Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1327: Kugelhagel im mexikanischen Urlaubsparadies Acapulco (SB)



Mit der mexikanischen Millionenstadt Acapulco verbindet man Strand, Discos und Hoteltürme. Diese beschränkte Sicht des wohlhabenden Touristen ist nicht nur pervers angesichts des Existenzkampfs der dort lebenden Menschen, sie hat seit dem letzten Wochenende auch einen beängstigenden Sprung in der Sonnenbrille der Urlauber, die ihr Paradies plötzlich mit anderen Augen sehen und fluchtartig die Koffer packen. Zwar ist auch der Freizeitzivilist ein Räuber erster Güte, wenn er Köche und Kellner, Taxifahrer und Kofferträger, Straßenverkäufer, Zimmermädchen und wer weiß wen noch für ein paar hingeworfene Dollars buckeln läßt. Schlägt aber der Raub unvermittelt in einen Kugelhagel um, sucht er panikartig das Weite, da er sich auf der falschen Seite der Gewalt wiederzufinden droht.

Unschuldige, friedliche, genußreiche Welt der wohlverdienten Entspannung, geschaukelt von zahllosen sicht- und unsichtbaren braunen mexikanischen Händen - und dann das: Von 20 Uhr am Samstagabend bis nach Mitternacht ohrenbetäubende Explosionen von Granaten und peitschende Schüsse inmitten des alten Hotelviertels, wo vor Jahrzehnten Elizabeth Taylor oder John Wayne Luxusurlaub zu machen pflegten. Soldaten der Streitkräfte hatten ein Haus auf dem Hügel umzingelt, in dem sich diverse bis an die Zähne bewaffnete Drogenhändler des Beltrán-Leyva-Kartells dieses Ansturms erwehrten. In dem stundenlangen Feuergefecht blieben dreizehn Gangster, zwei Soldaten und zwei unbeteiligte Passanten auf der Strecke.

Augen- und Ohrenzeugen unter den Anwohnern und Touristen sprachen später von bürgerkriegsartigen Szenen. Nachbarn wußten zu berichten, daß ihnen schon seit Monaten verdächtige Aktivitäten aufgefallen seien. Gemeldet hatte das aber niemand, da die Chance, sich einem Polizisten im Dienst der Kartelle anzuvertrauen und damit womöglich das eigene Todesurteil zu unterschreiben, ziemlich groß ist. Dieses Mißtrauen, gepaart mit Gebeten zur Jungfrau von Guadalupe, vielleicht aber auch nur eine halbwegs glückliche Fügung sorgten dafür, daß das mit Raketenwerfern, Handgranaten und Sturmgewehren ausgetragene Gefecht nicht noch mehr Opfer gefordert hat.

Nahezu 11.000 Menschen dürften es inzwischen sein, die seit dem Amtsantritt Präsident Felipe Calderóns im Dezember 2006 im sogenannten Antidrogenkampf getötet worden sind, davon nicht weniger als 2.300 allein in diesem Jahr. Rund 45.000 Soldaten und Bundespolizisten wurden an Brennpunkten des Konflikts stationiert, wobei man mit einer gewissen Berechtigung auch umgekehrt argumentieren könnte, daß die Auseinandersetzung zuallererst dort eskaliert, wo die Militarisierung der mexikanischen Gesellschaft vorangetrieben wird.

Das schwant natürlich auch den Bewohnern Acapulcos, die bereits vor einigen Jahren mit blutigen Revierkämpfen verfeindeter Kartelle Bekanntschaft machten, seither aber weitgehend ungeschoren blieben. Die Tage, in denen sie hoffen durften, daß sich das Gemetzel auf die nördliche Grenzregion mit Schlachtbänken wie Ciudad Juárez oder Tijuana und das Umfeld der Hauptstadt beschränken könnte, gehören wohl der Vergangenheit an, zumal es zu weiteren Zwischenfällen in der Stadt kam, bei denen zwei Polizisten erschossen und zwei weitere verletzt wurden.

Nach den Hiobsbotschaften Wirtschaftskrise und Schweinegrippe nun auch noch der Krieg gegen die Kartelle - da kann sich die ohnehin angeschlagene Tourismusbranche ab sofort auch in Acapulco auf schlechte Zeiten gefaßt machen. Weniger offensichtlich als diese unübersehbare Konsequenz ist die brachiale Transformation der mexikanischen Gesellschaft in ein Regime, das die Streitkräfte massenhaft im Inland einsetzt, Polizeikräfte ganzer Städte durch Soldaten austauscht, Militärhilfe von den USA kassiert und zahlreiche weitere administrative Werkzeuge der Repression schmiedet.

Dies vollzieht sich nach wie vor unter relativ breiter Zustimmung der Bevölkerung, die längst nicht mehr begeistert, aber immerhin noch mit zusammengebissen Zähnen Durchhalteparolen den Zuschlag gibt. Jetzt könne man ohnehin nicht mehr zurück und müsse die Kartelle gewaltsam niederzwingen wie auch die Korruption ausräuchern, meint Volkes Stimme oder zumindest das, was die Medien als solche produzieren. Wie lange dieser Krieg dauern wird, vermag niemand zu sagen, doch eines ist heute schon gewiß: Wenn sich die Mexikaner morgen erheben und ihre Hungerrevolte auf die Straße tragen, werden dort bereits jene Soldaten und Bundespolizisten auf sie warten, die unter dem strategischen Entwurf des "Antidrogenkampfs" in Stellung gebracht worden sind.

10. Juni 2009