Mitgliedschaft in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) und seiner Nähe zur DKP vom Verfassungsschutz überwacht. In der BRD der 1970er Jahren wurde der heute 81jährige Münchner, der sich in der Aufklärung Jugendlicher über das NS-Regime engagiert, mit Berufsverbot belegt, kam monatelang in Isolationshaft und wurde mehrfach von der Polizei mißhandelt. Der angestrengte Versuch, das angebliche Versagen des Inlandsgeheimdienstes bei der Verhinderung der Mordserie des NSU auf "Pleiten, Pech und Pannen" zurückzuführen, wirkt nicht eben glaubhafter, wenn der Staat nicht davon lassen kann, NS-Opfer politisch zu verfolgen. So belegt der Rechtsanwalt Klaus Hahnzog im "Grundrechte-Report 2013", daß symbolisches Gedenken und reale Repression durchaus Hand in Hand gehen können:

"Die völlige Einseitigkeit gegen 'Links' zeigt sich etwa darin, daß der ehemalige KZ-Häftling Ernst Grube persönlich als 'Linksextremist' im Verfassungsschutzbericht 2011 genannt wurde, gleichzeitig aber bei der Grundsteinlegung für das NS-Dokumentationszentrum in München von drei offiziellen Rednern als 'Ehrengast' begrüßt wurde: vom Münchner Oberbürgermeister, vom bayerischen Kultusminister und vom Staatsminister für Kultur der Bundesregierung." [3]

Von alledem will Angela Merkel am 20. August bei ihrem Dachau-Besuch nichts wissen. Auch ihr kommt das Wort "Kommunist" nicht über die Lippen. Sie spricht ganz allgemein davon, daß das NS-Regime 1933 umgehend damit begann, "politische Gegner, Juden, Sinti, Roma, Behinderte und Homosexuelle zu verfolgen" [1]. Die Bundeskanzlerin verzichtet dementsprechend vollständig darauf, eine konkrete Verbindung zu bedrohlichen Entwicklungen in der Bundesrepublik zu ziehen, indem sie etwa die Pogromstimmung in Berlin-Marzahn-Hellersdorf erwähnte. Die nutzt ihr Innenminister Friedrich lieber für die Zwecke der staatlichen Flüchtlingsabwehr, indem er fordert, "die Sorgen der Bevölkerung" ernst zu nehmen, "damit die menschenverachtende Propaganda der Neonazis keinen Erfolg hat". Nicht der menschenverachtende Charakter der Fremdenfeindlichkeit ist Friedrich ein Greuel, denn der könnte durch eine veränderte Migrationspolitik in sein Gegenteil verkehrt werden.

Es ist die abträgliche Wirkung auf das Bild eines Paradieses für Investoren und Unternehmensansiedlungen, die Friedrich dazu veranlaßt, die aggressive Feindseligkeit biodeutscher Rassisten zu einem PR-Problem zu erklären. Wie stets, wenn Nazis Schlagzeilen machen, geht es der Bundesregierung nicht darum, den Flüchtlingen das Leben leichter zu machen, indem sie die mit dem Asylkompromiß 1992 errichteten Hürden zur Anerkennung ihrer Fluchtgründe zurückbaut und ihre Wohn-, Versorgungs- und Arbeitsbedingungen verbessert. Nein, sie sollen kaserniert und drangsaliert werden, um zum einen weitere Flüchtlinge abzuschrecken und zum andern averse Reaktionen in der Bevölkerung zu provozieren, die im Kalkül des sozialstrategischen Krisenmanagements Handlungsbedarf restriktiver Art produzieren.

Was Merkel in Dachau zu den wichtigen Fragen, die die Zukunft dieser Gesellschaft betreffen, schweigen läßt, ist die sozialdarwinistische Praxis, Menschen aus Gründen ihrer besseren Verwert- und Beherrschbarkeit gegeneinander aufzubringen, indem sie die Ursache ihrer Misere im nicht minder mangelgetriebenen Konkurrenten verorten, anstatt die kapitalistische Eigentumsordnung dafür verantwortlich zu machen. Zu erkennen, daß die Abschreckung armer, verfolgter und hilfsbedürftige Menschen jeden meint, der sich nicht im Sinne des Kapitals produktiv verwerten läßt, wäre die emanzipatorische Antwort auf das Bild den Hitlergruß präsentierender Nazis, das die Sachwalter des Standorts Deutschland stört, weil es Investoren abschreckt und Nationalstereotypien bestätigt.

Zudem soll nicht gerade in der Gedenkstätte des ehemaligen KZs Dachau, für dessen Häftlinge die Flucht ins rettende Ausland häufig über Leben und Tod entschied, ruchbar werden, wie sehr die Bundesrepublik durch ihren Einfluß auf die EU für deren mörderisches Grenzregime verantwortlich ist. Ein solcher Häftling war Hans Beimler, für die KPD von 1932 bis 1933 Abgeordneter im Deutschen Reichstag und am 11. April 1933 als Politischer Sekretär des Bezirks Südbayern der KPD verhaftet. Nach schwerer Folter im Münchner Polizeipräsidium wurde er nach Dachau gebracht, wo er nach vier Wochen fliehen konnte, um in Prag seine Broschüre "Im Mörderlager Dachau" [5] zu verfassen. Sie wurde bereits im August 1933 veröffentlicht, in mehrere Sprachen übersetzt und erlangte internationale Aufmerksamkeit, war es doch einer der ersten Berichte aus dem Innern eines KZs. Weil der Spanienkämpfer Beimler, der als politischer Kommissar aller deutschen Bataillone der Internationalen Brigaden eine hochrangige Position im Kampf gegen die von Hitler und Mussolini unterstützten Franco-Faschisten bekleidete, in diesem Krieg fiel und nicht in Deutschland ermordet wurde, sucht man seinen Namen vergebens auf der Gedenktafel, die zur Erinnerung an die von den Nazis ermordeten Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik am Berliner Reichstagsgebäude angebracht wurde [6].

Der von Warschau über Auschwitz bis nach Dachau in diversen KZs inhaftierte Max Mannheimer, der in Auschwitz seine Eltern, Frau und Geschwister verlor, hatte die Kanzlerin nach Dachau eingeladen und wurde in ihrer Rede persönlich gewürdigt. In dem Vorwort für eine 2011 bei PapyRossa veröffentlichte Neuauflage des Berichts "Im Mörderlager Dachau" bewundert Mannheimer "den Überlebenswillen Hans Beimlers, seinen Mut zum Widerstehen und vor allem zur Flucht". An diesen Widerstandskämpfer, für den Ernst Busch ein berühmtes Lied verfaßt hat, zu erinnern, hätte der Bundeskanzlerin auch deshalb gut zu Gesicht gestanden, weil er das Wissen um die Grausamkeit der politischen Repression im NS-Staat durch seinen Bericht für die nachfolgenden Generationen verfügbar gemacht hat.

Das die Bundesrepublik von Anbeginn an verpflichtende Credo "Wehret den Anfängen" hätte auch die Erwähnung der drohenden Faschisierung durch neue Formen der politischen Verfolgung wie der Folterung und Verschleppung sogenannter Terrorverdächtiger, der Einführung des Targetted Killing als regulärer Gewaltpraxis angeblich demokratischer Staaten, der zuletzt in der Spähaffäre manifest gewordenen Allmacht der transnationalen Geheimexekutive oder die sozial- und kulturrassistische Diffamierung angeblich unproduktiver, überflüssig gemachter Menschen durch Merkel verdient. Doch auch dabei wäre eine zu große Verstrickung der eigenen Regierung in Formen exekutiver Ermächtigung deutlich geworden, die sich mit dem freiheitlichen Anspruch einer antifaschistischen Staatskritik nicht in Übereinstimmung bringen lassen.

So entfiel auch die Erinnerung an jenen aus Kasachstan stammenden Bundesbürger, der im 80 Kilometer von Dachau entfernten Kaufbeuren am 18. Juli auf einem Volksfest von einem einschlägig bekannten Neonazi erschlagen wurde. Während die Polizei die Gesinnung des Täters nicht in ihre Pressemitteilung aufnahm, wurde die Herkunft des Opfers, das eine Frau und zwei Kinder hinterläßt, in den Kommentarspalten lokaler Medien für seinen Tod verantwortlich gemacht [7]. Merkel hätte den 34jährigen Mann in ihr Gedenken aufnehmen können, doch das hätte bei einer Bevölkerung, die für Jagdszenen dieser Art schon in der alten BRD bekannt war, nicht eben Zustimmung ausgelöst. Alltag in Deutschland eben, doch zum Problem wird der ganz normale Rassismus erst, wenn Bilder um die Welt gehen, die das Image vom freundlichen Deutschen beschädigen.

Als der kalifornische Gouverneur Edmund "Jerry" Brown der KZ-Gedenkstätte Dachau Ende Juli unter strikter Aussperrung der Presse einen Besuch abstattete, appellierten Unterstützerinnen und Unterstützer der Langzeitgefangenen, die sich in seinem US-Bundesstaat mit einem Hungerstreik gegen die unmenschlichen Haftbedingungen wehren, an ihn, das Folterregime der Isolationshaft [8] und andere Mißstände in kalifornischen Knästen wie die drastische Überbelegung oder die Sterilisierung weiblicher Gefangener zu beenden. Der Aufruf war mit einem Zitat des Gefangenenaktivisten und Black Panther George Jackson überschrieben: "From Dachau with Love" [9] - so unterschrieb dieser in St. Quentin einsitzende und dort 1971 erschossene politische Gefangene mitunter seine Briefe. Mit diesem provokanten Vergleich stellte er die Haftbedingungen Kaliforniens in den Kontext eines Rassismus, der nicht das Signum "NS" tragen mußte, um mit mörderischer Konsequenz zu Werke zu gehen.

Jackson erwähnte das KZ Dachau auch deshalb, weil seine Insassen am 29. April 1945 durch die US Army befreit wurden. Dies hat dazu geführt, daß der Name dieses Lagers in den Vereinigten Staaten weit bekannter wurde als der vieler anderer KZs, selbst wenn in diesen weit mehr Menschen ermordet wurden. Der avantgardistische Musiker und kongeniale Freund Frank Zappas, Don Van Vliet alias Captain Beefheart, widmete ihm 1969 den Titel "Dachau Blues". Der Dritte Weltkrieg, den zu verhindern er darin beschwor, kann auf diese Weise jedenfalls nicht ausgeschlossen werden.


Fußnoten:

[1] http://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/Rede/2013/08/2013-08-20-merkel-kz-dachau.html;jsessionid=4D1D460C411B60480D22B2510F749FD0.s1t1

[2] http://www.kommunisten.de/index.php?option=com_content&view=article&id=3983:gedenkgottesdienst-fuer-erste-im-kz-dachau-ermordete-kommunisten&catid=76:ausserparlamentarisches&Itemid=153

[3] http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Verfassungsschutz/daniel.html

[4] http://www.rp-online.de/politik/deutschland/bannmeile-vor-fluechtlingsheim-gefordert-1.3620688

[5] http://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/20Jh/Beimler/bei_dati.html

[6] http://archiv.gesine-loetzsch.de/kat_echo_detail.php?v=495

[7] http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2013/07/20/neonazis-prugeln-34-jahrigen-auf-volksfest-zu-tode_13585

[8] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1501.html

[9] http://www.18maerz.de/web/index.php/home-iphone/77-artikel/537-from-dachau-with-love

22. August 2013