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KRIEG/1308: Wie NATO-Oberbefehlshaber Craddock die Freiheit verteidigt ... (SB)



NATO-Oberbefehlshaber John Craddock hat dementiert, daß er einen "ungesetzlichen oder illegalen" Befehl erteilt hab, als er Drogenhändler in Afghanistan als legitimes Angriffsziel der Isaf-Truppen auswies. Er behauptet statt dessen, es ginge darum, "Leben zu retten", wenn man den Drogenhandel im Land bekämpfe, so Craddock mit einem für Militärs, die Freiheit und Demokratie mit Bomben und Granaten verbreiten, typischen Euphemismus.

Craddock hat einen generellen Tötungsbefehl für Drogenhändler in Afghanistan erteilt, weil es, wie er gegenüber dem Sender MDR Info (03.02.2009) betonte, "erdrückende Beweise" dafür gebe, daß diese grundsätzlich mit den Taliban in Verbindung ständen. Dies habe auch der NATO-Rat festgestellt, so Craddock, der damit eine politische Rückendeckung in Anspruch nimmt, die ihm bislang nicht entzogen wurde. In gewisser Weise handelt es sich hier um eine moderne Version des berüchtigten Kommissarbefehls, der die Wehrmacht ermächtigte, Politkommissare der Roten Armee nicht als Kriegsgefangene zu behandeln, sondern zu erschießen.

Wenn eine Trennung zwischen guten und bösen Drogenhändlern "absurd" sei, wie ein ranghoher Offizier aus dem Stab Craddocks, an die Adresse deutscher Bedenkenträger gerichtet, laut MDR Info meinte, und aus dieser Verallgemeinerung der Schluß gezogen wird, daß man Personen, mit denen üblicherweise nach Maßgabe des zivilen Strafrechts zu verfahren wäre, einfach töten könne, dann ermächtigen sich NATO und ISAF dazu, für die gewaltsame Regulation gesellschaftlicher Probleme zuständig zu sein. In diesem Zusammenhang damit zu argumentieren, daß die Taliban, die die Opiumproduktion unter ihrer Regierung erfolgreich bekämpften, sich über Drogengelder finanzieren, lenkt vom Kern des Problems ab, daß die NATO ihre Kriegführung schrittweise auf eine für die Bekämpfung einer Guerilla typische Weise ausdehnt. Dabei steht üblicherweise die immer stärkere Einbeziehung der Zivilbevölkerung auf der Agenda, will man den Rebellen doch deren Unterstützung entziehen. Im Endeffekt läuft dies auf eine Politik der verbrannten Erde und der massenhaften Folterung vermeintlicher Unterstützer und Mitglieder der Guerilla hinaus, wie die Kolonialkriege in Algerien und Vietnam gezeigt haben.

US-General Craddock ist bekannt dafür, die Rechtfertigung der eigenen Grausamkeit ganz zu Lasten des Gegners zu betreiben. Als sich vor drei Jahren zwei saudische und ein jemenitischer Bürger im US-Gefangenenlager Guantanamo erhängten und damit ihrer mehrjährigen Tortur in völliger Isolation von der Außenwelt ein Ende bereiteten, behauptete Craddock als damals für das Lager zuständiger Oberbefehlshaber des U.S. Southern Command, es handle sich bei ihrem Suizid um eine besonders heimtückische Form der Aggression gegen die Vereinigten Staaten. Um das Maß der Demütigung voll zu machen, den Gefangenen das letzte Mittel, gegen die unmenschlichen Haftbedingungen zu protestieren, auf zynische Weise zu nehmen, höhnte Craddock über die Hungerstreikenden, sie hätten immerhin die Wahl, sich die Farbe der Schläuche ihrer Magensonden und die Geschmacksrichtung der Sondennahrung auszusuchen.

Der NATO-Oberbefehlshaber, der in Afghanistan angeblich für die Interessen aller Bundesbürger im Einsatz ist, war schon als oberster militärischer Berater des damaligen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld mit der Durchsetzung menschen- und völkerrechtswidriger Praktiken der US-Streitkräfte befaßt. In seiner daran anschließenden Position sah sich General Craddock im Dezember 2004 genötigt, aufgrund des Insistierens des FBI eine Untersuchung zum Vorwurf der Folterung Gefangener in Guantanamo einzuleiten. Der damit beauftragte Generalleutnant Randall Schmidt sprach insbesondere aufgrund des Falls des Gefangenen Mohammed al Qahtani, den man für den zwanzigsten Flugzeugentführer hielt und der im persönlichen Auftrag Rumsfelds besonders hart angefaßt wurde, die Empfehlung aus, den Lagerchef Generalmajor Geoffrey Miller zu ermahnen und ihn an seine Verantwortung für korrektes Vorgehen bei Verhören zu erinnern. Laut Schmidt wurde Qahtani mindestens 54 Tage lang 20 Stunden am Tag verhört. Er wurde extremer Kälte ausgesetzt, bis sein Herzschlag sich verlangsamte, um wieder aufgewärmt und erneut der Eiseskälte ausgesetzt zu werden. Während er auf einem Tisch festgeschnallt war, wurde ihm so lange Flüssigkeit injiziert, bis er sich einnäßte. Seine Zelle war ständig in helles Licht getaucht, er wurde in schmerzhaften Positionen an den Boden gekettet, mit Hunden bedroht, sexuell erniedrigt und anderweitig gequält.

Die Empfehlung Schmidts wurde von General Craddock rundheraus abgelehnt. Als für alle Belange der Strafverfolgung in Guantanamo verantwortlicher Offizier entlastete Craddock Miller vollständig, indem er ihn im Widerspruch zu Schmidts Erkenntnissen von jeglicher Verantwortung für die Folterung Qahtanis und anderer Gefangener freisprach. Dies erfolgte nicht zuletzt zum Schutz vor entsprechenden Vorwürfen an die Adresse seiner Person, war Craddock als oberster militärischer Berater Rumsfelds zumindest mittelbar daran beteiligt, daß in Guantanamo und in Abu Ghraib gefoltert wurde.

Das Pentagon hatte Miller im August 2003 angewiesen, die US-Truppen im Irak darauf vorzubereiten, den Gefangenen, die man verdächtigte, Mitglied des irakischen Widerstands zu sein, Informationen abzupressen. Miller war dafür verantwortlich, daß der Militärgeheimdienst in Abu Ghraib frei schalten und walten, sprich die Gefangenen nach Belieben quälen konnte. Zudem entsandte Miller Personal nach Abu Ghraib, das seine Verhörtechniken in Guantanamo erlernt und weiterentwickelt hatte. Nur wenige Wochen nach der Ankunft Millers im Irak kam es in Abu Ghraib zu den Szenen, die später weltweit für Empörung sorgten. Als Craddock Miller vor jeglicher Zurechtweisung und damit Bezichtigung schuldhaften Verhaltens in Schutz nahm, waren die im März 2004 ruchbar gewordenen Folterungen im irakischen Gefangenenlager Abu Ghraib gerade erst aus dem Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Schadensbegrenzung der übleren Art hat der NATO-Oberbefehlshaber auch mit seiner nun aufgestellten Behauptung vollzogen, die Tötung von Drogenhändlern im Rahmen der Kriegführung in Afghanistan sei eine rechtlich und moralisch integre Maßnahme.

3. Februar 2009