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KRIEG/1316: Der große Krieg hat nie geendet (SB)



Hoffnungsgetragene Appelle und Modelle, die weltweit verfügbaren Sourcen des Überlebens reichten für alle, wenn sie denn gerecht und vernünftig verwaltet und verteilt würden, lassen die Strategen globaler Herrschaftssicherung kalt. Sie haben vor allen andern erkannt, daß dem weniger denn je in der Menschheitsgeschichte so ist, weshalb ihr Trachten in letzter Konsequenz stets der Ultima ratio geschuldet ist, am Ende jener Elite anzugehören, die zu Lasten einer ausgegrenzten und zugrundegehenden Mehrheit der eigenen Art ihre Existenz sichert. Um dies zu bewerkstelligen, gilt es die eigene Position unablässig auszubauen, bis der entscheidende Schlag gegen den gefährlichsten Rivalen opportun erscheint. Der Krieg hat de facto nie geendet und wird weiter eskalieren, worüber es die Bevölkerung fortgesetzt zu täuschen gilt, auf deren Rücken der immense Kraftakt militärischer Überlegenheit und administrativer Zugriffsgewalt erwirtschaftet wird.

So spitzt sich gegenwärtig alles auf die Einkreisung und Einschnürung Rußlands durch die USA und deren Verbündete zu, wozu die Kriege im Nahen und Mittleren Osten wie auch die Konflikte in unmittelbarer Nähe der russischen Grenze als Etappen und Vorboten aufzufassen sind. Natürlich ist man sich in Moskau dieses Verhängnisses nur zu bewußt und signalisiert dem Aggressor Tod und Verderben durch atomare Kapazitäten, während man zugleich Bündnisse sucht und die Option der Koexistenz beschwört. Auch auf seiten der NATO mischen sich unverhohlene Drohungen mit Friedensbotschaften, was nur dann inkonsistent und verwirrend anmuten kann, wenn man sich über die strategische Konsequenz des Konflikts und die damit zwangsläufig verbundene Notwendigkeit, bis zur Stunde des Generalangriffs Frieden und Verhandlung im Munde zu führen, nicht im klaren ist.

Vor diesem Hintergrund lassen sich einander widersprechende Meldungen entschlüsseln und in einen Kontext stellen, die eine mögliche Stationierung strategischer Bomber der russischen Luftwaffe auf Stützpunkten in Kuba oder Venezuela betreffen. So wußte die Agentur Interfax zu berichten, der Kreml ziehe diesen Schritt nach Angaben eines hochrangigen Luftwaffenoffiziers in Erwägung. Zitiert wurde kein Geringerer als Generalmajor Anatoli Tschicharew, der Oberbefehlshaber der strategischen Bomberflotte, der diese Option gegenüber Medienvertretern als jederzeit realisierbar bezeichnete. Kuba verfügt seinen Worten zufolge über vier oder fünf Flugplätze mit 4.000 Meter langen Rollfeldern, die völlig ausreichend seien. Auch habe Venezuelas Präsident Hugo Chávez die Nutzung eines Militärstützpunkts auf der Insel La Orchila angeboten. Nun bedürfe es nur noch einer entsprechenden politischen Entscheidung. Sobald die beiden Staatschefs den politischen Willen zu diesem Schritt äußerten, sei man bereit, dorthin zu fliegen.

Da die russische Regierung ihre Beziehungen zu Kuba und Venezuela im vergangenen Jahr deutlich intensiviert hatte, klang diese Ankündigung durchaus plausibel. Präsident Dimitri Medwedjew war zu Gast in Havanna und Caracas, Raúl Castro und Hugo Chávez reisten nach Moskau. Bei all diesen Treffen wurden zahlreiche bilaterale Abkommen unterzeichnet. Zwei russische Langstreckenbomber nahmen an Manövern vor der venezolanischen Küste teil, die gemeinsam mit Einheiten der Nordmeerflotte durchgeführt wurden, deren lange Reise nach Venezuela wochenlang für Kontroversen gesorgt hatte.

Im August 2007 hatte Wladimir Putin, der damals noch Präsident seines Landes war, die strategische Bomberflotte ins Zentrum seiner geopolitischen Erwägungen gerückt. Er kündigte die Wiederaufnahme weitreichender Patrouillenflüge von Flugzeugen an, die bei Bedarf auch Nuklearwaffen mit sich führen können. Während die Mehrzahl der Kommentatoren vor einem Rückfall in den Kalten Krieg warnte und dabei den Charakter des aktuellen Konflikts um so gründlicher ausblendete, gaben sich Pentagon und US-Militärs überraschend gelassen. Obgleich die Bush-Administration noch im Amt war, die keine Gelegenheit ausließ, ihre tatsächlichen und imaginären Feinde in aller Welt wüst zu beschimpfen, erklärte Admiral Mike Mullen in seiner Eigenschaft als Chef des Generalstabs, Rußland und Venezuela hätten das Recht zusammenzuarbeiten, wenn sie dazu in der Lage seien.

Schon vorher hatten hochrangige US-Militärs gelästert, es bleibe abzuwarten, ob es russische Kriegsschiffe überhaupt bis nach Südamerika schafften. Das Gezeter überließ man voll und ganz den Journalisten der führenden Gazetten, die händeringend vor einer akuten Bedrohung durch das Manöver in der Karibik oder gar russische Bomber in Kuba warnten. Mit der vorgeblichen Entwarnung der Experten korrespondieren aktuelle Meldungen, wonach die Russen nur über eine Handvoll einsatzbereiter Langstreckenbomber verfügen sollen und folglich die vorgehaltenen militärischen Kapazitäten gar nicht besitzen.

Hatte Havanna im vergangenen Jahr die Meldung über eine geplante Stationierung russischer Bomber umgehend dementiert, so folgte nun Caracas mit der Erklärung, man habe Moskau keineswegs einen Stützpunkt auf La Orchila angeboten. Dies läßt im ersten Schritt den Schluß zu, daß die Kriegstreiber gewiß nicht in kubanischen oder venezolanischen Regierungskreisen zu finden sind. Darüber hinaus stellt sich jedoch die Frage, wie die eigentümliche Mixtur aus bellizistischen Drohgebärden und frappierenden Dementis und Beschwichtigungen aufzufassen ist.

Ist am Ende alles doch nur halb so wild? Hausieren die Russen mal wieder mit potemkinschen Dörfern, was die Amerikaner durchschauen und müde lächelnd abwinken? Bleibt der gemeinsame Feind der großen Mächte der "Islamismus" und "Terrorismus", der die Gegner von einst eher verbindet als trennt? Wer das allen Ernstes glaubt, wird sich wohl nie einen Reim darauf machen können, daß Menschen aller Herren Länder bis zuletzt nicht zu ahnen schienen, welche Schrecken in Gestalt der beiden Weltkriege auf sie zukamen.

20. März 2009