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KRIEG/1304: Zwei Wochen moderne Kriegführung am Beispiel Gaza (SB)



Seit knapp zwei Wochen greifen die israelischen Streitkräfte den den Gazastreifen an und demonstrieren, daß der 2001 mit dem Terrorkrieg auf zweckdienliche Weise aktualisierte Antagonismus von Zivilisation und Barbarei zwei Gesichter der gleichen Seite repräsentiert. Die sich von Terroristen auf barbarische Weise malträtiert fühlenden demokratischen Gesellschaften haben die Methoden und Techniken ihrer Kriegführung nicht etwa der Herausforderung angepaßt, eine unkalkulierbare Aggression abzuwehren, sondern ihre Interessen in den Ländern des Südens noch effizienter durchzusetzen. Der Kampf gegen Spaltprodukte eigener kolonialistischer Strategien hat den asymmetrischen Charakter moderner Kriegführung zum Markenzeichen einer Sicherheitsdoktrin gemacht, die der Heimtücke des Attentäters mit der Übermacht vernichtender Feuerkraft entgegentritt. Was im ersten Schritt als Reaktion auf den irregulären Taktiken der "illegalen Kombattanten" ausgewiesen wurde, hat man im zweiten Schritt zur Legitimation überlegener Militärtechnik in Kombination mit räumlich definierten Taktiken der Aufstandsbekämpfung genutzt.

Was im Gazastreifen auf dem eng umgrenzten Gebiet einer mittleren deutschen Stadt geschieht, übertrifft in der Quintessenz vernichtender Gewalt sogar die Strategie der US-Streitkräfte, die ihren Opfern zumindest befristete Gelegenheit gaben, aus den Free-Fire-Zones in Vietnam oder den eingekesselten Städten im Irak zu fliehen. Nachdem der in jeder Beziehung von äußerer Versorgung abhängige Gazastreifen mit zunehmender Intensität ausgehungert wurde, hat Israel den Krieg mit einem massiven Bombardement begonnen, das an die im Irak angewendete Shock and Awe-Doktrin anknüpfte und die blanke Terrorisierung der Bevölkerung bewirkte. Da keine Israelis mehr im Gazastreifen leben, konnte das gesamte Gebiet, dessen Bevölkerung schon zuvor immer wieder von tieffliegenden israelischen Düsenjägern eingeschüchtert wurde, zum Ziel kriegerischer Maßnahmen erklärt werden.

Mit der nach einer Woche der Luftangriffe begonnenen Bodenoffensive wurden Schneisen zwischen die Bevölkerungszentren des Gazastreifen geschlagen, die die Versorgung der Menschen und ihre Bergung nach Angriffen wirksam unterbinden. Das führte dazu, daß erste Hilfskräfte, die in der gestrigen Feuerpause in von der israelischen Armee beschossene Stadtviertel Gazas vordrangen, auf völlig entkräftete Überlebende und Verwundete trafen, die tagelang neben den Leichen ihrer Verwandten und Eltern ausharren mußten, ohne Hilfe zu erhalten. Kriegserfahrene Ärzte gaben an, noch niemals eine von militärischen Maßnahmen betroffene Bevölkerung erlebt zu haben, die so schlecht versorgt war wie die Palästinenser im Gazastreifen.

Sieben medizinische Hilfskräfte kamen bereits ums Leben, immer wieder wird der Beschuß von palästinensischen Ambulanzen durch israelische Streitkräfte gemeldet, Krankenhäuser müssen aus Mangel an Medikamenten, Wasser und Strom ihre Arbeit einstellen, und daß es in dem Gebiet keinen sicheren Ort für die Bevölkerung geben soll, wurde mit dem Beschuß dreier UN-Schulen, in die sich die Menschen geflüchtet hatten, demonstriert. Schon vor dem 27. Dezember, als die israelische Luftwaffe angeblich wegen des palästinensischen Raketenbeschusses, der bis dahin seit Ende des Waffenstillstands am 19. Dezember kein einziges israelisches Todesopfer gefordert hatte, über den Gazastreifen herfiel, waren die Menschen aufgrund der Totalblockade des Gebiets ausgehungert. Unter dem Einfluß mörderischer Gewalt und der Unmöglichkeit, ihr auszuweichen, tun physische Schwäche und seelischer Schmerz ein übriges, um die Neigung sich aufzugeben zu verstärken.

Seit Beginn des Krieges am 27. Dezember haben die Palästinenser über 700 Tote und über 3000 Verletzte zu beklagen, darunter laut der palästinensischen Gesundheitsbehörde zu 46 Prozent Frauen und Kinder (Spiegel Online, 08.01.2009). Bislang wurden durch die israelischen Luftangriffe über 3600 Wohnhäuser zerstört, 15 Ministerien, Dutzende von Polizeikasernen, 16 Schulen, acht Moscheen, zwei Brücken an der Nord-Süd-Hauptstraße, zahlreiche Straße sowie Strom-, Telefon- und Wasserleitungen (NZZ, 06.01.2009). Die teilweise Zerstörung der von 20.000 Studenten besuchten Islamischen Universität in Gaza hat unter den westlichen Akademikern, die sich heftig gegen einen politischen Boykott israelischer Hochschulen verwahrten, keine Proteste ausgelöst - was kann man an einem solchen Institut schon lernen außer Terrorismus.

Im Gazastreifen führen die israelischen Streitkräfte aller Welt nicht nur den aktuellen Stand moderner Kriegführung, sondern auch zvilisatorischer und demokratischer Entwicklung vor Augen. Mit einem gesellschaftlichen Selbstverständnis, das sich von dem seiner westlichen Verbündeten nicht unterscheidet, wird auf die Legitimität einer Aggression gepocht, die jeden Widerstand gegen das in Anspruch genommene Vorrecht des Stärkeren mit aller Grausamkeit bestraft. Indem insbesondere die Regierungen der USA, Britanniens und der Bundesrepublik den Legitimitätsanspruch des Vorgehens Israels Israels ungeteilt bestätigen, gehen sie prinzipiell konform mit der Art und Weise, mit der die Palästinenser auf weniger als ihr nacktes Leben reduziert werden.

8. Januar 2009