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KULTUR/0961: Mythos SPIEGEL - Im BILD-Vergleich zur Kenntlichkeit entstellt (SB)




Als Sturmgeschütz des deutschen Imperialismus und Sozialchauvinismus macht das Nachrichtenmagazin Der Spiegel nicht erst in jüngerer Zeit von sich reden. Mit dem Anschluß der DDR an die BRD konnte sich der notorische Antikommunismus Rudolf Augsteins freischwimmen von dem Verdacht, das Konkurrenzverhältnis zur Springer-Presse beruhe auf allzugroßer ideologischer Nähe. Brachte die gemeinsame Frontstellung von Springer und Augstein im Kalten Krieg noch die Notwendigkeit eines wenngleich systemstabilisierend eingehegten Meinungspluralismus hervor, so gab es nach 1990 keine nennenswerte Klientel unter der bürgerlichen Linken mehr, die man in die Irre eines vermeintlich kritischen Journalismus hätte führen müssen.

Der Nimbus des Spiegel, das tonangebende linksliberale Blatt der Bundesrepublik zu sein, wurde nicht zuletzt von dem 2002 verstorbenen Augstein selbst genährt. So stellte er seine Zeitung zu ihrem 50jährigen Jubiläum 1997 als "antifaschistisches Geschütz von Anbeginn" an dar, ungeachtet der Anstellung verdienter Nazis in der Frühzeit seines Blattes. Da dies keine Ausnahme von der üblichen Praxis in Staat und Wirtschaft der BRD darstellte und sogar die Kriegssieger NS-Wissenschaftler und -Geheimdienstler angeworben hatten, war dieser Widerspruch in einer BRD, in der die im Bundeskanzleramt angekommene staatstragende Linke längst auf den Gräbern ihrer historischen Vordenker herumtrampelte, zu verschmerzen.

Um das, was der Journalist Otto Köhler, von 1966 bis 1972 beim Spiegel, über die politische Einflußnahme Augsteins in der frühen Bundesrepublik berichtete, als gelebten Antifaschismus zu bezeichnen, muß man schon das Weltbild dort wohlgelittener Neokonservativer wie Broder oder Biermann übernehmen:

"Nie wäre Konrad Adenauer Bundeskanzler geworden, wenn Augstein 1948/49 im Spiegel geschrieben hätte, was er wußte. Hätte Augstein sich nicht von Adenauer vereinnahmen lassen, hätte er rechtzeitig vor den Bundestagswahlen 1949 seine Journalistenpflicht erfüllt, die Pläne der Generäle und die Absichten Adenauers enthüllt. Den Bundeskanzler Adenauer, den er später bekämpfte, hätte es nicht gegeben bei der damaligen Stimmung im Volk gegen eine Aufrüstung."
(NDR 3, 6.11.2002)

Köhler zufolge hatte Augstein 1948 aus dem Kreis seiner militärischen Informanten erfahren, daß man eine Remilitarisierung der BRD in einer Größenordnung von 30 Divisionen anstrebe. Auf Nachfrage erfuhr Augstein im persönlichen Gespräch mit Adenauer, daß der aussichtsreiche Kandidat für das Amt des ersten Bundeskanzlers der BRD die Wiederaufrüstung befürwortete, dies als Politiker aber nicht öffentlich äußern dürfe. Adenauer soll Augstein empfohlen haben, an seiner statt etwas für die Sache zu tun, was zur Folge hatte, daß der Spiegel-Chef eine Kolumne unter dem Titel "Soll man die Deutschen bewaffnen?" verfaßte. Hätte er hingegen die Position Adenauers offengelegt, dann hätte zumindest die Chance bestanden, daß die SPD bei den ersten Wahlen im kriegsmüden Westdeutschland gesiegt und den Kanzler gestellt hätte.

So war die Frühzeit des Spiegel von einem nationalliberalen Geist bestimmt, der durch Augsteins Verbindungen zum rechten Flügel der nordrhein-westfälischen FDP, die in der Nachkriegszeit als Sammelbecken hochrangiger Nazis fungierte, wie vieler Kommentare, in denen er keinen Hehl aus seiner Kritik an der amerikanischen Dominanz in Europa machte, belegt ist. Die vermeintliche Linkslastigkeit seines Blattes war vor allem der Heimsuchung durch den Staat in der sogenannten Spiegel-Affäre des Jahres 1962 und der daraufhin losbrechenden Unterstützung durch linke Studenten geschuldet. Was Rudolf Augstein im November 1998 zur Verjährung deutscher Schuld im Kontext der neuerrichteten Holocaust-Gedenkstätte schrieb, kennzeichnet ihn als Vordenker jener Restauration deutscher Größe, die Europa dieser Tage wieder auf bittere Weise zu spüren bekommt:

"Man ahnt, daß dieses Schandmal gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland gerichtet ist. Man wird es aber nicht wagen, so sehr die Muskeln auch schwellen, mit Rücksicht auf die New Yorker Presse und die Haifische im Anwaltsgewand, die Mitte Berlins freizuhalten von solch einer Monstrosität. (...) Kohl fürchtete eine Stimmungsmache, der schon Konrad Adenauer Anfang der fünfziger Jahre mit den Worten Ausdruck gegeben hatte: 'Das Weltjudentum ist eine jroße Macht.'" [1]

Die Etablierung einer Berliner Republik, die Auschwitz in ein Instrument überschießender Gerechtigkeit verwandelte, mit Hilfe dessen sich sogar wieder Krieg führen ließ, hat in dem Hamburger Nachrichtenmagazin stets viele Fürsprecher gefunden. Das rückstandslose Aufgehen der DDR in der BRD unter Verzicht auf jegliche Neukonzeption zumindest einiger Restbestände des Sozialismus war auch der strikt gegen die PDS gerichteten Berichterstattung des Spiegel geschuldet. Das Herunterschreiben der Partei vor Wahlen und die Angriffe auf Oskar Lafontaine reflektieren das Selbstverständnis einer sich gerne als Intelligenzia ausweisenden Bourgeoisie, die im Ernstfall auf immer gleiche Weise ins Horn der Kriegsbegeisterung und Sozialverachtung stößt.

Ob das "Völkergefängnis" Jugoslawien sturmreif geschossen, über das angeblich harte Schicksal deutscher Soldaten in Afghanistan gebarmt, der Krieg gegen den Irak propagandistisch unterstützt oder die Bundesregierung für ihre Zurückhaltung bei der Eroberung Libyens gerügt wird, der Spiegel steht stets auf der Seite der Aggressoren, die schließlich auf diese oder jene Weise dafür sorgen, daß deutsche Funktionseliten in der globalen Freßkette einen Platz ganz vorne einnehmen können. Die flagellantische Lust ob des angeblichen Versäumnisses, wieder einmal nicht wie andere NATO-Staaten blankgezogen zu haben, ist beim Spiegel Haustradition, sich den Geistern, die man rief, zu stellen eher nicht.

Als das Blatt im August 2007 darüber klagte, daß die Bundesrepublik in der Welt nichts zu melden habe, wenn es ernst wird, da zeigte man sich insbesondere neidisch auf die Rüstungsgeschäfte, die der französische Premierminister Sarkozy mit dem libyschen Revolutionsführer Gaddafi angebahnt hatte. Als französische Kampfjets das nordafrikanische Land vier Jahre später bombardierten, da wurden erneut Krokodilstränen über den Verlust an deutschem Einfluß vergossen. All die Aufrufe zu den Waffen, an denen sich neokonservative Spiegel-Redakteure die Finger wundschrieben, blieben in der Konsequenz bloßer Zerstörung der Lebensgrundlagen ganzer Bevölkerungen in Bezug auf die eigene Beteiligung an diesen Katastrophen unreflektiert. "Fire and Forget" - die Anweisung, nach der todbringende Raketen von autonom operierenden Steuerungssystemen zum Targeted Killing losgeschickt werden, scheint auch zum journalistischen Selbstverständnis des Spiegel zu gehören.

Wie die Faust aufs vor lauter Selbstmitleid ob der Entbehrungen, die dem fleißigen Deutschen durch räuberische Wirtschaftsflüchtlinge zugefügt werden, tränende Auge paßt dazu die Hetze gegen Migrantinnen und Migranten, für die Der Spiegel im April 1997 auf dem Titel neben der Schriftzeile 'Gefährlich fremd' Koranschülerinnen, türkische Gangmitglieder und eine die Fahne der PKK schwingende Kurdin aufmarschieren ließ. Das Sarrazynische Austeilen gegen diejenigen Menschen, die im Wirtschaftsstandort Deutschland nur stören, weil sie angeblich unproduktiv sind, stellt die Innenseite des nach außen gewendeten Sozialdarwinismus dar. "Viagra und Urlaub" hieß es etwa im August 2003 in einem Beitrag über die angebliche mißbräuchliche Plünderung des modernen Wohlfahrtsstaates. Im selbstgerechten Duktus der Gewinner angeprangert wurde darin das Buch "Mein Recht auf Sozialhilfe". Dessen Autor Albrecht Brühl hatte nichts anderes als einen Leitfaden zum Verständnis geltenden Sozialrechts verfaßt. Der Spiegel denunzierte die Inanspruchnahme staatlicher Leistungen in einigen speziell gelagerten Fällen als Skandal und strafte die Verlierer eines Kapitalismus, der ein Leben außerhalb marktwirtschaftlicher Konkurrenz und staatlicher Versorgungsstrukturen nicht erlaubt, mit der ganzen Gewalt oligopoler Medienmacht.

Um die auch im Spiegel systematisch vorbereiteten Verluste an sozialen Garantien auf sinnstiftende Weise zu kompensieren, propagierte dessen ehemaliger Kulturchef, Matthias Matussek, 2006 jenen neuen Nationalismus, der im Hochgefühl der Fußball-WM als "positiver Patriotismus" verharmlost wurde. Und wo alte wie neue Herren Morgenluft wittern, da darf der rabiate Antikommunismus nicht fehlen. Ob mordende Nazis mit der RAF frei nach der Totalitarismusdoktrin gleichgesetzt oder Kriegsgegner als Assad-Unterstützer diffamiert werden, kaum irgendwo im deutschen Blätterwald marschiert die Reaktion so unbeirrt im Gleichschritt der neofeudalen Klassengesellschaft wie in der Redaktion dieses Blattes.

Wenn nun der Streit um die Berufung des ehemaligen Bild-Journalisten Nikolaus Blome, unter anderem mit dem Herbert Quandt Medien-Preis für die Bild-Serie über die "Pleite-Griechen" ausgezeichnet, durch den neuen Spiegel-Chefredakteur Wolfgang Büchner die Gemüter entzweit, dann gelangt damit eine Scharade zur Aufführung, bei der es vor allem darum geht, den Anspruch auf vermeintlich aufklärerischen Journalismus durch Abgrenzung gegen die Boulevardpresse zu sichern. Dies vollzieht sich exemplarisch im Disput zwischen den Nachkommen Rudolf Augsteins, Franziska und Jakob Augstein. Während erstere den angeblich fortschrittlichen Charakter der Zeitung ihres Vaters vehement verteidigt, ist letzterer ganz einverstanden mit Blomes hochrangiger Stellung als Leiter des Hauptstadtbüros und Mitglied der Chefredaktion des Spiegel. Dies steht dem angeblichen Retter der ehemaligen Ost-West-Wochenzeitung Freitag durchaus gut zu Gesicht, wenn man den Niedergang seines Blattes von einem anspruchsvollen linken Debattenforum zu einem dünnen Aufguß der britischen Tageszeitung The Guardian, mit der der Freitag zusammenarbeitet, als Maßstab für seine politische Position nimmt.

Die von vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Spiegel wie anderen Journalistinnen und Journalisten verteidigte Abgrenzung des Blattes zur Bild-Zeitung erfolgt im blinden Fleck eines berufständischen Opportunismus, der, anders als Franziska Augstein behauptet, so oder so "regierungsnah" [2], sprich systemkonform, ist. Einmal mehr geht es darum, den Anspruch auf gesellschaftliche und publizistische Definitionsmacht unter dem schönen Schein vorgetragener Kritikfähigkeit durchzusetzen, der bei dem Hamburger Nachrichtenmagazin, wenn er dort jemals eingelöst wurde, längst in die bloße Affirmation herrschender Gewaltverhältnisse umgeschlagen ist. Was bleibt, ist der Standesdünkel eines Strebens nach journalistischer Identität, die sich an formalen Kriterien wie der Zugehörigkeit zu in der Sache austauschbaren Medien orientiert, weil es in der Untwerfungslogik neoliberaler Hackordnung für genuine Gesellschaftskritik keinen Platz mehr gibt.


Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-7085973.html

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2232449/

1. September 2013